Kulturwochen gegen Antisemitismus 2023
Die Idee
Die documenta 15 wollte im Jahr 2022 ein Zeichen für kulturelle Vielfalt, Gemeinschaft und Toleranz setzen - stattdessen wurde sie ein Symbol des virulenten Antisemitismus in der internationalen Kunstszene. Als kurz nach Beginn der Ausstellung das riesige Gemälde der Künstlergruppe taring padi enthüllt wird, ist das Einsetzen groß: Das dreiteilige Kunstwerk enthält antisemitische Darstellungen von Juden mit langen Reißzähnen. Doch damit nicht genug: Weitere antisemitische Bilder werden entdeckt und antisemitische Propagandafilme unkritisch gezeigt.
Schnell wurde die Frage laut: Wie konnte es zu diesem Skandal kommen? Wie kann eine Veranstaltung, die im vermeintlich kultursensiblen Künstlermilieu stattfindet und Antifaschismus zur Leitlinie erhoben hat, antisemitische Abbildungen dulden? Und darauf aufbauend: Wie gehen wir um, mit der unkritischen Verwendung antisemitischer Topoi in der Kunst- und Kulturszene?
Auf diese und weitere Fragen wollen die Kulturwochen 2023 antworten. Nach dem großen Erfolg der ersten Kulturwochen im Mai und Juni 2022 gehen die Kulturwochen 2023 mit neuen, innovativen Formaten dem Verhältnis von Kunst und Widerstand auf den Grund und untersuchen, in welchen Formen Antisemtismus in der Kunstszene präsent ist. Dazu laden wir jüdische Künstler:innen, aber auch Journalist:innen, Wissenschaftler:innen, Kritiker:innen uvm. im September 2023 nach Trier ein. Es wird dabei geschauspielert, gesungen, debattiert, gerappt, gefilmt und gestritten und dabei der Frage nachgegangen: Ist das Kunst oder kann das weg?
Die "Kulturwochen gegen Antisemitismus" präsentieren daher Perspektiven prominenter jüdischer und nichtjüdischer Künstler*innen, Wissenschaftler*innen, Journalist*innen und Aktivist*innen gegen Antisemitismus - mit dabei: Mirna Funk, Ben Salomo, Wolfgang M Schmitt, DRE1NE, 50 Schekel, Anastasia Tikhomirova uvm.
Dokumentationsbroschüre der Kulturwochen 2022 zum Download
Die offizielle Dokumentationsbroschüre der IIA zu den "Kulturwochen gegen Antisemitismus 2022" steht zum Download zur Verfügung. Die Broschüre versammelt neben einer Vielzahl von Fotos, die die Atmosphäre der Veranstaltung einfangen, auch kurze inhaltliche Skizzen der Veranstaltungen sowie eine leicht gekürzte Fassung der Eröffnungsrede von Lennard Schmidt.
Download der Broschüre
Die Veranstaltungen
Ausstellung: "Nächstes Jahr in..." Comics und Episoden jüdischen Lebens
07. September | Kulturspektrum Trier | Vernissage: 07. September um 19 Uhr
mit Eröffnungsrede und Gespräch über die Ausstellung mit Tine Fetz (Künstlerin) und Jonas Engelmann (Ventil Verlag)
Wer hörte je vom berüchtigten jüdischen Räuberhauptmann Abraham Picard, dem sich selbst der Schinderhannes unterordnete? Oder von der 1947 gegründeten jüdischen Berufsfachschule Masada in Darmstadt, in der Jugendliche, die Krieg und die Konzentrationslager überlebt hatten, auf ein Leben in Israel vorbereitet wurden? Für die Anthologie »Nächstes Jahr in« wurden ungewöhnliche Episoden jüdischen Lebens zusammengetragen und in Comicstrips übersetzt. Daraus formt sich ein Panorama jüdischer Geschichte in Deutschland – ein Blick auf die Vielfalt des Judentums, auf Ausgrenzung und Assimilation, Verfolgung, Aufbruch und Ankommen. Ohne Klischees zu bedienen, blicken die Zeichner:innen auf religiöse Rituale, jüdische Kunst und Kultur, auf Alltagsantisemitismus, Verfolgung und Widerstand und nicht zuletzt auf jüdischen Humor. Sie erzählen von Exilant:innen, von Kaufleuten und Künstler:innen, von Musiker:innen und Gauner:innen.
