Rechtspolitisches Kolloquium: Die Russland-Sanktionen der EU

Feichtner / Kluge

Podcast-Sonderepisode zu diesem Kolloquium

Das Institut für Rechtspolitik an der Universität Trier produziert seit 2020 den hauseigenen Podcast "Im Treff - Trierer rechtspolitische Gespräche". Mit unserem Podcast möchten wir aktuelle rechtspolitische Fragen und Entwicklungen aus Gesellschaft, Rechtsprechung und Gesetzgebung aufgreifen.
Dieses rechtspolitische Kolloquium wurde als Sonderepisode unseres Podcasts veröffentlicht. Sie können die sechste Folge "Isabel Feichtner & Janis Kluge: Grundlagen und Auswirkungen der EU-Russland-Sanktionen" auf Spotify und Buzzsprout anhören.

Das Einfrieren von Vermögen, Reisebeschränkungen, SWIFT-Ausschluss: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Europäische Union dazu bewogen, neue und härtere Sanktionen gegen die Russische Föderation auf den Weg zu bringen. Zu diesem Anlass veranstaltete das Institut für Rechtspolitik am Dienstag, den 21. Juni 2022, ein digitales rechtspolitisches Kolloquium. Die Dozenten Frau Prof. Dr. Isabel Feichtner (Uni Würzburg, The New Institute Hamburg) und Herr Dr. Janis Kluge (SWP Berlin) referierten über die Sanktionen aus rechtlicher und ökonomischer Perspektive.

Zu Beginn führte Frau Prof. Dr. Antje von Ungern-Sternberg die Zuhörerinnen und Zuhörer in die Thematik ein. Sie stellte zwei zentrale Fragen: Was sind die rechtlichen Grundlagen und Grenzen der Sanktionsmaßnahmen? Und entfalten diese Sanktionen auch die gewünschte Wirkung?

Damit begann Prof. Dr. Feichtner mit Ihren Ausführungen zu den EU-Wirtschaftssanktionen, die Sie mit besonderem Fokus auf die Finanzsanktionen vorstellte. Sanktionen gegen Russland gebe es bereits seit der völkerrechtswidrigen Invasion der Krim im Jahr 2014. Diese Repressalien würden seit Beginn des Angriffskriegs am 24. Februar stetig ausgeweitet. Inzwischen seien sechs umfassende Sanktionspakete verabschiedet worden, die von Sanktionen im Geld-, Finanz-, Rohstoff-, Transport-, und Rüstungssektor bis zu personenbezogenen Maßnahmen reichen würden.

Feichtner erläuterte daraufhin die Zielsetzung der Wirtschaftssanktionen: Durch ein nicht-kriegerisches Mittel wolle die EU die Fortsetzung des Angriffskriegs vereiteln. In völkerrechtlicher Hinsicht wies Sie darauf hin, dass solche Sanktionen keine Gewaltanwendungen i. S. v. Art. 2 Nr. 4 der UN-Charta oder Kriegshandlungen darstellen. Die EU wolle keine Kriegspartei werden.

Stattdessen qualifizierte Sie die Maßnahmen als autonom und unilateral, denn sie wurden nicht vom UN-Sicherheitsrat im Rahmen der Art. 39, 41 UN Charta autorisiert. Wegen der fehlenden Zustimmung des UN-Sicherheitsrats würden die Sanktionen im Schrifttum teilweise als illegale Form ökonomischen Zwangs angesehen. Dennoch könne man wegen der Koordination der G7-Staaten und der überwiegenden Verurteilung der russischen Aggressionen durch die UN-Mitgliedsstaaten in der Generalversammlungsresolution vom 02. März 2022 von einer gewissen „Multilateralisierung“ sprechen.

Zudem hätten die Maßnahmen keinen umfassenden Charakter, sondern würden gezielt in die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten und Russland eingreifen. Grund hierfür seien Wirtschaftsinteressen der Mitgliedsstaaten, um zum Beispiel die Energieversorgung sicherzustellen.

