Jahrestagung 2016 vom 14.-15.10.2016 in Trier

Thema: „Parteien als Organisationen“

 

 

Das Programm der Tagung finden Sie hier (pdf).

 

Parteien als Organisationen - Typen, Herausforderungen, Reaktionen

Die diesjährige Tagung des Arbeitskreises Parteienforschung fand am 14. und 15. Oktober in Trier zum Thema Parteien als Organisationen statt und beschäftigte sich mit den vielfältigen, aktuellen Anforderungen an Parteien und die Parteienforschung. Das Sprecherteam des Arbeitskreises (Prof. Dr. Uwe Jun, Prof. Dr. Tim Spier und Dr. Sebastian Bukow) begrüßte die Kollegen – bereits zum zweiten Mal in der Geschichte des Arbeitskreises – in Trier. Organisiert wurde die Tagung von Dr. Isabelle Borucki und dem Lehrstuhlteam von Prof. Dr. Jun. Die Tagung startete mit ihrem ersten Themenblock ‚Parteitypen‘.

 

Dr. Philipp Erbentraut (Frankfurt am Main) setzte sich mit „Oligarchie, Demokratie, Anarchie – drei Idealmodelle vormärzlicher Parteiorganisation“ auseinander. Er präsentierte im Anschluss an seine Dissertation die vormärzliche Parteiendiskussion in Deutschland. Er analysierte hierzu eine Vielzahl historischer Quellen und zeigte, dass bereits in der Epoche des Vormärz parteienorganisationstheoretische Diskussionen nicht fehlten. Dies widerspricht der arrivierten Sicht der Forschung, dass Parteien im Vormärz weitgehend als lose Gruppierungen verstanden wurden. Erbentraut zeigte ebenfalls auf, dass sich die parteientypologischen Überlegungen des Vormärz empirisch wie konzeptionell durchaus an zeitgenössischen modernen Parteiorganisationen messen lassen können.

 

Prof. Dr. Elmar Wiesendahl (Hamburg) berichtete über „50 Jahre ‚Catch-All Party‘ – zur Vitalität eines totgesagten Parteityps“. Er plädierte dafür, die These vom Aufstieg und der Verbreitung der Catch-All Party nach Otto Kirchheimer von 1965 nicht als überholt anzusehen. Wiesendahl empfiehlt vielmehr, den prognostischen Charakter des Aufsatzes wertzuschätzen und konstatiert eine „Hochzeit der Catch-All-Partei“. Zudem warnte er vor einer Gleichsetzung der Begriffe der Volkspartei und der Catch-All-Partei, die seiner Meinung nach in der Rezeption von Kirchheimers Aufsatz häufig geschehe. Spannend diskutiert wurde die Tauglichkeit des Volksparteienbegriffs für die Politikwissenschaft. Die Kritiker weisen den Begriff zwar als politischen aus, er tauge aber nicht als politikwissenschaftlicher Parteientypus.

 

Im zweiten Themenblock ‚Vergleichende Organisationsanalyse‘ beschäftigten sich Prof. Dr. Thomas Poguntke (Düsseldorf) und Sophie Karow (Düsseldorf) mit dem Thema „Kartellparteien, Staatsparteien, Medienkommunikationsparteien, Internetparteien – zur Empirie moderner Parteiorganisationen“. Sie stützten sich vor allem auf den von Poguntke et al. (2016) verfassten Aufsatz in der Party Politics, der das Design, Vorgehen und erste Daten des länderübergreifenden Political Party Database (PPDB) Projektes vorstellt. Mit diesem Projekt wollen sie nicht nur die ‚official story‘, sondern auch die ‚real story‘ von Parteiorganisationen erfassen; besonders erfreulich für alle Teilnehmer und die Parteienforschung insgesamt war dabei der Hinweis, dass erste Daten – neben den bereits gesammelten und auf der Webseite des Projektes zum Download verfügbaren Parteistatuten – bereits im Januar 2017 verfügbar gemacht werden. Mit ihren ersten Ergebnissen weisen Poguntke und Karow darauf hin, dass es wenige empirische Hinweise für das Vorliegen ‚dominanter‘ Parteiorganisationsmodelle gibt.

