Projekt: „Binnendifferenzierung an den Sekundarschulen der Region Trier“

Laufzeit:  Jan. 2018 – Dez. 2020, finanziert durch die Nikolaus Koch Stiftung

Die zunehmende Heterogenität schulischer Lerngruppen ist eine Realität, mit der Lehrkräfte innerhalb und außerhalb ihres Unterrichts professionell umgehen können müssen. Obwohl die auf das Leistungsvermögen bezogene Heterogenität der Schüler/-innen aus der Perspektive von Lehrkräften das wohl unterrichtlich relevanteste Merkmal ist, müssen Lehrkräfte - einem weiten Verständnis des Inklusionsbegriffs folgend- stets mit Heterogenitätsdimensionen wie individuellen Beeinträchtigungen, kulturellem Hintergrund, Sprachkompetenz, Geschlecht, Motivation, Interesse und Fähigkeitsselbstkonzept und zahlreichen anderen Facetten adäquat umgehen. Binnendifferenzierung innerhalb des Unterrichts wird – als Antwort auf die Heterogenität – in diesem Sinne als „Gesamtheit aller Maßnahmen, die der Abstimmung des Unterrichts auf unterschiedliche Subgruppen von Schüler*innen innerhalb einer Lerngruppe dienen“ (Letzel, Schneider & Pozas, 2020, S. 333) verstanden. In der wissenschaftlichen- wie auch der an Lehrkräfte gerichteten Ratgeberliteratur findet sich eine Vielzahl unterrichtlicher Herangehensweisen und Ausgestaltungsvarianten binnendifferenzierenden Unterrichts, die ich anhand einer in der Abteilung entwickelten Taxonomie in sechs Kategorien einordnen lassen: I. abgestufte Aufgaben und Materialien, II. gezielte Zusammensetzung von Schüler*innengruppen, III. Helfer- und Tutorensysteme innerhalb der Lerngruppe, IV. (gestufte) materielle Lernhilfen, V. zielerreichendes Lernen und VI. Öffnung des Unterrichts/Autonomiegewährung (Pozas & Schneider, 2019; Letzel, Schneider & Pozas, 2020). Es sei betont, dass sich die Taxonomie ausschließlich auf intentionale, d.h. vorab planbare bzw. geplante Varianten der Binnendifferenzierung bezieht. Damit ist das (ebenso notwendige) spontane Eingehen auf einzelne Schüler/-innen und deren Bedürfnisse im laufenden Unterrichtsgeschehen nicht Gegenstand der Taxonomie – dieses betrachten wir als „just good teaching“.

Im Rahmen des Projekts wurde ein Mixed-Methods-Ansatz verfolgt: Zunächst wurden in strukturierten Interviews 24 ausgewählte Lehrkräfte an Sekundarschulen in der Region Trier dazu befragt, anhand welcher Handlungsmuster und Inszenierungen sie selbst im Unterricht Binnendifferenzierung betreiben. In der Auswertung zeigte sich, dass sämtliche Nennungen der Befragten sich den o.g. sechs Kategorien der Taxonomie zuordnen ließen (Letzel & Otto, 2019), damit kann die Taxonomie als „vollständig“ angesehen werden.    

 Auf der Basis der Erträge der Interviews wurde ein Befragungsinstrument mit geschlossenen Items entwickelt, das von 295 Lehrkräften verschiedener Schulformen der Sekundarstufe I in der Region Trier bearbeitet wurde. Zu den einzelnen Kategorien binnendifferenzierender Varianten gaben die Lehrkräfte nicht nur zu der Häufigkeit Auskunft, mit der sie die einzelnen Varianten einsetzen, sondern auch zu den Intentionen, die sie dabei verfolgen sowie (retrospektiv) zu der Wirksamkeit dieses unterrichtlichen Handelns. Neben dieser Betrachtung auf Mikroebene vor Ort in der Region Trier wurden im Projekt parallel auch auf Makroebene national repräsentative Daten aus dem Bildungspanel NEPS analysiert. In beiden Analyseebenen zeigte sich, dass Varianten der Öffnung des Unterrichts sowie die Arbeit mit abgestuften Aufgaben und Materialien die bei weitem am häufigsten umgesetzten Realisierungen unterrichtlicher Binnendifferenzierung ist. Nur in wenigen Fällen geben Lehrkräfte dagegen an, mit Helfer- und Tutorensysteme innerhalb der Lerngruppe oder Umsetzungen zielerreichenden Lernens zu arbeiten. Da jedoch genau diese beiden letztgenannten Kategorien laut Hattie (2009) diejenigen der sechs binnendifferenzierenden Varianten sind, welche die größten (fachlichen) Lerneffekte erzielen, kann gefolgert werden, dass in der Schulpraxis der deutschen Sekundarstufe I die potentiell durch eine variantenreiche Binnendifferenzierung zu erzielenden Effekte nicht annähernd erreicht werden.

