Teilprojekt 4

Das Teilprojekt untersucht die vielschichtigen Migrationsbewegungen jüdischer Akteure aus dem spätmittelalterlichen Reichsgebiet nach Polen. Dort ist um die Mitte des 16. Jahrhunderts ein weit verzweigtes und gut organisiertes Judentum mit bedeutenden zentralen Gemeinden deutlich fassbar. Über die frühe Entwicklung dieser Gemeinwesen und die Herkunft ihrer Mitglieder ist allerdings vor allem aufgrund der unzureichenden urkundlichen und historiographischen Überlieferung noch wenig bekannt.

Das Teilprojekt widmet sich diesem seit langer Zeit identifizierten Forschungsdesiderat, indem es die jüdische Einwanderung nach Polen am Beispiel ausgewählter urbaner Zentren des großpolnischen Landesteils analysiert. Als Quellengrundlage dient vornehmlich die seit dem späten 14. Jahrhundert in weiten Teilen erhaltene serielle Überlieferung der Gerichtsbarkeit königlicher Administration aus Posen, Kalisch und weiteren großpolnischen Städten. Über einen Zeitraum von etwa einem halben Jahrhundert (1386–1434) werden diese noch kaum beachteten Gerichtsbücher mit Blick auf die darin in Erscheinung tretenden jüdischen Akteure untersucht. Auf diese Weise sollen neue Aufschlüsse über die jüdischen Protagonisten, ihre vielfältigen Verflechtungen und Bewegungen im Raum, aber auch ihre gemeinschaftliche Organisation gewonnen werden.

Besonderes Augenmerk gilt der Frage, ob und wie das Erscheinen der jüdischen Akteure in den untersuchten Städten mit den disruptiven Ereignissen zusammenhängt, die seit den achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts das Schicksal der Minderheit in den deutschen Landen geprägt haben, wie also die Einwanderung nach Polen als Teil der damit verbundenen jüdischen Migrationsbewegungen zu verstehen ist. Damit leistet das Teilprojekt einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Transformation prekärer jüdischer Existenz in neue Lebenswelten jenseits des Reichsgebiets.

Team

Projektleitung: Dr. Jörg Müller