Colonial Governance und Mikrotechniken der Macht: Englische und französische Kolonialbesitzungen in Nordamerika, 1680-1760

Projektleitung: Prof. Dr. Ursula Lehmkuhl

Projektmitarbeiter*innen: Dr. Dominik Nagl, Dr. Marion Stange

Laufzeit: 2006-2009

Teilprojekt B3 des SFB 700: Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit

Die Studie erforschte den Zusammenhang von institutionalisierten Herrschaftsformen, politischer Macht und Steuerungshandeln im historischen Kontext frühneuzeitlicher Siedlungskolonien in Nordamerika. Auf der Basis eines mikrohistorisch fundierten Vergleichs ausgewählter politischer Räume in französischen und englischen Kolonien wurden die sich im Hinblick auf die politische Aufgabe der Sicherung der materiellen Voraussetzungen für die Besiedlung und wirtschaftliche Stabilisierung der Kolonie entwickelnden Governance-Formen, die sie charakterisierenden Machtmechanismen sowie die auf der Mikroebene zum Einsatz kommenden Steuerungsinstrumente rekonstruiert. Das Projekt analysierte dazu Formen des Regierens, in denen nicht primär die Politik des Kolonialstaates gegenüber seinen Bürgern im Vordergrund stand, sondern Mechanismen der Selbstregulation und Selbstregierung der Siedlergemeinschaften. Gerade in diesen „Mikrotechniken der Macht“ (Foucault) konnte das Zusammenwirken von privaten, subjektbezogenen Formen von Regieren und die Veralltäglichung von Governance in Alltagspraktiken von Kirche, Schule, Familie und Medien sichtbar gemacht werden. Als Beitrag zum Gesamt-SFB prüfte das Projekt in zwei Teiluntersuchungen, welche Bedeutung das Zusammenspiel von hierarchisch konstruierten Herrschaftsbeziehungen und relational wirkenden Machtinstrumenten für die Ausbildung kolonialer Governance-Formen hatte.

Forschungsergebnisse

Stange, Marion (2009): Governance of Health. Disease Control and Health Care in Colonial South Carolina und Louisiana, 1720-1763 (Dissertation, FU Berlin)

In dieser synchron vergleichend angelegten Dissertation untersuchte Marion Stange den politischen und gesellschaftlichen Umgang mit dem Problem von Seuchenbekämpfung und Krankheitsfürsorge in einer französischen und einer britischen Kolonie Nordamerikas – South Carolina und Louisiana – in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Dissertation kam zu dem Ergebnis, dass die lokalen Gegebenheiten innerhalb der Kolonien einen mindestens ebenso großen Einfluss auf die Gestalt lokaler Governance-Formen hatten wie die Struktur des jeweiligen Kolonialregimes. Die Ähnlichkeit der Kontextbedingungen für politisches Handeln im Bereich von Klima, Geographie, Wirtschaft und Sicherheit bedingte offensichtlich einen Adaptionsprozess, der dazu führte, dass die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen für das Regieren in der französischen und der englischen Kolonie nivelliert wurden.

Nagl, Dominik (2011): 'No part of the mother country, but distinct [...] dominions'. Rechtstransfers, Staatsbildung und Governance in England, Massachusetts and South Carolina, 1630-1769 (Dissertation FU Berlin)

Die Dissertation zielte auf „die Erklärung der Genese, Übertragung, Adaption, Modifikation, Umfunktionierung, teilweisen funktionalen Substitution oder Ergänzung sowie der besonderen kolonialen Funktionsweise“ der wichtigsten staatlichen und nicht staatlichen Regierungsmechanismen, Rechtsnormen, Gerichts- und Verwaltungsinstitutionen sowie sozialen Straf- und Disziplinierungspraktiken Englands auf die britischen Kolonien in Nordamerika am Beispiel der beiden englischen Kolonien South Carolina und Massachusetts. Die Dissertation zeichnet auf einer ungeheuer breiten Quellenbasis nach, wie die institutionellen Grundlagen des englischen Rechtssystems aufgrund von höchst unterschiedlichen geographischen, klimatischen, ethnischen, ökonomischen und religiösen Rahmenbedingungen in jeweils sehr spezifischer, nicht linearer sondern rhizomatischer Weise institutionell adaptiert und weiterentwickelt wurden. Dominik Nagl arbeitete in der Perspektive der „longue durée“ institutionelle Knotenpunkte, nicht-intendierte institutionelle Eigenentwicklungen und vor allem aber die Heterogenität und Vielfältigkeit der den Staatsbildungsprozess in den englischen Kolonien begleitenden institutionellen und normativen Grundlagen heraus.

Publikationen

Lehmkuhl, Ursula (2007): Regieren im kolonialen Amerika: Colonial Governance und koloniale Gouvernementalité in französischen und englischen Siedlungskolonien, in: Regieren ohne Staat? Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit, eds. U. Lehmkuhl / Th. Risse (Baden-Baden: Nomos), 111-133.

Nagl, Dominik/Marion Stange (eds.) (2008): Die USA. Quellen und Texte zur Geschichte und Politik, Stuttgart.

Hoeppner, Ulrike/Dominik Nagl (2008): Jenseits der Staatlichkeit. Governance und Gouvernementalität als postmoderne Konzepte des Regierens, in: Sybille de la Rosa / Ulrike Hoeppner / Matthias Kötter (eds.), Transdisziplinäre Governanceforschung. Gemeinsam hinter den Staat blicken (Baden-Baden: Nomos), 111-133.

Hoeppner, Ulrike/Dominik Nagl (2008): Governance e governamentalità nelle aree di statualità limita, in Giovanni Fiaschi (ed.), Governance oltre lo Stato?, Rubbettino, 143-166.

Hoeppner, Ulrike/Dominik Nagl (2008): Jenseits der Staatlichkeit. Governance und Gouvernementalität als postmoderne Konzepte des Regierens, in: Sybille de la Rosa / Ulrike Hoeppner / Matthias Kötter (eds.), Transdisziplinäre Governanceforschung. Gemeinsam hinter den Staat blicken (Baden-Baden: Nomos), 111-133.

Hoeppner, Ulrike/Dominik Nagl (2008): Governance e governamentalità nelle aree di statualità limita, in Giovanni Fiaschi (ed.), Governance oltre lo Stato?, Rubbettino, 143-166.

Nagl, Dominik/Marion Stange (2009): Staatlichkeit und Governance im Zeitalter der europäischen Expansion. Verwaltungs­strukturen und Herrschafts­institutionen in den britischen und französischen Kolonialimperien (SFB-Governance Working Paper Series, Nr. 19, DFG Sonderforschungs­bereich 700), Berlin.

Stange, Marion (2012): Vital Negotiations: Protecting Settlers’ Health in Colonial Louisiana and South Carolina, 1720–1763 (Göttingen: V&R Press).

Nagl, Dominik (2012): Policing the Periphery – Polizei, Gewalt und englische Rechts­institutionen im kolonialen South Carolina, in: Comparativ. Zeitschrift für Globalgeschichte und Vergleichende Gesellschafts­forschung 22, 17-49.

Nagl, Dominik (2013): No Part of the Mother Country, but Distinct Dominions – Rechts­transfer, Staats­bildung und Governance in England, Massachusetts und South Carolina, 1630-1769 (Berlin: LIT Verlag).

Nagl, Dominik (2013): The Governmentality of Slavery in Colonial Boston, 1690-1760, in: Zeitschrift für Amerika­studien, 5-26 (Best Article Award der Deutschen Gesellschaft für Amerika­studien).