Das heutige Urteil der Woche kommt – wie bereits in der Vorwoche – aus Karlsruhe! Fraglich war, ob der BFH verfassungsrechtlich dazu verpflichtet war, die Frage, ob seine Auslegung des § 1 Abs. 1 AStG gegen Unionsrecht verstößt, dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall ist eine inländische OHG, an der ausschließlich juristische Personen beteiligt waren. Die Beschwerdeführerin war Alleingesellschafterin einer italienischen Kapitalgesellschaft (A). Die OHG gewährte der A nicht besicherte Forderungen, die verzinst wurden. In den Streitjahren verzichtete die OHG gegen Besserungsschein auf einen Teil ihrer Forderungen gegenüber A. Der wertlos gewordene Teil der Forderungen wurde gewinnmindernd in der Buchführung der OHG berücksichtigt. Mit Urteil vom 14.08.2019 (I R 34/18) hatte der BFH entschieden, dass die gewinnmindernde Ausbuchung der Forderungen durch eine außerbilanzielle Hinzurechnung nach § 1 Abs. 1 AStG zu korrigieren sei. Die Einkünftekorrektur sei im Streitfall nicht nach Art. 9 Abs. 1 OECD-MA gesperrt. Die Nichtbesicherung der Forderung sei nicht fremdüblich. Auch aus dem sog. Konzernrückhalt ergebe sich insoweit keine Abweichung. Darüber hinaus stehe die Einkünftekorrektur im Einklang mit dem Unionsrecht. Hiergegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde.
Das BVerfG gab der Verfassungsbeschwerde statt. Der BFH habe das Recht der Beschwerdeführerin auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) verletzt, weil er trotz der unvollständigen Rechtsprechung des EuGH zu den Anforderungen der Niederlassungsfreiheit im Hinblick auf die im Streitfall vereinbarten Bedingungen eine zweifelsfrei geklärte Rechtslage ohne hinreichende sachliche Begründung bejaht habe. Die vom BFH nach § 1 Abs. 1 AStG vorgenommene Einkünftekorrektur stelle, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar. Die damit verbundene Ungleichbehandlung sei aber nur statthaft, wenn sie durch unionsrechtlich anerkannte zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Als zwingender Grund des Allgemeininteresses komme die Notwendigkeit der Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten in Frage. Weder die Nichtbesicherung der Darlehensforderung noch ein späterer Forderungsverzicht gegen Besserungsschein führe ohne Weiteres zu einer Übertragung von Gewinnen, also zu einem unversteuerten „Hinaustransferieren“ von Gewinnen, das geeignet sein könnte, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Sofern der Verdacht bestehe, dass ein geschäftlicher Vorgang über das hinausgeht, was die betreffenden Gesellschaften unter Marktbedingungen vereinbart hätten, habe der BFH dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit einzuräumen, Beweise für etwaige wirtschaftliche Gründe für den Abschluss dieses Geschäfts beizubringen, die nicht fremdübliche Bedingungen rechtfertigen können. Nach Auffassung des EuGH seien wirtschaftliche Gründe für den Abschluss eines fremdunüblichen Geschäfts gerade dann gegeben, wenn eine Tochtergesellschaft auf die Zuführung von Kapital angewiesen sei, weil sie über kein ausreichendes Eigenkapital verfüge. Eine nationale Regelung zur Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis sei nur erforderlich, soweit sich die steuerliche Berichtigung auf den Teil beschränke, der über das hinausgeht, was die betreffenden Gesellschaften unter Marktbedingungen vereinbart hätten. Es sei nicht verständlich, weshalb der BFH für den von § 1 Abs. 1 AStG gebotenen Fremdvergleich ohne Weiteres von einer Vollbesicherung der Darlehensgewährung ausgehe. Abschließend sei die Annahme eines „acte clair“ oder eines „acte éclairé nicht nachvollziehbar. Das BFH-Urteil wird aufgehoben und die Sache an den BFH zurückverwiesen.
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