Öffentliche Beteiligung an staatlichen Entscheidungen

Verantwortlich für das Teilprojekt "Öffentliche Beteiligung an staatlichen Entscheidungen" ist Prof. Dr. Ekkehard Hofmann.

Es ist ein wesentliches Merkmal staatlicher Entscheidungen, zugunsten erstrebter positiver Wirkungen auch Belastungen in Kauf zu nehmen. So selbstverständlich dies im „Normalbetrieb“ in Verwaltung und Rechtsetzung ist, so brisant können die Auswirkungen staatlicher Maßnahmen in Zeiten der Krise sein. In Deutschland wurden beispielsweise staatliche Entscheidungen durch Bürgerproteste im Fall  des - lange geplanten und demokratisch legitimierten -  Ausbaus eines Bahnhofs in Stuttgart in Frage gestellt. Folge waren politische Erschütterungen, wie die staatlichen Akteure sie wohl nicht erwartet hatten. Die  Belastungen, die der griechischen Bevölkerung in den vergangenen Jahren zugemutet werden mussten und weiter abverlangt werden, sind von ungleich größerem Ausmaß, und deswegen von noch größerer gesellschaftlicher Relevanz. Radikale Kräfte haben in Griechenland an Zuspruch erheblich gewonnen, was den Vollzug bereits eingeleiteter Schritte erschweren und das Ergreifen weiterer Reformen verhindern könnte. Dem gilt es auch mit Hilfe eines fortschrittlichen Demokratieverständnisses entgegenzutreten. Nach vierhundert Jahren türkischer Besatzung und einer wechselvollen Geschichte der Hellenischen Republik im 20. Jahrhundert – man denke nur an die Militärdiktatur zwischen 1967 und 1974, die noch heute spürbare Folgen hat –, ist das Verhältnis der Griechen zu ihrem Staat überwiegend von Skepsis und Enttäuschung geprägt. Wer dann in Zeiten der Krise nur auf das rechtsstaatliche Funktionieren der repräsentativen Demokratie vertraut, übersieht leicht, dass das erforderliche Mindestmaß an Akzeptanz belastender Wirkungen nicht allein durch Mehrheitsentscheidungen im Parlament zu erreichen ist. Vielmehr sind Maßnahmen der Vertrauensbildung erforderlich, die auch und gerade im Vollzug und im Einzelfall greifen müssen.

In Deutschland wie in Griechenland sind daher die bestehenden Möglichkeiten der Öffentlichkeitsbeteiligung kritisch zu hinterfragen und ihre erfolgversprechende Weiterentwicklung zu prüfen. Hier kann an neuere Entwicklungen im deutschen Infrastrukturplanungsrecht angeknüpft werden, bei der die Vielzahl neuer Entscheidungsformen mit einer noch größeren Vielzahl von Beteiligungsformen kombiniert worden ist. Blickt man etwa auf das Energierecht, so reicht die Planung und Verwirklichung neuer Windenergieanlagen von der Erstellung eines Szenariorahmens über den von der Bundesnetzagentur zu bestätigenden Entwurf eines Netzentwicklungsplans und den in Form eines Gesetzes zu erlassenden Bundesbedarfsplan bis schließlich zu den Planfeststellungsverfahren, in denen weitere Pläne wie der Bundesfachplan Offshore zu beachten sind. Auf fast jeder dieser Stufen ist eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen, zum einen Teil in mehrfacher und bisher unbekannter Form, zum anderen Teil, um europäischen Vorgaben über die strategische Umweltverträglichkeitsprüfung zu entsprechen (s. § 20 Abs. 1 NABEG, § 12d EnWG). Wie sich dieses in entscheidenden Hinsichten neue oder zumindest erheblich modifizierte System bewähren wird, muss sich angesichts eines gleichzeitig erheblich zurückgeführten Rechtsschutzes (s. etwa den Ausschluss der Anfechtbarkeit der Bestätigung des Netzentwicklungsplans nach §  12c Abs. 4 S. 2 EnWG) erst noch zeigen und bedarf der kritischen Begleitung.

Die Erfahrungen mit den bestehenden Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung lassen jedoch schon jetzt den Schluss zu, dass alleine die Schaffung und Anwendung adäquater Verfahrensvorschriften allenfalls eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für die Erzielung sachgerechter und für die Betroffenen akzeptabler Entscheidungen darstellt. Das geplante Vorhaben soll daher untersuchen, wie das Potential einer auf die jeweiligen Erfolgsbedingungen angepassten Öffentlichkeits- und Bürgerbeteiligung mit Aussicht auf Erfolg fruchtbar gemacht werden kann. Dafür ist nicht nur die rechtliche Analyse der einschlägigen Vorschriften erforderlich, sondern auch die Überprüfung ihrer Anwendung im konkreten, praktischen Fall. Über die Kontakte der Juristischen Fakultät – insbesondere die der beiden Antragsteller – soll die Vermittlung von Praktikumsstellen insbesondere bei ortsansässigen Anwaltsbüros und der Regierung von Unterfranken – einen wesentlichen Beitrag zur wirklichkeitsnahen Erfassung der Problemlagen leisten. Die in Würzburg diskutierte Einführung einer Umweltzone könnte hierfür einen ersten Ansatzpunkt bieten. Gleiches gilt für die geplante Einbindung der Universität Thessaloniki, wo der vor einigen Jahren begonnene U-Bahn-Bau unter anderem wegen archäologischer Funde erheblich verzögert wird und im Zuge der Krisenbewältigung die Privatisierung der städtischen Wasserwerke bevorsteht. Gerade im deutsch-griechischen Vergleich verschiedener Aufgaben und der jeweils herangezogenen Bewältigungs­strategien scheint uns ein erhebliches Erkenntnispotential zu liegen, mit dem sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Projekts wertvolle Kenntnisse und Fähigkeiten hinsichtlich der Eignung verschiedener Konfliktlösungsoptionen aneignen werden können. Geplant sind daher Veranstaltungen mit den an diesen Prozessen Beteiligten, insbesondere den Praktikern in der jeweiligen Verwaltung, den Betroffenen und Nichtregierungsorganisationen vor Ort.