Aktuelles Buchprojekt von JProf. Dr. Andreas Lehnertz

Jüdische Handwerksleute im mittelalterlichen Aschkenas

Mein derzeitiges Projekt ist eine Studie über jüdische Handwerker im mittelalterlichen Aschkenas, d. h. im Heiligen Römischen Reich, Nordfrankreich und England. Die Forschung über die Wirtschaftsgeschichte der Jüdinnen und Juden im mittelalterlichen Aschkenas konzentriert sich fast ausschließlich auf den Geldverleih. Dieser jüdische Beruf hat eine große Menge an Textquellen hervorgebracht und wird daher besonders häufig untersucht. Eine Wirtschafts- und Sozialgeschichte des jüdischen Handwerks ist dagegen noch nicht geschrieben worden. Jüdische Handwerksleute wie Goldschmiede, Glaser oder Holzschnitzer sowie zahlreiche andere Berufe wie Boten, Wäscher oder Wasserträger tauchen in den verschiedenen Quellengattungen häufig auf, werden aber von der Forschung nur selten berücksichtigt. Mein Ziel ist es, dieses Paradigma der Geschichtsschreibung zu ändern, indem ich eine neue und umfassende Diskussion über jüdische Berufe anbiete und damit unser Verständnis der mittelalterlichen aschkenasischen Gesellschaft und Wirtschaft neu strukturiere. Eine solche Studie wird dazu beitragen, eine vielseitigere jüdische Gesellschaft und ihre alltäglichen Aktivitäten im mittelalterlichen Aschkenas aufzuzeigen.

Dissertationsprojekt von Sophia Schommer

Die sephardische Diaspora in Venedig (1492-1541)

Mein Dissertationsprojekt untersucht die frühe Migrationsbewegung der Sephardim – einschließlich der sogenannten marrani, der konvertierten Jüdinnen und Juden – nach ihrer Vertreibung von der Iberischen Halbinsel 1492 bzw. 1497 und ihre Reorganisation in der Lagunenstadt.
Bislang richtete sich das Augenmerk der Forschung auf die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts, ab der sich eine große sephardische Gemeinschaft in Venedig bildete, die sogar Ausstrahlungskraft auf die spätere Gemeindebildung in Amsterdam hatte. Dass sich schon Ende des 15. Jahrhunderts Sephardim in der Lagune aufhielten und 1497 einer Ausweisung trotzen konnten, findet hingegen kaum Berücksichtigung. Dabei ist gerade die Reorganisation in der frühen Phase der Migration interessant, da sich in dieser Zeit die Grundlagen und Voraussetzungen für die weitere Ansiedlung und die Etablierung größerer Gemeinden bilden konnten.
Mit meinem Projekt sollen Erkenntnisse über Verbindungen der Sephardim zur christlichen und jüdischen Gesellschaft innerhalb und außerhalb der Lagunenstadt sowie über ihre Tätigkeiten erlangt werden. Diese Erkenntnisse sollen vor dem Hintergrund des politischen Rahmens, den die Serenissima vorgab, betrachtet werden, um wiederum Rückschlüsse auf den Handlungsspielraum der Sephardim bei ihrer Reorganisation in Venedig ziehen zu können. Somit möchte ich die frühen sephardischen Migrationsbewegungen neu beleuchten und zu einer deutlich differenzierteren Sichtweise auf die sephardische Diaspora beitragen.

Die jüdischen Friedhöfe in Neumagen-Dhron und Beilstein

Friedhöfe und Grabmäler sind herausragende Zeugnisse über menschliche Gemeinschaften und ihre Vergangenheit. Es gilt deshalb, historische Friedhöfe zu schützen, sie denkmalpflegerisch zu bewahren und die historischen Informationen aus den Grabinschriften und der Grabgestaltungen zu erschließen. Hierzu zählen auch für die zahlreichen Friedhöfe der ehemaligen jüdischen Gemeinden in Deutschland, die vielfach noch historisch unerschlossen sind, während ihr Erhaltungszustand sich durch Umwelt­einflüsse und Vernachlässigung langsam aber stetig verschlechtert.