In den Analysen zeigte sich ferner, dass Angaben von Lehrkräften zur Häufigkeit, mit der sie in ihrem Unterricht intentional bzw. geplant binnendifferenzierend arbeiten, signifikant davon abhängt, in welcher Qualität sie sich durch ihr Lehramtsstudium spezifisch auf diese Aufgabe vorbereitet sehen (Letzel, 2021).

Im Kontext des Projekts entstand auch das Instrument TAT-Dis zur Messung der Einstellungen der Lehrkräfte gegenüber der Binnendifferenzierung (Letzel, Pozas & Schneider, 2020). Die Skalen des Instruments haben sich als prädiktiv für die unterrichtspraktische Umsetzung erwiesen. Dieses Instrument wurde zwischenzeitlich in mehrere Sprachen übersetzt und wird derzeit in internationalen Untersuchungen eingesetzt

Literatur auf Basis des Projekts:

Letzel, V., Pozas, M., & Schneider, C. (2022). Challenging but positive! – An exploration into teacher attitude profiles towards differentiated instruction (DI) in Germany. British Journal of Educational Psychology, 00, 1–16. https://doi.org/10.1111/bjep.12535

Letzel, V. (2021). Binnendifferenzierung in der Schulpraxis – Eine quantitative Studie zur Einsatzhäufigkeit und zu Kontextfaktoren der Binnendifferenzierung an Sekundarschulen. https://ubt.opus.hbz-nrw.de/frontdoor/index/index/docId/1667

Letzel, V., Schneider, C., & Pozas, M. (2020). Binnendifferenzierende Herangehensweisen zum Umgang mit Heterogenität im Unterricht der Sekundarstufe I: Vorschlag einer Taxonomie zur Systematisierung. Empirische Pädagogik, 34(4), 331–349.

Letzel, V., Pozas, M. und Schneider, C. (2020). “It’s all about the attitudes!“ – Development and validation of an instrument to assess attitudes towards the inclusive practice of Differentiated Instruction. International Journal of Inclusive Education. doi.org/10.1080/13603116.2020.1862402

Letzel, V., Otto, J., & Schneider, C. (2019). "Ich hoffe, dass ich treffsicher bin.": Eine qualitative Studie zu Diagnosekriterien und Differenzierungsmaßnahmen der Lehrkräfte. In H. Knauder & C.-M. Reisinger (Eds.), Individuelle Förderung im Unterricht: Empirische Befunde und Hinweise für die Praxis (pp. 69–84). Waxmann.

Letzel, V. & Otto, J. (2019). Binnendifferenzierung und deren konkrete Umsetzung in der Schulpraxis – eine qualitative Studie. Zeitschrift für Bildungsforschung. https://doi.org./10.1007/s35834-019-00256-0

Pozas, M., Letzel, V. & Schneider, C. (2019). Teachers and differentiated instruction: exploring differentiation practices to address student heterogeneity. Journal of Research in Special Educational Needs. https://doi.org/10.1111/1471-3802.12481

Pozas, M., & Schneider, C. (2019). Shedding Light on the Convoluted Terrain of Differentiated Instruction (DI): Proposal of a DI Taxonomy for the Heterogeneous Classroom. Open Education Studies, 1(1), 73–90.https://doi.org/10.1515/edu-2019-0005