Rechtspolitisches Kolloquium: Schärfung des Rechts gegen Hass, Hetze und Antisemitismus

Infobild zu der Veranstaltung. Veranstaltungsinformationen in weißer Schrift auf blauem Grund über einem Bild von einer zersprungenen Glasscheibe.

Der Antisemitismus in Deutschland war zu keinem Zeitpunkt verschwunden. Nach dem Massaker der Hamas an der Zivilbevölkerung in Israel am 7. Oktober 2023 hat die Angst innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland jedoch ein lange Zeit nicht gekanntes Ausmaß erreicht. Recht muss vor Hass, Hetze und Antisemitismus schützen. Aber wie effektiv ist es dabei, und welche Änderungen könnten zu einer Verbesserung für die Betroffenen führen?

Über diese Fragen sprachen bei einem Kolloquium des Instituts für Rechtspolitik (IRP) Prof. Dr. Roland Rixecker, der Beauftragte für jüdisches Leben im Saarland und gegen Antisemitismus und Präsident des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes, sowie Daniel Botmann, der Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Zu Beginn der Veranstaltung erinnerte der geschäftsführende Direktor des IRP, Prof. Dr. Thomas Raab, daran, dass in der NS-Zeit die jüdische Bevölkerung bereits vor der Deportation in die Vernichtungslager einem „sozialen Mord“ ausgesetzt war. In seiner eigenen Kindheit sei jüdisches Leben nicht mehr sichtbar gewesen. Und auch als er fast 50 Jahre nach der Shoa das frühere jüdische Viertel und die große Synagoge in Berlin besuchte und dort die Sicherheitskontrollen durchlief, habe er sich gefragt, ob jüdisches Leben in Deutschland nur möglich sei, wenn die Einrichtungen einem Hochsicherheitstrakt gleichen. Der 7. Oktober 2023 habe einen Einschnitt markiert. Parallel zu Solidaritätsbekundungen wurde der palästinensische Widerstand teils mit antisemitischen Parolen gefeiert. Raab zeichnete das Bild einer wachsenden Bedrohungslage und stellte vor diesem Hintergrund die Frage, ob, und wenn ja, welche Maßnahmen zur „Schärfung des Rechts gegen Hass, Hetze und Antisemitismus“ angezeigt seien.


Gespräch
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Prof. Dr. Roland Rixecker verdeutlichte die Relevanz des Themas zu Beginn seines Vortrags anhand von antisemitischen Parolen auf Demonstrationen, sexistischen Hasskommentaren gegen Politikerinnen, Internethass gegen Jüdinnen und Juden und verharmlosenden, glorifizierenden oder drohenden Bezügen auf den Holocaust.

Zunächst analysierte er einen aktuellen Gesetzentwurf der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der drei Maßnahmen zur Schärfung des Strafrechts vorsieht:

Erstens solle danach der Tatbestand des Landfriedensbruchs (§125 StGB) auch erfüllt sein, wenn man nur in einer Menschenmenge verbleibe, obwohl ein gewaltiger oder bedrohlicher Verlauf erkennbar sei. Rixecker kritisierte, dass dadurch Minderheiten Anderen das Versammlungsrecht entziehen könnten.

Zweitens solle § 129 StGB (Bildung einer kriminellen Vereinigung) auch die Sympathiewerbung wieder unter Strafe stellen. Hier gab Rixecker zu bedenken, dass Bestimmtheitsprobleme zu „Kollateralschäden“ führen könnten, beispielsweise wenn sich jemand positiv über das Ziel äußere, das problematische Protestformen verfolgten.

Drittens solle unter die Volksverhetzung (§ 130 StGB) auch die Leugnung des Existenzrechts Israels sowie der Aufruf zur Beseitigung des Staates fallen. Diesbezüglich fragte Rixecker, ob das „Leugnen“ als Meinungsäußerung von Art. 5 GG geschützt sein könnte.

Daraufhin zeigte er Problematiken auf, die bei der Auslegung und Anwendung des Volksverhetzungstatbestandes in der Praxis auftreten könnten. Zum einen stelle die klare Abgrenzung von legitimen Meinungsäußerungen zur Volksverhetzung eine Herausforderung dar. Außerdem gebe es Probleme, wenn Kommunikationsadressaten der Äußerung von der angegriffenen Gruppe abwichen: So habe eine Staatsanwaltschaft den Tatbestand als nicht erfüllt angesehen, als Pressevertreter antisemitisch beleidigt wurden, da sie selbst nicht jüdisch seien. Dies verkenne den Angriff auf die jüdische Gemeinschaft, so Rixecker. Auch müssten volksverhetzende Aussagen nach derzeitiger Auslegung einen Inlandsbezug aufweisen. Äußerungen über Menschen außerhalb Deutschlands seien nicht erfasst, obwohl sie im Inland wirkten. Zudem würden viele antisemitische Parolen und Codes regelmäßig nicht als solche erkannt.

Anschließend beleuchtete Rixecker das Zivilrecht. In Entscheidungen etwa zu dem „Judensau“-Relief oder einem Auftritt des Rappers Kollegah sei bereits festgestellt worden, dass die Jüdische Gemeinschaft in Deutschland subjektive Rechte habe. Im Netz seien insbesondere der Digital-Services-Act und das Digitale-Dienste-Gesetz bedeutend, wobei Rixecker problematisierte, dass es hier an einem individuellen Unterlassungs- oder Entschädigungsanspruch fehle. Ein Auskunftsanspruch der Verletzten über die Identität des Verletzers solle nun durch das geplante „Gesetz gegen digitale Gewalt“ eingeführt werden.

