Sapere Aude! Aufklärung

Allein der Epochenbegriff ‚Aufklärung‘ ist außergewöhnlich; ist er doch eine der wenigen Epochenbezeichnungen, die von Zeitgenossen selbst gewählt wurden. Dass in der Epoche der Aufklärung nicht nur nach neuer Erkenntnis gestrebt und diese in verschiedensten Bereichen auch erlangt wurde, sondern Streben, Scheitern und Erfolg von einer solchen Selbstreflexion der Denker begleitet war, ist eines – vielleicht sogar das - auszeichnende Merkmal dieser zentralen Bewegung des 18. Jahrhunderts.

Kant wurde von dem ihm umgebenden Zeitgeist freilich geprägt. Gerade er ist es, der in seinem späteren (dem sogenannten kritischen) Schaffen nicht nur über einen bestimmten Gegenstand, sondern über die Position des Denkers bei dessen Betrachtung sinniert. Er umreißt die Philosophie als Ganze entsprechend anhand von vier Fragen:

„1) Was kann ich wissen? 2) Was soll ich thun? 3) Was darf ich hoffen? 4) Was ist der Mensch?“, zu denen er anmerkt: „Im Grunde könnte man aber alles dieses zur Anthropologie rechnen, weil sich die drei ersten Fragen auf die letzte beziehen.“ (AA 9: Logik, 25) und bezeichnet das berühmte Motto „Sapere aude!“ mitsamt seiner eigenwilligen Übersetzung „Habe Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ als „Wahlspruch der Aufklärung“ (AA 8: Beantwortung, 35)

 

Das Sprachrohr der Aufklärung und der Antiaufklärer: Voltaire und Rousseau.

Die Aufklärungsbewegung war insbesondere durch die französischen Lumières geprägt. Zwei Hauptvertreter, die verschiedener kaum sein könnten, sind Jean Jaques Rousseau (1712-1778) und Voltaire (1694- 1778). Was sie einte, war das aufklärerische Hinterfragen von Gegebenheiten, seien es religiöse, moralische oder politische, was sie schied - und Rousseau den Ruf eines Antiaufklärers einbrachte -, waren ihre Ansichten über den Fortschritt der Menschheit. 

Ausgestellt findet sich eines der maßgeblichen Werke der politischen Philosophie, der „Discours Sur L'Origine Et Les Fondemens De L'Inégalité Parmi Les Hommes“ (1755). Er wird auch als zweiter Diskurs bezeichnet, da er auf die Schrift „Discours sur les sciences et les arts“ folgt.

Gleich zu Beginn dieser Schrift unterscheidet Rousseau eine natürliche Ungleichheit zwischen den Menschen, die hingenommen werden muss, von einer moralischen und politischen, die sich der Mensch im Laufe seiner Entwicklung selbst zugezogen habe und die derart kontingent sei. Er baut, um diese Vorstellungen zu plausibilisieren, ein Narrativ um einen Naturzustand herum auf, das den gemeinen Annahmen der Zeit widerspricht. Er schreibt:

„Die Philosophen, welche die Grundlagen der Gesellschaft untersucht haben, haben alle die Notwendigkeit gefühlt, bis zum Naturzustand zurückzugehen, aber keiner von ihnen ist bei ihm angelangt.“

In Rousseaus Entwurf stehen die Menschen einander im Naturzustand weitestgehend neutral gegenüber. Das durch die moralische und politische Ungleichheit erzeugte Leid kommt erst durch Vergesellschaftung zustande. So urteilt er im Text dann auch:

„Der erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und es sich einfallen ließ zu sagen: dies ist mein und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der wahre Gründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Not und Elend und wie viele Schrecken hätte derjenige dem Menschengeschlecht erspart, der die Pfähle herausgerissen oder den Graben zugeschüttet und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: ‚Hütet euch, auf diesen Betrüger zu hören; ihr seid verloren, wenn ihr vergeßt, daß die Früchte allen gehören und die Erde niemandem.‘“

Ganz anderer Ansicht war Voltaire, wie seine ausgestellten „Poèmes sur le désastre de Lisbonne, et sur la loi naturelle“ (1756) zeigen. Wie seine etwas spätere, allerdings auch unter dem Eindruck eben dieses verherenden Erdbebens geschriebene, Erzählung „Candide und der Optimismus“ illustrieren die Gedichte, dass die Übel für ihn nicht primär menschengemacht sind. Stattdessen ist es eine widrige Natur, die nur einem gemeinen Gott in den Sinn gekommen sein kann, aus der die Übel hervorgegangen seien.