Teilprojekt 1
Interaktion und Organisation: Aschkenasische Juden in Oberitalien während des 15. und frühen 16. Jahrhunderts
Für die Neugestaltung jüdischer Lebenswelten am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit war Oberitalien von enormer Bedeutung. Die kulturelle Identität des nordalpinen, „aschkenasischen“ Judentums wurde hier bewahrt und konsolidiert. Die Gemeinden waren von der Zuwanderung aus den deutschen Gebieten des Reichs seit Ende des 14. Jahrhunderts wesentlich geprägt.
Das Teilprojekt erforscht die jüdischen Akteure sowie deren Vernetzung und Organisation auf dem Festlandterritorium (Terraferma) der Stadt Venedig. Die Rahmenbedingungen für aschkenasisch-jüdisches Leben in der venezianischen Diaspora lassen sich aus den detaillierten Verträgen (condotte) zwischen jüdischen Banken und den Repräsentanten christlicher Herrschaft rekonstruieren. Sie enthalten Bestimmungen zu geschäftlichen, kultischen und interreligiösen Fragen. Immer wieder sind hier Abmachungen zu finden, die Traditionen aus dem Reichsgebiet aufgreifen und festschreiben. Auffällig ist die hervorgehobene Rolle von Frauen, die als autonome Vertragsnehmerinnen für eine jüdischen Bank oder gemeinsam mit männlichen Bankiers auftreten konnten. Mit Hilfe derartiger Informationen, aber auch mit weiteren Hinweisen aus der kommunalen wie notariellen Überlieferung einzelner Städte werden im Teilprojekt die Familien- und Geschäftsstrukturen aschkenasischer Juden nachgezeichnet, um so ein Bild von den Lebenswelten innerhalb eines mediterranen und damit neuartigen kulturellen Umfeldes zu entwickeln.
In der ersten Förderphase werden zunächst die kommunalen und notariellen Akten zu Padua (Archivio di Stato di Padova) und Mestre (im Archivio di Stato di Venezia) gesichtet, deren jüdische Gemeinden u. a. durch den Zuzug aus Treviso seit den 40er Jahren des 15. Jahrhunderts überlokale Bedeutung erlangten.
Team
Projektleitung: Prof. Dr. Lukas Clemens
Wissenschaftliche Mitarbeiterin: Emily Hui Cheng M.A.
Gastwissenschaftlerin (2025/26): Prof. Dr. Alessandra Veronese
Titelabbildung: Karte der jüdischen Niederlassungen in der venezianischen Terraferma zwischen 1400 und 1450
Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus: Angela Möschter, Die Juden der venezianischen Terraferma und ihre Einbindung in regionale und überregionale Netzwerke, in: Beziehungsnetze aschkenasischer Juden während des Mittelalters und der frühen Neuzeit, hg. von Jörg R. Müller, Hannover 2008 (Forschungen zur Geschichte der Juden 20), S. 177–195, hier S. 181.