Im Bereich des öffentlichen Rechts zeigte Rixecker vor allem Konflikte im Bereich von Kunst und Kultur auf. Er beleuchtete den Versuch, durch eine Antisemitismusklausel für die Vergabe von Kunstprojekten zu verlangen, dass die Kunstschaffenden nicht antisemitisch auftreten oder sich sogar aktiv gegen Antisemitismus bekennen. Er bezweifelte den Nutzen eines solchen Bekenntnisses und verwies auf ein Gutachten von Prof. Dr. Christoph Möllers, nach dem ein solches Bekenntnis auch nicht verlangt werden dürfe, es aber grundsätzlich zulässig sei, die Förderung von Kunst präventiv vom Nichtvorliegen antisemitischer, rassistischer oder anti-demokratischer Gehalte abhängig zu machen.

Schließlich stellte Rixecker die Frage, was genau eigentlich Antisemitismus sei. Ein freiheitlicher Staat müsse auch unliebsame Meinungsäußerungen aushalten. Klarer Antisemitismus liege jedoch beispielsweise vor, wenn Angriffe auf Synagogen oder Menschen, die Mahnwachen gegen Antisemitismus halten, stattfänden. Problematisch seien die Grauzonen. Kritik an der israelischen Regierung oder ihrem Vorgehen im Gaza-Krieg sei kein Antisemitismus – wenn jedoch doppelte Standards im Vergleich zu anderen Regierungen angewendet würden, könne dies ein Indiz für Antisemitismus sein.

Er schloss seinen Vortrag damit, die Bedeutung des Rechts zu betonen, mit klaren Grenzen Hass, Hetze und Antisemitismus vorzubeugen. Dafür seien die bisherigen Regeln und ihre Anwendung nicht ausreichend.


Daniel Botmann begann seine Analyse der deutschen Rechtslage mit der Vorstellung einer Reihe von „problematischen Gerichtsentscheidungen“.

Die erste Entscheidung betraf einen Brandanschlag auf eine Synagoge in Wuppertal. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass Antisemitismus als Tatmotiv nicht nachweisbar sei, denn das Bewerfen einer Synagoge mit Molotow-Cocktails könne auch ein politisches Zeichen gegen Israel sein.

Hintergrund der zweiten Entscheidung war, dass die Fluggesellschaft Kuwait Airlines die Beförderung eines israelischen Staatsbürgers verweigerte. Das Landgericht Frankfurt entschied, dass für die Fluggesellschaft Unmöglichkeit nach § 275 I BGB vorliege, da ein Gesetz des Staates Kuwait juristischen Personen des Staates den Vertragsschluss mit israelischen Staatsangehörigen untersage – und somit kein Schadensersatzanspruch bestehe.

Zuletzt beschrieb Botmann eine Entscheidung, in der angenommen wurde, dass bei einer Demo der Partei „Die Rechte“ mit dem Titel „Nie, nie, nie wieder Israel“, die auch als Negierung des Existenzrechts Israels interpretiert werden kann, keine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung vorliege.

Anschließend skizzierte er, welche Rechtsnormen in jüngster Zeit bereits angepasst wurden. Seit 2020 umfasst § 104 StGB nicht nur das Beschädigen von Flaggen, die an Auslandsvertretungen angebracht sind, sondern das öffentliche Beschädigen von Flaggen allgemein. Den Nutzen des neu eingeführten § 192a StGB, der die verhetzende Beleidigung unter Strafe stellt, konnte Botmann an einem Beispiel aus dem Zentralrat der Juden aufzeigen: Wenn dort ein Schreiben mit dem Inhalt „alle Juden sollen tot sein“ ankomme, sei dies nun strafbar. Er betonte außerdem die Bedeutung einer Ergänzung des § 46 StGB. Danach ist bei der Zumessung der Strafe auch eine antisemitische Gesinnung zu berücksichtigen. Ein antisemitistischer Beweggrund kann demnach ein Grund für eine Strafverschärfung sein.

Anschließend beschäftigte er sich mit der Frage, welche weiteren Änderungen des Rechts noch notwendig seien. Er schlug vor, das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot des § 19 I AGG um das Kriterium der Staatsangehörigkeit zu erweitern. Außerdem kritisierte auch er den Volksverhetzungstatbestand – als zusätzliche Überlegung brachte er ein, ob die Leugnung des Existenzrechts eines Staates, wie sie sich aus Parolen wie „from the river to the sea“ ergeben könne, unter diesem Straftatbestand aufgenommen werden sollte. Botmann zeigte außerdem das Problem auf, dass Bewegungen, die keine Organisationsform haben, wie beispielsweise die als antisemitisch eingestufte BDS-Bewegung („Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“) nicht verboten werden können. Weiterhin betonte er, dass Aufrufe zu Hass und Gewalt sowie insbesondere Antisemitismus immer Ausschlusskriterien für Entwicklungsarbeit sein sollten. In Bezug auf die bereits von Rixecker angesprochene Möglichkeit, eine Antisemitismusklausel für Kulturförderung einzuführen, betonte auch Botmann, dass eine solche grundsätzlich zulässig sei und durch diverse Vorfälle der Handlungsdruck im Bereich Kunst und Kultur deutlich werde. Zudem hob er die Wichtigkeit einer konsequenten Strafverfolgung hervor. Auch er wandte sich zum Schluss seines Vortrags der Frage nach einer Definition von Antisemitismus zu und betonte, dass eine juristisch einheitliche Anwendung einer Legaldefinition von Antisemitismus notwendig sei, um das Recht konsequent durchzusetzen.