Die Ausstellung kann entweder auf Anfrage eingesehen werden oder eine Stunde vor jeder Veranstaltung der Kulturwochen, die im Kulturspektrum stattfindet.
Lesung und Gespräch mit Mirna Funk
10. September | Kulturspektrum Trier | 20 Uhr
Mirna Funk, geboren 1981 in Ostberlin, studierte Philosophie und arbeitet heute als Autorin sowie freie Journalistin – und sie ist eine der gefragtesten jüdischen Stimmen in Deutschland. Mal polemisch, mal versöhnlich, aber immer präzise berichtet sie über den grassierenden Antisemitismus in Deutschland, aber auch darüber, wie jüdische Kultur im Jahr 2023 aussieht: Was bedeutet es, eine jüdische Frau in Deutschland zu sein? Welches Verhältnis haben deutsche Jüdinnen und Juden zu Israel? Wie geht man mit Gewalterfahrungen in der eigenen Familien- und Lebensgeschichte um?
All diesen Fragen wird die gefeierte Autorin und Journalistin in einer Lesung nachgehen. Im Anschluss gibt es die Möglichkeit, Fragen zu stellen und zu diskutieren.
Szenische Collage: „An allem sind die Juden schuld! Heute anders als vor 100 Jahren?“
13. September | Kulturspektrum Trier | 19 Uhr
Die szenische Collage „An allem sind die Juden schuld“ greift nicht nur nominell das satirische Couplet des deutschen Komponisten Friedrich Hollaender auf: Radikal verfremdet singen, schauspielern, reimen, zerstückeln, parodieren, überhöhen und widerlegen die Künstler um Sophie Brüss antisemitische Narrative aus – wie es im Ankündigungstext heißt – eintausendsiebenhundert Jahren antisemitischer „Erfolgsgeschichte“. Im Anschluss an das „bittersüße“ Theaterstück mit musikalischer Unterlegung folgt ein Publikumsgespräch mit dem Ensemble.
Theaterstück: „Jud sauer“
14. und 24. September | Kulturspektrum Trier | 19 Uhr
Vier jüdische Partisanen, Kämpfer , sind alt geworden. An ihrem Lebensabend finden sie erneut beisammen; Erinnerung und Schmerz in sich tragend, verbunden durch ihre Lebensgeschichten, getrennt durch individuelle Unterschiede. Alle aber stellen sie sich dieselben Fragen: War es richtig, in Deutschland zu bleiben, warum sind sie hier? Wann ist ein Schmerz verjährt? Um wie viel Uhr? Sie streiten, sie trösten sich, sie rezitieren Schiller und Hamlet und arbeiten ihre Vergangenheit auf. Ignatz Sauer, einer von ihnen, ist der titelgebende Jud Sauer. Er ist ein Jude, der weder die eigene noch die kollektive Vergangenheit beschönigen, kein “öffentlicher Jude” und kein “Tanzbär der Geschichte” sein will.
Luisa Gärtner inszeniert mit “Jud Sauer” ein Stück der jüdischen Theaterregisseurin Adriana Altaras, das geschickt mit intertextuellen Referenzen aus 20 Jahrhunderten (antisemitischer?) Literaturgeschichte spielt.
Eine Voranmeldung bis zu drei Tagen vor Beginn des jeweiligen Termins unter iiauni-trierde ist verpflichtend.
Filmnacht mit Wolfgang M. Schmitt: „Leg dich nicht mit Zohan an“
22. September | Wissenschaftliche Bibliothek Trier | 18:30 Uhr
Eigentlich ist Zohan Dvir die Geheimwaffe des israelischen Geheimdienstes und löst im Namen des israelischen Staates jede noch so brenzlige Situation – doch seit langem ist er des Kämpfens müde. Er wäre viel lieber Friseur und würde den ganzen Tag Hacky-Sack spielen. Also täuscht Zohan seinen Tod vor und wird bald New Yorks neuer Starfriseur. Doch auch seine alte Nemesis, der palästinensische Terrorist Phantom, lebt unter neuer Identität in Amerika. Bald müssen sich die beiden Todfeinde verbünden, um einem weitaus größeren Feind zu begegnen…
Im Anschluss an die Vorführung in der Wissenschaftlichen Bibliothek hält der Filmkritiker und Autor Wolfgang M. Schmitt einen Vortrag über die Inhalte des Films. Anschließend findet unter der Moderation von Maximilian T. E. J. Müller eine offene Diskussion mit dem Publikum statt.