In europarechtlicher Hinsicht seien die Sanktionen als restriktive Maßnahmen im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik einzuordnen. Der Rat habe über diese Maßnahmen bereits zu Beginn der Invasion der Krim Beschluss gefasst und zur Umsetzung auf Grundlage von Art. 215 AEUV entsprechende Verordnungen erlassen. Die Rechtsgrundlagen würden stetig angepasst und seien zuletzt durch das 6. Sanktionspaket erweitert worden.

Anschließend widmete sich Feichtner den Finanzsanktionen, also Einschränkungen des Kapital- und Zahlungsverkehrs, die sie als „wirtschaftliches Machtmittel zwischen Worten und Waffen“ umschrieb. Dabei solle der erzeugte wirtschaftliche Schaden zu politischen Zugeständnissen führen. Insbesondere erklärte Sie die folgenden Maßnahmen genauer:

  • Verbot der Entgegenahme von Einlagen
  • Sanktionen im Zusammenhang mit Währungsreserven
  • Ausschluss aus dem SWIFT-Zahlungssystem
  • personenbezogene Verfügungs- und Bereitstellungsverbote („Einfrieren“ von Geldern)

Feichtner erläuterte im Anschluss die Durchführung der Finanzsanktionen: Soweit „Gelder“ im sanktionsrechtlichen Sinne (finanzielle Vermögenswerte und Vorteile jeder Art) betroffen seien, sei die Bundesbank zuständig. Die operative Tätigkeit hingegen werde durch das Servicezentrum Finanzsanktionen der Bundesbank in München wahrgenommen. Kreditinstitute, die betroffene Gelder halten, träfen Informations- und Mitwirkungspflichten. Um die Sanktionen effektiver durchsetzen zu können und offene Lücken zu schließen, trat am 28. Mai das erste Sanktionsdurchsetzungsgesetz in Kraft.

Abschließend stellte sie den Rechtsschutz vor Gerichten der EU und die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit personalisierter Sanktionen vor. Sie erläuterte Einzelheiten zur Begründungspflicht gemäß Art. 296 Abs. 2 AEUV anhand des Falls Rosneft und ging auf die Verhältnismäßigkeit solcher Entscheidungen ein.

Dr. Janis Kluge übernahm sodann das Wort. Seit Februar würden 40 Länder insgesamt über 6000 Einzelmaßnahmen gegen Russland durchsetzen. Darunter seien auch asiatische Staaten, die sich bei vorherigen Sanktionsrunden zurückgehalten hätten. Noch nie sei ein so großes und international vernetztes Land in so kurzer Zeit mit schweren Sanktionen belegt worden. Dr. Kluge benannte drei Maßnahmenpakete, die aus wirtschaftlicher Sicht besonders effektiv seien:

  • die Finanzsanktionen
  • das Technologie-Embargo
  • das Energie-Embargo

Er wies auch darauf hin, dass der Krieg für die russische Bevölkerung eine Ausnahmesituation darstelle und diese auch das wirtschaftliche Verhalten beeinflusse. Genauso sei nicht ganz klar, inwieweit die EU-Sanktionen selbst Auswirkungen auf die Wirtschaft in Russland hätten oder die wirtschaftlichen Schäden nicht vielmehr von den vielen westlichen Unternehmen ausgingen, die sich freiwillig für eine Aufgabe ihres Geschäfts in Russland entschieden hätten („Over-Compliance“).

Sodann stellte Kluge eine in der Wissenschaft verbreitete Prognose über die Wirksamkeit der Maßnahmen vor: Der Krieg werde noch sehr lange dauern und die andauenden Maßnahmen würden eine tiefgreifende Transformation Russlands zur Folge haben. Dabei würde das Land dauerhaft von den westlichen Ländern abgekoppelt werden, eine wirtschaftliche Schwächung erleiden und Perspektiven auf Entwicklung würden verschwinden. Er hält einen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts von 10 % ohne schnelle Erholung („Bounceback“) für realistisch.

