Gemeinsam statt einsam – eine zukunftsfähige Perspektive mit dem „Lebensgeschichten“-Projekt
Gemeinsam statt einsam – eine zukunftsfähige Perspektive mit dem „Lebensgeschichten“-Projekt
„Ich bin doch so nutzlos – und am liebsten möchte ich sterben“ - Das waren die ersten Worte einer 90-Jährigen Frau, mit tieftraurigem Blick, bei unserer ersten Begegnung. Ihr Blick hat mich sehr berührt- und zum Nachdenken angeregt.
Wie können wir es zulassen, dass sich die Ältesten unserer Gesellschaft allein gelassen fühlen? Ihnen verdanken wir unsere Zukunft!
Ihre Erinnerungen sind für uns von unschätzbarem Wert, doch von Minute zu Minute gehen mehr davon in den vielen Altersheimen der Bundesrepublik verloren – und das, obwohl es doch immer mehr Senioren gibt.
Um dieser Problematik entgegenzuwirken, wurde von Prof. Dr. Jan Hofer und Dr. Dirk Kranz aus der Abteilung Entwicklungspsychologie der Universität Trier das Projekt „Lebensgeschichten“ gegründet. Wie es der Name bereits verrät, geht es hierbei vor allem um Geschichten – Lebensgeschichten.
Angeleitet von einer Gruppe Studentinnen kommt bei den wöchentlichen Treffen in einem Zeitraum von zehn Wochen eine Gruppe Schülerinnen und Schüler mit einer Gruppe Seniorinnen und Senioren ins Gespräch und die beiden Gruppen verschmelzen zu einer. In regelmäßigen Abständen füllen die Teilnehmer Fragebögen aus, welche dann zu Forschungszwecken ausgewertet werden. Aber es handelt sich hier um mehr als empirische Forschung der Abteilung Entwicklungspsychologie:
Im gemeinsamen Gespräch über wichtige Fragen des Lebens, wie „Wer bin ich?“, „Was hat die Vergangenheit mit meiner Zukunft zu tun?“, oder „Was ist Weisheit?“ können sowohl die Jungen von den Alten, als auch die Alten von den Jungen lernen.
Beide Seiten ziehen einen Vorteil daraus: Die Senioren können durch den Austausch ihre Erinnerungen verarbeiten und haben jemanden, der ihnen zuhört und sie wertschätzt. Außerdem erfüllen sie so den erwiesenermaßen wichtigen Entwicklungsschritt, der besagt, dass man seine Lebenserfahrung weitergeben muss, und erhalten andererseits einen Einblick in die für sie so fremde Lebenswelt der jungen Generation.
Für die Jugendlichen bedeutet der Austausch einen Erfahrungsgewinn, und sie können von dem hohen Allgemein-, Experten- und Sozialwissen der Senioren profitieren. Zudem erhalten sie Anregungen zur Lebensorientierung und persönlichen Identitätsfindung.
Fehlende Kommunikation ist, wie in so vielen Bereichen, oft auch hier ein Problem: Wem sind noch nicht die typischen Vorurteile, wie „die Jugend von heute“ oder „die Alten haben doch gar nichts mehr auf dem Kasten“ begegnet, welche auf beiden Seiten existieren? Es ist sehr schön zu sehen, wie diese im Laufe der Zeit durch die gemeinsamen Treffen immer weiter ausgeräumt werden können und die Teilnehmer einander näherkommen. Der Generationendialog ist unglaublich wichtig und hilft, das in vielen Bereichen verloren gegangene Verständnis der Generationen füreinander zurückzugewinnen.
Aber es gibt noch weitere wichtige Gründe für die Arbeit im Projekt: Das Voranschreiten des demographischen Wandels kann man nicht leugnen, denn es ist ein Fakt, dass bereits heute jeder 5. Deutsche über 65 Jahre alt ist.
Vertraut man den Prognosen, so wird bereits 2060 jeder 3. Deutsche über 65 sein. Dadurch wird die Last der nachfolgenden Generationen stetig größer, denn immer weniger Junge müssen immer mehr Alte versorgen. Das typische Modell der Pyramide beginnt sich also umzudrehen. Wenn man sich diese neue Konstruktion bildlich vorstellt, wird eines direkt klar: Sie ist extrem instabil.
Zeitgleich verliert die Rolle der Familie ständig weiter an Bedeutung, und auch die klassische Familie droht zu zerbrechen: Es werden immer weniger Kinder geboren… durchschnittlich nur 1,47 Kinder in deutschen Familien statt vier oder mehr; und wo früher drei oder mehr Generationen unter einem Dach lebten, sind es heute kaum noch zwei.
Woran liegt das? Preist sich Deutschland nicht immer als „besonders kinderfreundlich“ an? Ich sage dazu ganz klar „Nein!“,denn dem ist nicht so. Ein kapitalistisches System, in dem man immer Leistung erbringen muss, um nicht von der unbarmherzigen Konkurrenz abgehängt zu werden, kann nicht kinderfreundlich sein, denn dort ist kein Platz mehr für Kinder!
