Lernmotivation und Volition
Statistik Lernen im Rahmen des Psychologiestudiums wurde als Untersuchungsgegen-stand zur empirischen Überprüfung der angenommenen Wirkung volitionaler Handlungsregulation herangezogen. Neben fähigkeitsbezogenen und motivationalen Faktoren sollten bei dieser von vielen Studierenden aversiv erlebten Tätigkeit die Aspekte der volitionalen Handlungsregulation entscheidend sein. Nur Personen, die sich trotz des aversiven Tätigkeitserlebens zum Statistik Lernen „zwingen“ können, sollten erfolgreich sein. Auf dem Hintergrund des Prozessmodells der Lernmotivation wurden die angenommenen Wirkungen der volitionalen Faktoren denen der motivationalen Einflussgrößen zugeordnet und in einem längsschnittlichen Design an zwei aufeinander folgenden Wintersemestern an der Universität Potsdam und an der TU Berlin empirisch überprüft (N = 273).
Die Annahmen zu den fähigkeits- und motivationsrelevanten Faktoren des analyseleitenden Prozessmodells der Lernmotivation konnten weitgehend bestätigt werden. Die Personenmerkmale (fähigkeitsbezogene Merkmale, Leistungsmotiv und Commitment für das Psychologiestudium) bedingen zu einem wesentlichen Teil die Aspekte der aktuellen Motivation für das Statistik Lernen. Letztere wurde durch die Komponenten des Erweiterten Kognitiven Motivationsmodells (EKM) und anhand der Lernintentionen erfasst. Dabei zeigt sich, dass die aktuelle Motivation für das Statistik Lernen insgesamt günstig ausgeprägt ist. Die Aspekte der aktuellen Motivation beeinflussen wiederum Prozessvariablen wie den Lernaufwand, das emotionale Erleben und den Funktionszustand während des Lernens. Der Lernaufwand und das Flow-Erleben (als Indikator für den Funktionszustand) sowie deren Interaktion sagen die Klausurleistung am Ende des Semesters vorher (dies auch, wenn fähigkeitsbezogene Merkmale mit berücksichtigt werden). Zusätzliche Analysen zur Stabilität der Zusammenhänge zeigen, dass die im Wintersemester erhobenen Prozessvariablen Lernaufwand, emotionales Erleben, Funktionszustand und Flow-Erleben zur Klausurleistung im Sommersemester und Wintersemester dieselben Zusammenhänge aufweisen. Die Zusammenhänge sind zwar zur Klausurleistung im Sommersemester etwas schwächer, aber insgesamt beeindruckend stabil. Die Zusammenhänge zur Vordiplomnote sind ebenfalls sehr ähnlich, jedoch wesentlich schwächer und überwiegend nicht signifikant.
Vor dem Hintergrund des insgesamt theoriekonsistenten Gesamtbildes ergeben sich dennoch einige Abweichungen von den theoretischen Annahmen. Diese werden eingehend diskutiert. Im wesentlichen sind dies die nicht bestätigte Wirkung des impliziten Leistungsmotivs auf die Folgenanreize für das Statistik Lernen. Lediglich die Tätigkeitsanreize sind bei einem stärkeren impliziten Leistungsmotiv höher ausgeprägt. Ferner hat das Commitment für das Psychologiestudium nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf die Komponenten des EKM, sondern beeinflusst auch direkt die Stärke der erfassten Handlungsveranlassung (Lernintention). Weiter wirken sich die Tätigkeitsanreize nicht auf die Stärke der Lernintention aus. Der Tätigkeitsanreiz beeinflusst „direkt“ das emotionale Erleben beim Statistik Lernen und wirkt sozusagen an der rein zweckzentriert rekonstruierbaren Handlungsveranlassung vorbei auf das Statistik Lernen. Als weitere Abweichung sind fähigkeitsrelevante Merkmale nicht modellkonform über die Zwischenprozesse vermittelt. Unterwartet zeigt sicher ferner ein starker und direkter (nicht über die Prozessvariablen vermittelter) Effekt des Alters auf die Klausurleistung, wie auch auf die Entscheidung, die Klausur nicht mitzuschreiben.