Daraufhin widmete er sich den tatsächlichen Folgen, die die Einführung der Maßnahmen in der Bevölkerung und politischen Führung des Landes ausgelöst hätten: In den ersten Tagen seien ein großer Schock und Unsicherheit zu beobachten gewesen. Menschen hätten versucht, ihr Geld möglichst schnell von den Banken zu holen. Die russische Zentralbank sei zu harten Maßnahmen gezwungen gewesen, zum Beispiel Kapitalverkehrskontrollen. Damit habe sie erfolgreich eine Kapitalflucht verhindern können, den Fall der russischen Währung Rubel gestoppt und hohe Inflationsraten aufgehalten.

Am Einbruch der russischen Importe durch das Technologie-Embargo zeigte Kluge beispielhaft auf, wie weit die Entkopplung der russischen Realwirtschaft von westlichen Märkten bereits vorangeschritten sei. Besonders in der Automobilbranche zeige sich die Wirksamkeit der Sanktionen. Es sei allerdings noch unklar, wie sich die Zerschlagung von Lieferketten auswirke und ob sich Russlands Wirtschaft diesen veränderten Umstanden anpassen könne. Wegen Ersatzlieferungen aus anderen Staaten und Lagerbeständen werde es noch dauern, bis eine tatsächliche Entkopplung von westlichen Waren stattfinde.

In Hinblick auf das Energie-Embargo stellte er fest, dass Russland nach Beginn der Maßnahmen Deviseneinnahmen in Rekordhöhe durch Rohstoffexporte, insbesondere den Gasexport, verzeichnet habe. Die generierten Einnahmen hätten es dem russischen Staat ermöglicht, Sanktionswirkungen abzufedern. In Hinblick auf russisches Öl hält er Maßnahmen nur langfristig für wirksam.

Zuletzt ging Kluge auf die Wahrnehmung der Sanktionen in der russischen Bevölkerung ein. So hätten im März 30 % der Befragten angegeben, dass ihnen die Sanktionen Probleme bereiten würden. Im Mai sei dieser Wert auf 15 % der Befragten gesunken. Die anfänglichen Befürchtungen hätten sich also wieder gelegt und auch die russische Führung würde sich zuversichtlich zeigen, die westlichen Maßnahmen stemmen zu können.

Insgesamt schränkten die Sanktionen also die Möglichkeiten der russischen Kriegsführung ein. Wirksam vereiteln könnten sie die russischen Aggressionen jedoch nicht, der Effekt werde erst langfristig Wirkung entfalten. Nach dem ausführlichen Vortrag der Dozenten schloss sich eine angeregte und Diskussion unter der Leitung von Prof. Dr. von Ungern-Sternberg an.

Interessierte finden hier eine Liste mit weiterführender Literatur.

Zu den Personen

Prof. Dr. Isabel Feichtner studierte Rechtswissenschaften in Freiburg, Amsterdam, Berlin und New York. Nach Abschluss Ihres LL. M.-Studiums wurde sie in New York als Anwältin tätig. Daraufhin schloss sie ihr Referendariat in Berlin ab und arbeitete als Referentin am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg und als Visiting Doctoral Researcher und Assistentin an der New York University. Vor Ihrer Berufung an die Universität Würzburg war Sie Juniorprofessorin an der Goethe Universität Frankfurt. Ihre Forschungsschwerpunkte sind, neben dem Völkerrecht, das transnationale Rohstoffrecht und die rechtliche Konstruktion des Geldes.

Dr. Janis Kluge studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Witten/Herdecke. Im Jahre 2017 promovierte er im Bereich der politischen Ökonomie. Seitdem arbeitet er am Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der wirtschaftlichen Entwicklung in Russland und China, der russischen Innenpolitik, wirtschaftlichen Eliten sowie wirtschaftlichen Sanktionen und ihrer Wirkung.