 

Anschließend referierte Dr. Isabelle Borucki (Trier) zur „Blackbox party in public office – Wandel und Institutionalisierung innerparteilicher Organisation von Regierungsparteien“ und interessierte sich dabei vor allem für den Effekt der Regierungsbeteiligung auf Parteien. Mit einer Verknüpfung aus Institutions- und Regierungsforschung möchte sie den Blick ‚hinter die Kulissen‘ erhalten. Sie unterscheidet zudem zwischen verschiedenen Dimensionen der Institutionalisierung und Arenen der innerparteilichen Organisation, in denen sie die Effekte der Regierungsbeteiligung erfassen möchte. Erste Ergebnisse aus ihrem Projekt zu den Parteistatuten der CDU liefern vorläufige Erkenntnisse zum Wandel der Parteiorganisation der CDU, die eine maßgebliche Erweiterung der Statuten (was jedoch nicht allein auf die Regierungsbeteiligung zurückzuführen sei) sowie eine stetige Zunahme des hauptamtlichen Personals der CDU ausweisen.

 

Das letzte Panel des ersten Tagungstages beinhaltete Vorträge zur innerparteilichen Kommunikation und Rekrutierungsfähigkeit. Simon Jakobs (Trier) startete mit einer Präsentation zu den „Mitgliederwerbestrategien von CDU und SPD im Vergleich“. Er präsentierte erste Ergebnisse einer Online-Umfrage unter Parteigeschäftsführern auf der regionalen Ebene sowie einer Analyse der Mitgliederwerbestrategien. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass Parteien besonders mittels persönlicher Ansprache zu werben versuchen, der geringe Anteil der Mitglieder, die in der Mitgliederwerbung aktiv sind, jedoch ein Hauptproblem der geringen Erfolge der Mitgliederwerbung sei. In der Diskussion wurde vor allem ein eher prinzipielles Problem des Vorhabens angesprochen, das darin besteht, definitiv zu klären, inwieweit die untersuchten Parteien überhaupt noch Mitglieder gewinnen wollen, wie deutlich der Werbeeffekt wirkt und ob nicht noch stärker neueingetretene Parteimitglieder nach erfolgten Werbemaßnahmen befragt werden müssten.

 

Dr. habil. Ingrid Reichart-Dreyer (Berlin), untersuchte die „Rekrutierungsfähigkeit und innerparteiliche Organisation“ deutscher Parteien. Mit der provokanten Frage „Warum amputiert die SPD ihre Vorsitzenden, während die CDU zum Kanzlerwahlverein mutiert“ wagte sie einen polemischen Seitenhieb auf den gegenwärtigen Zustand der deutschen Großparteien. Sie interessierte sich zudem für die unterschiedliche Rekrutierungsfähigkeit der Parteien in den einzelnen deutschen Bundesländern, die bisher nicht ausreichend erklärt werden konnten. Sie stellte dar, dass die Zahl der Ehrenamtlichen pro Wahlberechtigtem teilweise zu gering sei, um die Ausführung wichtiger Funktionen der Parteiorganisation sicherstellen zu können. In der Diskussion stieß vor allem ihre These, dass das Ehrenamt Menschen die Möglichkeit gebe, „Bürger zu sein und sich als Teil der Gesellschaft zu fühlen“ auf Widerstand und wurde teilweise als überholt bewertet und damit zurückgewiesen.

 

Dr. Volker Best (Bonn) und Anne Küppers (Bonn) referierten zu ihrer „Untersuchung von Parteiaustritten aus dem NRW-Landesverband der SPD“. Da die empirische Untersuchung noch nicht abgeschlossen war, stellten die Referenten ihren Fragebogen zur Diskussion. Zur Untersuchung an sich wurde kritisch angemerkt, ob die Austritte überhaupt ein Problem darstellen würden oder ob nicht fehlende Eintritte das Hauptproblem seien. Angemerkt wurde zudem, dass die Autoren der geplanten Studie mit geringem Rücklauf rechnen sollten und zudem hinsichtlich des Untersuchungszeitraumes ab dem Jahr 2000 mit entsprechenden Erinnerungslücken derjenigen Befragten umgehen müssten, die die Partei schon vor mehreren Jahren verlassen haben,.

 

In der Mitgliederversammlung wurde Prof. Dr. Oskar Niedermayer (Berlin) verabschiedet, dessen herausragende Rolle im Arbeitskreis – nicht nur als langjähriger Sprecher seit der Gründung des Arbeitskreises – von Prof. Dr. Elmar Wiesendahl (Hamburg) gewürdigt wurde. Zudem stand die Wahl eines Sprechers an. Prof. Dr. Uwe Jun (Trier) bot seine Wiederwahl an und wurde einstimmig gewählt; er nahm die Wahl an.