Entgegen der zentralen Annahme, tragen die dem Prozessmodell der Lernmotivation zugeordneten volitionalenFaktoren insgesamt betrachtet kaum zu einem weitergehenden Verständnis des Lernprozesses bei. Die theoretischen Annahmen können weitgehend nicht bestätigt werden. So sagen die volitionalen Faktoren nicht, wie angenommen, bei hoher instrumenteller Handlungsveranlassung und gleichzeitig aversivem Tätigkeitserleben Prozessmerkmale des Lernens vorher. Weiter kann die Veränderung des emotionalen Erlebens in der Auseinandersetzung mit Statistik nur teilweise durch volitionale Faktoren erklärt werden. Ausführlich diskutiert wird, inwieweit dies auf falsche theoretische Annahmen oder auf eine mangelnde Operationalisierung und Auswertung zurück geht. Unter theoretischen Gesichtspunkten wird ausgeführt, dass die Wirkungen volitionaler Faktoren überschätzt wird und diese nur eine selten auftretende „Notfallregulation“ darstellen. Diese Regulation tritt dann vermutlich, entgegen den Annahmen dieser Arbeit, beim Statistik Lernen doch recht selten auf, selbst wenn das Statistik Lernen weitgehend als aversiv erlebt wird. Weiter wird angeführt, dass volitionale Fähigkeiten bei allen Teilnehmenden hinreichend hoch ausgeprägt sind („Bildungselite“) und Unterschiede nur dann von Bedeutung sind, wenn die eigentliche Handlungsveranlassung für das Statistik Lernen nicht eindeutig (das heißt hoch) ausgeprägt ist. Ferner sind auf dem Hintergrund der komplexen Zusammenhänge bei der Bewältigung der Anforderungen des Statistik Lernens spezifischere Zuordnungen förderlicher volitionaler Handlungsregulation notwendig, jedoch theoretisch noch nicht eindeutig herleitbar. Unter methodischen Gesichtspunkten wird die prinzipielle Frage gestellt, ob ein Fragebogeninstrument die interessierenden volitionalen Aspekte angemessen erfassen kann. Einmal, weil die volitionalen Fähigkeiten dem Bewusstsein nur schwer zugänglich sind und ferner, selbstwertdienliche Verzerrungen die valide Erfassung erschweren. Eine bereichsspezifische Erfassung der volitionalen Handlungssteuerung hätte hier Abhilfe schaffen können. (Jedoch ist gerade von Interesse, ob sich die allgemeinen Fähigkeiten der volitionalen Handlungssteuerung auf das Statistik Lernen auswirken.) Als weiterer methodischer Aspekt wurde die geringe „Power“, Interaktionseffekte bei kontinuierlichen Daten statistisch absichern zu können, aufgeführt und diskutiert.
Zusätzlich zum Prozessmodell der Lernmotivation wurden weitergehende Annahmen zur Wirkung des impliziten und expliziten Leistungsmotivs überprüft. Dabei zeigt sich erwartungsgemäß, dass sich das implizite Leistungsmotiv beim Statistik Lernen bei einer individuellenBezugsnorm förderlich auswirkt. Die moderierende Wirkung der sozialen Bezugsnorm für das explizite Leistungsmotiv kann anhand der vorliegenden Daten nicht bestätigt werden. Für das implizite Leistungsmotiv zeigt sich über die Annahmen hinaus eine förderliche Wirkung auf die Klausurteilnahme. Für Personen mit einem hohen impliziten Leistungsmotiv findet sich eine höhere Wahrscheinlichkeit, die Klausur mitzuschreiben. Dieser Befund macht den in der Leistungsmotivationsforschung gefundenen Zusammenhang zwischen Leistungsmotiv und Karriereerfolg „im Kleinen“ verständlich.
Theoretische Arbeiten legen nahe, dass die volitionale Handlungssteuerung nicht eine unabhängige, sondern eine zum Teil von dem Zusammenwirken der impliziten und expliziten Motivsysteme abhängige Größe darstellt. Für das Leistungsmotiv konnte dies bestätigt werden. So wirkt sich eine hohe Ausprägung des expliziten Leistungsmotivs dann positiv auf die volitionale Handlungssteuerung aus, wenn das implizite Leistungsmotiv hoch ausgeprägt ist. Die Ergebnisse bei den Machtmotivsystemen zeigen, dass nicht immer eine Übereinstimmung der Motive förderlich ist. Eine funktionale Perspektive scheint hier angemessen und weiterführend. Die Arbeit schließt mit der Frage, welche Motivkonstellationen im Sinne einer volitionalen Handlungssteuerung ideal sind. Dabei wird postuliert, dass das Wissen über implizite Vorlieben einer Person helfen sollte, für sie passende Situationen aktiv aufzusuchen oder herzustellen und dadurch eine volitionale Handlungssteuerung besser gelingt sowie diese Art der Steuerung weniger nötig macht.