Bürgerausschüsse in Aachen in der Spätphase des Alten Reiches. Innerstädtische Partizipationsbestrebungen zwischen Gemeindeliberalismus und Klientelismus

Aachen, Stadtansicht Merians (1645). Rechte: Wiki Commons. Zum Vergrößern klicken

Seit dem späten Mittelalter veränderte sich in vielen deutschen Städten das Erscheinungsbild der politischen Repräsentationskörperschaften: Neben die altangestammten Magistrats- und Schöffenkollegien traten in zahlreichen Reichs-, aber auch größeren Autonomie- und teils sogar in Kleinstädten neue Bürgervertretungen unter verschiedenen Bezeichnungen auf. Gemein war ihnen der Drang nach Kontrolle der Ratstätigkeiten und unweiglerich auch nach Teilhabe an der Ausübung ratsobrigkeitlicher Funktionen. Diese Gremien hatten oft über einen langen Zeitraum hinweg Bestand, oder aber sie bildeten sich situativ in aufkeimenden Konflikten. Als eingespielte Instrumente bürgerschaftlicher Meinungsrepräsentation und -artikulation exponierten sich Bürgerausschüsse mehr denn je im Zuge jener innerstädtischen Auseinandersetzungen, die sich in den rund zwei Jahrzehnten vor der Französischen Revolution massiv häuften. Das Teilprojekt hat das Ziel, die Diversifizierung städtischer Herrschaftsstrukturen und Partizipationsformen im Spannungsfeld eines primär ökonomisch moti-vierten Verteilungskampfes und eines vornehmlich ideell motivierten Stadtrepublikanismus ins Auge zu fassen. Sein Interesse gilt der Weiterentwicklung partizipativer Institutionen in der städtischen politischen Kultur und ihrer Bedeutung für die Herausbildung des deutschen Konstitutionalismus und Frühliberalismus um 1800.

Anhand der überaus signifikanten Verfassungskämpfe in Aachen seit den 1780er Jahren ("Aachener Mäkelei") nimmt sich das Projekt eine Neuperspektivierung dieser Vertretungskörpferschaften an. Eine der Leitfragen ist, welche Motive magistratskritische Personengruppen bei der Erhebung und Geltendmachung politischer Partizipationsansprüche tatsächlich leiteten und welche Veränderungen sie im Einzelfall wie in genereller Sicht erwirkten. Ein besonderes Augenmerk wird auch der Frage zu gelten haben, wo Anfechtungen der Ratspolitik tatsächlich sachbedingt waren, wo dagegen bürgerschaftliche Partizipationsansprüche von partikularen, mithin klientelären Interessen getragen wurden. So verbanden beispielsweise die Exponenten der selbsternannten „Neuen Partei“ in Aachen in den 1780er und 1790er Jahren mit ihrer Kritik an der Ratsoligarchie die Hoffnung, ihrerseits in genau dieselben exklusiven Kreise aufzusteigen, die ihnen die längste Zeit über versperrt gewesen waren. Der typischerweise mittels republikanischer Rhetorik überhöhte Ruf nach „Partizipation“ bedeutete in diesem Licht also keine Kritik am Prinzip, sondern an der Einseitigkeit einer meist über lange Zeit praktizierten Monopolpolitik des politischen Establishments.

 

Literatur (in Auswahl):

  • Birtsch, Günter, Soziale Unruhen, ständische Gesellschaft und politische Repräsentation. Trier in der Zeit der Französischen Revolution 1781–1794, in: Mentalitäten und Lebensverhältnisse. Beispiele aus der Sozialgeschichte der Neuzeit. Rudolf Vierhaus zum 60. Geburtstag, hg. von Mitarbeitern und Schülern, Göttingen 1982, S. 143–159.
  • Carl, Horst, Die Aachener Mäkelei 1786 bis 1792: Konfliktmechanismen im alten Reich, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 92 (1985), S. 103–187.
  • Ehbrecht, Wilfried, Konsens und Konflikt. Skizzen und Überlegungen zur älteren Verfassungsgeschichte deutscher Städte, hg. v. Peter Johanek (= Städteforschung A 56), Köln/Weimar/Wien 2001.
  • Fahrmeir, Andreas, Stadtbürgerliche Strukturen und Bürgerlichkeit – Deutschland und England im Vergleich, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 139/140 (2003/2004), S. 89–107.
  • Lau, Thomas, Unruhige Städte. Die Stadt, das Reich und die Reichsstadt (1648–1806) (= Bibliothek Altes Reich, Bd. 10), München 2012.
  • Laux, Stephan, Aktuelle Perspektiven der vergleichenden Städteforschung am Beispiel des Rheinlandes, in: Geschichte in Köln 62 (2015), H. 1, S. 7–17.
  • Laux, Stephan, Kränzchen, Mäkelei und Klüngel: Kommunale Schriftführung in rheinischen Städten zwischen Arkanpolitik und Öffentlichkeit (16.–18. Jahrhundert), in: Sprachwissenschaft 41 (2016), H. 3–4, S. 243–269.
  • Müller, Klaus, Studien zum Übergang vom Ancien Régime zur Revolution im Rheinland. Bürgerkämpfe und Patriotenbewegung in Aachen und Köln, in: Rheinische Vierteljahresblätter 46 (1982), S. 102–106.
  • Schilling, Heinz/Diederiks, Herman (Hgg.), Bürgerliche Eliten in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland. Studien zur Sozialgeschichte des europäischen Bürgertums im Mittelalter und in der Neuzeit (= Städteforschung A 23), Köln/Weimar/Wien 1985.

 

Projektart: Forschungsprojekt gefördert durch die DFG (Bewilligung im Juli 2018)

Projektleitung: Prof. Dr. Stephan Laux

Projektbearbeiter: Michel Jäger M.A.