 

Den zweiten Tagungstag und den Themenblock zur Kandidatenauswahl eröffnete Florian Glock (Trier). Er referierte zur „Rekrutierung von (Ober-) Bürgermeisterkandidaten in Deutschland – ein theoretischer Blick auf die innerparteilichen Auswahlprozesse“. Glock zeigte auf, dass die innerparteiliche Kultur sowie die politische Konstellation (Oberbürgermeister und Landesregierung) Einflussfaktoren auf die innerparteiliche Auswahl darstellen und gab einen Ausblick auf seine weiteren Forschungen zu Selektionsmustern von Bürgermeisterkandidaten.

 

Prof. Dr. Marion Reiser (Lüneburg) präsentierte zum Thema „Wettbewerb, Proporz, Solidarität – die konkurrierenden Logiken informeller Regeln bei der innerparteilichen Kandidatenaufstellung“ mit der Ausgangssituation, dass in der Forschung bisher zu informellen Regeln innerparteilicher Selektionsprozesse nur wenig Erkenntnisse geliefert werden konnten. Sie zeigte in ihrer Präsentation auf, dass Wettbewerbs-, Proporz- und Fairnessregelungen die innerparteiliche Kandidatenaufstellung beeinflussen und als institutionalisiert gelten können, wenngleich sie nicht formalisiert sind. Diskutiert wurde anschließend die Frage, inwieweit auch unlauterer Wettbewerb berücksichtigt wurde und welche Rolle dieser spiele.

 

Anne Küppers (Bonn) beleuchtete „Die Demokratisierung der Personalauswahl in den deutschen Parteien und ihre Folgen – andere Selektionsmodelle = andere Kandidaten?“. Sie ging vor allem auf Urwahlen in Parteien zur Personalauswahl ein und zeigte, dass Kandidaten ohne Parlaments- und Regierungserfahrung als eher chancenlos in der Auswahl zu betrachten sind. Wer in Urwahlen unterliege sei mit höherer Wahrscheinlichkeit eher weniger politisch erfahren oder nur auf der kommunalen Ebene politisch tätig. In der Diskussion betonte Küppers, dass vor allem die Kontextfaktoren zur Urwahl noch betrachtet werden müssten und dass es sich bei Urwahlen zumeist um ‚Ausnahmesituationen‘ handele und die jeweiligen Parteien nach einer Urwahl dazu tendierten, das Prinzip der Urwahl zur Kandidatenselektion nicht beizubehalten.

 

Im letzten Themenblock zu Parteien im Wettbewerb präsentierte Dr. Kristina Weissenbach (Duisburg-Essen) das Thema „Neue Parteien in Europa – Zur Bedeutung von Parteiorganisation und -institutionalisierung für die Wettbewerbsfähigkeit neuer Parteien in Europa“. Sie erklärte, dass neue Parteien in Europa, gerade in der jüngeren Zeit, teilweise ‚aus dem Stand‘ in die Regierungsverantwortung kommen konnten und möchte anhand von sieben Dimensionen diese Institutionalisierung von neuen Parteien messen. Diskutiert wurde im Anschluss vor allem die Abgrenzung des Institutionalisierungsbegriffes von anderen Begriffen in der Parteienforschung, zugespitzt durch die Frage aus dem Plenum, was denn eigentlich nicht mehr als institutionalisiert gelten könne.

 

Die Tagung schloss ein Vortrag von Michael Angenendt (Düsseldorf) und Dr. Sebastian Bukow (Düsseldorf) zum Thema „Partei oder Kandidat – Wahlkampf und Wahlerfolg im Wahlkreis“. Die Referenten fragten vor allem nach den Erfolgsfaktoren von Kandidaten im Wahlkampf und untersuchten dazu die GLES-Daten von 2009 und 2013. Sie zeigten auf, dass sich eine kandidatenzentrierte Kommunikation im Wahlkampf für den jeweiligen Kandidaten lohnt (im Sinne des Erststimmenergebnisses), die Art der Kampagnenorganisation oder eine lokale Ausrichtung des Kandidaten hingegen nicht. Dieser letzte Vortrag führte noch einmal zu einer lebendigen und angeregten Diskussion unter den Tagungsteilnehmern.

 

Simon Jakobs und Isabelle Borucki