Jüdischer Friedhof Bild 1
Grabstein der Jüdin Hannah, Tochter Jehudas; dt. Teil: Henrielle Levy, Neumagen-Dhron

Für die jüdischen Friedhöfe in Neumagen-Dhron (www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-274636) und Beilstein (www.kuladig.de/Objektansicht/O-67138-20130610-6) lässt sich dieses Problem in exemplarischer Weise beobachten: Mit dem Verlust der Grabmale verblasst auch die Erinnerung an jene Jüdinnen und Juden, die an diesen Orten ihre letzte Ruhestätte fanden, denen die Grabsteine einen Namen und oft auch einen Charakter gaben. Sie geraten unwiederbringlich in Vergessenheit. Beide Friedhöfe gehören zu den wenigen, die bis in die Frühe Neuzeit zurückreichen, gehören also zu den ältesten Begräbnisstätten, die in der Region bis heute erhalten geblieben sind. Sie sind zugleich unter den wichtigsten, da sie nicht allein den ortsansässigen Familien gedient haben. Ihre Dokumentation hat also eine Schlüsselfunktion für die Erforschung der jüdischen Geschichte und Kultur an der Mosel über einen bedeutenden Zeitraum.

Jüdische Friedhöfe Bild 2
Grabstein des Juden Jakob, Sohn Issachars; dt. Teil: Jakob Koppel, Beilstein

In Ermangelung jüdischer Gemeindearchive (die vor allem in den kleineren Gemeinden meist verloren gingen oder vernichtet wurden) bieten die jüdischen Grabsteine häufig einzigartige Informationen über die Bestatteten: Neben Namen und Lebensdaten erfahren wir auch von Gemeindefunktionen (Rabbiner, Hauslehrer, Gemeindediener, Vorsänger, Beschneider etc.) oder von anderen Tätigkeiten (Schreiber, Bäcker, Hebamme etc.); auch Charakterzüge der Bestatteten (freigiebig, hilfsbereit etc.) und seit dem 19. Jahrhundert die religiösen Orientierungen im Spektrum von „orthodox“ bis „säkular“ werden durch Inschrift oder Gestaltung zum Ausdruck gebracht. So lässt sich aus ihnen auf vielfältige Art und Weise Geschichte schreiben, die oft nicht auf anderem Wege rekonstruiert werden kann.

Unser Projekt zielt auf eine gute und systematisch vorgenommene fotografische Dokumentation ab. Schon dies stellt vor dem beschriebenen Hintergrund eine höchst verdienstvolle Aufgabe dar. Sie helfen jenes Gedächtnis zu wahren, das derzeit in verstärktem Maße in Vergessenheit gerät. Während Friedhöfe und Grabsteine vielfach fotografiert worden sind, gibt es doch in der Regel keine vollständige Bilddokumentation, die auch die weniger auffälligen Stücke und Fragmente umfasst, und höchst selten ermöglichen die Aufnahmen später eine vollständige Lesung der Grabinschriften, weil sie beispielsweise nicht mit Streiflicht angefertigt wurden oder weil noch Gräser oder Zweige im Weg waren. Gleichwohl ist es wichtig, auch ältere Fotografien systematisch zu sammeln, denn diese bilden oft noch einen besseren Erhaltungszustand ab, der es leichter macht, die Grabinschrift zu entziffern.

Jüdische Friedhöfe Bild 3
Karte mit eingezeichneten 105 Grabsteinen in Beilstein

Die jüdischen Friedhöfe in Neumagen-Dhron und Beilstein wurden nach bisherigem Kenntnisstand um 1578 (Neumagen-Dhron) und im 17. Jahrhundert (Beilstein) angelegt. Die beiden Friedhöfe fallen heute in die Zuständigkeit der jüdischen Gemeinden in Trier (Neumagen-Dhron) und Koblenz (Beilstein); die denkmalpflegerische Betreuung liegt, wie erwähnt, bei den lokalen Behörden. Aktuell existieren in Neumagen-Dhron noch 127 Grabsteine auf einer Fläche von 3.671 m2, in Beilstein noch etwa 110 auf 1.405 m2. Diese waren bisher nicht systematisch dokumentiert und kartografiert, geschweige denn gelesen. Unser Projekt hat nun erstmals alle Grabsteine dokumentiert und Karten derselben auf den Friedhöfen erstellt. Dies wurde möglich durch die großzügige Förderung der Manfred-und-Crista-May-Stiftung in Kyllburg.

Bilder und Karte: DOKU PLUS S.à r.l.