Ein kinderfreundliches Land definiert sich nicht durch Subventionen für seine Kinder, sondern durch eine gute Basis und ein gesundes Umfeld, in dem die Kinder behütet aufwachsen können.
Ein kinderfreundliches Land ist geprägt von einem gesunden Generationendialog und einem guten Miteinander aller.
Dort dürfen nicht Karriere und Geld an erster Stelle stehen, bevor dann irgendwann Familie und Kinder folgen. Wir müssen umdenken und dürfen nicht an dem Glauben festhalten, dass alles Neue automatisch besser ist. Natürlich kann man aber auch nicht sagen, dass früher alles besser war. Wir müssen dafür ein Bewusstsein entwickeln: für ein Leben, in dem der Mensch an erster Stelle steht und nicht der Profit.
Ich selbst bin noch in einem „Drei-Generationen-Haushalt“ aufgewachsen und habe die Erzählungen und Ratschläge meiner Großeltern immer sehr geliebt.
Warum geht diese Tradition mehr und mehr verloren? Wenn wir ganz ehrlich zu uns selbst sind, kommt vermutlich jeder zu einer Erkenntnis:
Wir haben Angst, der großen, verantwortungsvollen Aufgabe der Pflege nicht gewachsen zu sein, und so erscheint es vielen vielleicht zeitgemäßer/praktischer, die Eltern in ein Altenheim zu bringen. Aber wozu führt das? Viele Senioren vereinsamen und unzählige Erinnerungen und damit auch Werte und Traditionen gehen verloren.
Durch diese Entwicklung unserer Gesellschaft ist es eine logische Folge, dass es immer weniger Kontakte der Jüngeren zu den Älteren gibt, da man nicht mehr miteinander, sondern nur noch nebeneinander lebt.
Das führt auch zu einem zunehmenden Verständnisverlust – auf beiden Seiten.
Doch eigentlich können beide Generationen enorm viel voneinander lernen, zum Beispiel können die Jugendlichen den Älteren den Umgang mit neuen Medien beibringen - ich habe sehr oft mit meiner Oma zusammengesessen, um ihr mal wieder etwas von dem „blöden neumodischen Kram“ zu erklären, der sich für sie dann doch als sehr nützlich erwiesen hat.
Leider sind die Ansätze der Politik, dem demographischen Wandel entgegenzuwirken, meist nur oberflächlich und selten zielführend. Da reicht es nicht aus, die jüngere Generation dadurch zu „entlasten“, dass man das Renteneintrittsalter einfach anhebt, um mehr Geld in die Kassen zu spülen. Was unsere Gesellschaft eigentlich braucht, um zusammen halten zu können, ist eine tiefgründige Ursachenbekämpfung. Aber was bedeutet das in diesem Kontext überhaupt? Ich denke, es muss eine gute Basis geschaffen werden, in zweierlei Hinsicht: 1. wir brauchen wieder mehr Kinder, um die größer werdende Gruppe alter, pflegebedürftiger Menschen besser auffangen zu können (was aber nur in einem entsprechend gestalteten Umfeld möglich ist) und 2. benötigen wir ein gutes Verhältnis der Generationen untereinander, damit die junge Generation die alte gerne unterstützt und trägt.
Genau diese „Ursachenbekämpfung“ ist das Hauptziel des „Lebensgeschichten“-Projektes: Die Förderung des Generationendialogs, zur Ausbildung einer guten, tragfähigen Basis sich gegenseitig wertschätzender Generationen.
Und dass das funktionieren kann, habe ich selbst erlebt:
In einer der Projektgruppen habe ich Ruth kennengelernt. Ich habe sie zu Beginn bereits zitiert. Sie ist die letzte Überlebende ihrer Familie, sieht und hört nicht mehr gut und ist unzufrieden mit ihrem Dasein; ein Leben ist es für sie, wie sie selbst sagt, kaum mehr. Schon mit ihren ersten Worten „Ich fühle mich so nutzlos“ hat sie mein Herz berührt.
Sie hat mir gezeigt, wie wichtig der Generationendialog ist, denn durch das Projekt konnte sie wieder neuen Lebensmut schöpfen.
Deshalb ist es mein Ziel, die Idee weiter zu verbreiten, um noch mehr Menschen auf diese Weise helfen zu können. Ich bin davon überzeugt, dass das Projekt „Lebensgeschichten“ eine Zukunft hat, denn es betrifft uns alle. Egal ob jung oder alt.
Aus diesem Grund bitte ich heute Sie um Ihre Mithilfe: Unterstützen Sie das Projekt „Lebensgeschichten“; durch finanzielle Hilfe und auch durch verbale Verbreitung. Tragen Sie es mit mir in die Welt hinaus:
Für eine Zukunft, in der sich niemand mehr nutzlos fühlen muss; für Ruth!