Pre-Conference von und für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Qualifikationsphasen

Die Pre-Conference richtet sich an alle interessierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, insbesondere an diejenigen in Qualifikationsphasen, die gemeinsam über den Umgang mit Normativität in Forschung oder  Lehre reflektieren wollen.

Spätestens seit dem Positivismusstreit in den 1960er und 1970er Jahren gehen Forschende und Lehrende der Bildungswissenschaften in ihrer Arbeit der Frage nach dem Verhältnis von Normativität in pädagogischer Theorie und Praxis nach und reflektieren die Ausrichtung der eigenen Forschungs- und Lehrtätigkeit aus einer distanzierten oder engagierten Perspektive (Meseth et al. 2019). Während das Ziel der ersten Perspektive aus einer beobachtenden Position heraus zur Erweiterung des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns betrieben wird, wird in der zweiten Perspektive auf die Kritik und Änderung der pädagogischen Praxis und/oder Bildungspolitik vor dem Hintergrund bestimmter Wertvorstellungen gezielt. In diesem Spannungsfeld erfolgt sowohl die Forschung als auch Lehre.

In der Pre-Conference werden vor diesem Spannungsfeld zwei Workshops angeboten, die einerseits Normativität in der eigenen Forschungspraxis und andererseits die Bedeutung von Normativität in der Gestaltung und Adressierung von Lehrveranstaltungen, insbesondere für Lehramtsstudierende, vertiefen. Die Plätze in den beiden Workshops sind begrenzt und die Teilnahme ist nur mit Anmeldung zur Tagung möglich.

Kontakt: Dr. Simon Gordt

  • Literatur: Meseth, W., Casale, R., Tervooren A. & Zirfas, J. (2019) (Hrsg.): Normativität in der Erziehungswissenschaft. Wiesbaden: VS Springer.

Workshop 1: Normativität in der (erziehungswissenschaftlichen) Professionsforschung

Leitung: VProf. Dr. Frank Beier (Technische Universität Dresden)

Ort: B-Gebäude, Raum B16

Ist erziehungswissenschaftliche Forschung überhaupt ohne Normativität denkbar? Beinhaltet die Verwendung von Begriffen wie „Bildung“ oder „Kompetenzen“, „Profession“ oder „Guter Unterricht“ nicht zwangsläufig normative Wertmaßstäbe und ist Erziehung nicht selbst zwangsläufig mit sozio-kulturellen Werten verbunden? Kann Forschung ohne normative Setzung überhaupt Professionswissen erzeugen oder praxisrelevant sein? Dieser Workshop widmet sich diesen grundlegenden Fragen in einer systematischen Diskussion. Ein reflektierter Umgang mit Normativität bildet die Grundvoraussetzung dafür, angemessene Forschungsfragen zu entwickeln und robuste Forschungsdesigns zu gestalten. Der Workshop richtet sich insbesondere an Forscherinnen und Forscher in der Planungs- und Erhebungsphase sowie an diejenigen, die derzeit qualitative Daten interpretieren.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden in die Grundproblematik der Differenzierung zwischen deskriptiven und präskriptiven Aussagensystemen eingeführt. Dabei werden die Argumentationslinien des als "Positivismusstreit" bekannten Diskurses zwischen dem Kritischen Rationalismus und der Kritischen Theorie vorgestellt und deren Konsequenzen für die qualitative und quantitative Unterrichtsforschung untersucht. Abschließend wird gemeinsam an konkreten Beispielen der Professionsforschung über normative und deskriptive Interpretationen diskutiert. Nach Abschluss des Workshops sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Lage, die epistemische Relevanz von Normativität systematisch zu reflektieren und diese Erkenntnisse in ihre eigenen Forschungsarbeiten zu integrieren.

Workshop 2. Normativität in der erziehungswissenschaftlichen Lehre

Anerkennungsdynamiken und die Frage nach ‚guter universitärer Lehre‘

Leitung: JProf. Nele Kuhlmann (Friedrich-Schiller-Universität Jena)

Ort: B-Gebäude, Raum B17

Mit dem Tagungsthema "das Personal der Lehrer:innenbildung" werden wir als Lehrende  und unsere Lehrpraxis in Lehramtsstudiengängen selbst zum Gegenstand der Forschung. Das damit einhergehende Erkenntnis- und Reflexionspotenzial werden wir dadurch aufnehmen, indem wir über (unsere eigene) Lehrpraxis hinsichtlich typischer normativer Spannungen und Anerkennungsdynamiken ins Gespräch kommen. Dafür werde ich zunächst anhand vorliegender erziehungswissenschaftlicher Studien zur Interaktion in der universitären Lehre im Lehramt skizzieren, welche typischen Praktiken, welche Anerkennungsdynamiken und welche normativen Bezugshorizonte sich ausmachen lassen (vgl. u.a. Balzer & Bellmann 2023; Leonhard & Leonhard 2023; Wenzl et al. 2023). Durch die gemeinsame Interpretationsarbeit an einer kurzen Szene aus einem Seminar zu Grundbegriffen der Erziehungswissenschaft werden wir insbesondere die Spannung zwischen der Orientierung an der Norm der Diskursivität auf der einen und der Norm der Eindeutigkeit und Abprüfbarkeit von Wissen auf der anderen Seite thematisieren. Diese Arbeit am konkreten Fall soll einen Diskurs darüber eröffnen, wie uns diese (und andere) Spannungen in unserer Lehrpraxis begegnen, welche Umgangsweisen wir damit finden und welche Normen von Universität und guter Lehre diesen Umgangsweisen eingeschrieben sind – und normativ gewendet, inwieweit wir die erarbeiteten Spannungen vielleicht auch anders adressieren sollten.

Zusammengefasst sollen folgende Fragen verhandelt und diskutiert werden:

  • Welche Anerkennungsdynamiken lassen sich in erziehungswissenschaftlichen Seminaren (oder auch Vorlesungen) ausmachen?
  • Welche (konfligierenden) normativen Horizonte werden thematisch?
  • Welche Umgangsweisen lassen sich in empirischen Studien und in unserer eigenen Praxis finden?
  • Was sind leitende Normen von Universität und universitärer Lehre? In welchem Verhältnis stehen diese zu typischen Umgangsweisen mit normativen Spannungen?

Gerne kann eigenes Datenmaterial (Interaktionsdaten aus der universitären Lehre, Interviews mit Lehrenden etc.) in den Workshop eingebracht werden.

Literatur:

Balzer, Nicole; Bellmann, Johannes (2023): Die didaktische Fabrikation von Wissenschaft. Zur Untersuchung wissenschaftstheoretischer Implikationen der Praxis erziehungswissenschaftlicher Lehrveranstaltungen. In: Gabi Reinmann und Rüdiger Rhein (Hg.): Wissenschaftsdidaktik III. Perspektiven. Bielefeld: transcript, S. 53–78.

Leonhard, Melanie; Leonhard, Tobias (2023): Ungenügend. Zur Relationalität und Relativität von Wissen und Können im Studium zum Lehrberuf. SEMINAR, 29(3), 135-149.

Wenzl, Thomas; König, Hannes; Kollmer, Imke (2023): Wissen ohne Geltung oder: Das Seminar als Ort des kritiklosen Diskurses. In: Zeitschrift für Pädagogik 69 (5), S. 584–598.