Der Eintritt ist frei.
Vortrag: "Antisemitismus in Russland und im Angriffskrieg gegen die Ukraine"
26. September | Kulturspektrum Trier | 19 Uhr
Am 24. Februar 2022 überfiel Russland die Ukraine und ließ den bereits seit 2014 schwelenden Konflikt vollends eskalieren. Putin rechtfertigte die “militärische Spezialoperation” u.a. mit der Propagandalüge, dass die ukrainische Regierung von Nazis unterwandert sei; nicht Machtstreben sei somit das Ziel des Krieges, sondern ein Kampf Gut gegen Böse, in dem er selbst der Retter des ukrainischen Volkes und der gewählte Präsident Selensky ein jüdischer Teufel sei. Nicht die einzige antisemitische Verschwörungserzählung in der russischen Kriegspropaganda! Im Vortrag geht Anastasia Tikhomirova der Frage nach, welche Rolle Antisemitismus im russischen Angriffskrieg spielt.
Anastasia Tikhomirova ist freie Journalistin (vor allem bei ZEIT ONLINE und "taz"), Kulturwissenschaftlerin und Moderatorin.
Moderiert wird die Veranstaltung von Vanessa Roth (JuFo Trier).
Filmnacht mit Ben Salomo: „Ein nasser Hund“
27. September | Broadway Filmtheater Trier | 19:30 Uhr
Soheil, Sohn iranischstämmiger Juden, zieht mit seiner Familie nach Berlin-Wedding und wird dort zum Opfer von muslimischen Jugendbanden, die ihn beleidigen, ausgrenzen, schlagen – und alles nur, weil er Jude ist! Soheil reicht es: Fortan verschweigt er seine jüdische Identität und passt sich den Gepflogenheiten der Berliner Gangs an. Schnell steigt er in der Hierarchie auf und erlebt sogar mit Selma seine erste Liebe. Durch einen Zufall erfahren seine neuen Freunde jedoch davon, dass er Jude ist und Soheil steht plötzlich zwischen allen Fronten.
Im Anschluss an den Film sprechen der Antisemitismusforscher Lennard Schmidt und der Rapper Ben Salomo über Antisemitismus in der Jugendkultur, deutschen Hip-Hop und die 90er Jahre in Berlin.
Rapkonzert mit Podiumsdiskussion "Rap und Antisemitismus"
28. September | Kulturspektrum Trier | 19 Uhr
Nicht erst seit der öffentlichen Diskussion um die beiden Gangsta-Rapper Kollegah und Farid Bang im Kontext der Echo-Verleihung steht der deutsche Rap in der Kritik: Manche Texte knüpfen an antisemitische Ressentiments und Welterklärungsmuster an, israelbezogener Antisemitismus werde nicht nur geduldet, sondern vielerorts sogar befördert und antisemitisch grundierte Verschwörungserzählungen seien ein gängiges Stilmittel in den Texten vieler Rapper. Die Problematik gewinnt durch die Beliebtheit, die Deutschrap bei Jugendlichen und Kindern genießt, eine gesamtgesellschaftliche Dringlichkeit; schließlich beeinflussen die Inhalte der Rapmusik mittelbar und unmittelbar das jugendliche Denken.
Während die Kritik v.a. von Akteur:innen außerhalb des deutschen Raps formuliert wird, kämpft der Rapper und ehemalige Moderator des beliebten Formats “Rap am Mittwoch” Ben Salomo seit 2018 mit Vorträgen gegen den um sich greifenden Antisemitismus in der Szene. Auf der Veranstaltung stehen ihm als musikalische Begleitung zur Seite: Die beiden jüdischen Rapper 50 Schekel und DRE1NE. Auch sie haben antisemitische Diskriminierung erfahren und rappen nun dagegen an. In einer anschließenden Podiumsdiskussion stoßen zur Rapformation die Leiterin der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Bayern Dr. Anette Seidel-Arpacı sowie der Wissenschaftler Dr. Marc Grimm (Uni Wuppertal) dazu.