XV. Symposium für jiddische Studien in Deutschland

 

In diesem Jahr fand das Symposium für jiddische Studien in Deutschland vom 3. bis 5. September in Düsseldorf statt. Wie immer waren den Referenten keinerlei inhaltlich-thematische Grenzen gesetzt und, wohl nicht allein deshalb, durften sich die Teilnehmer über Redner aus den USA sowie West- und Osteuropa freuen, die ein breites Spektrum an Themen mitbrachten. Kongresssprachen waren Deutsch und Jiddisch.

Das diesjährige Symposium wurde eröffnet mit Begrüßungsreden des Dekans der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Prof. Dr. Bruno Bleckmann, sowie der Direktorin der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf, Dr. Irmgard Siebert, die dankenswerterweise erneut den Vortragsraum der Bibliothek als Veranstaltungsort zur Verfügung gestellt hat.

Plenum - Foto: Suse Bauschmid

 

Der erste Vortragsblock am Montagnachmittag stand im Zeichen »Politischer Begegnungen«. Tamar Lewinsky stellte ihre Erkenntnisse über Kalmen Marmers Erlebnisse als studentischer Emigrant in der Schweiz, seine Beziehung zu seiner Frau und sein Wirken als politischer Aktivist für den sozialistischen Zionismus vor. Anschließend legte Natalia Krynicka die »Rolle des Jiddischen als politischer Gegner in der Zeit von 1891–1921« am Beispiel von vier polnischen Schriftstellern dar. Adi Mahalel zeichnete den weiteren politischen Kontext zu Yosl Birshteyns »Tsvishn eylbertn« (Zwischen Olivenbäumen) nach.

Unter der Überschrift »Volkserzählung und Purimspiel« standen die letzten Vorträge des ersten Tages. Darin befasste sich Ruth von Bernuth mit den »Narren von Chelm«, dem jiddischen Pendant der Schildbürger, und Emma Woelk stellte ihre Betrachtungen zum Stück »Die Purimspieler« von Burkhart Seidemann vor, das 2003 als Hommage an Itzik Manger und zum Anlass seines 100. Geburtstags in Berlin gespielt wurde.

Im Anschluss an das fachliche Programm des ersten Tages stellte Marion Aptroot den Jubiläumsband vor, der passend zum 15. Symposium erschienen ist. Es handelt sich um den ersten Band der Reihe ›Yidish: oysgabes un forshung / Jiddistik: Edition & Forschung / Yiddish: Editions & Research‹, mit dem Titel ›Leket: yidishe shtudyes haynt / Jiddistik heute / Yiddish Studies Today‹. Herausgeber sind Marion Aptroot, Efrat Gal-Ed, Roland Gruschka und Simon Neuberg (Verlag: düsseldorf university press). Den Abschluss des Tages bildete ein Umtrunk, der zu fachlichen Diskussionen sowie weitergehendem Austausch einlud.

Die HerausgeberInnen und einige der AutorInnen bei der Buchpräsentation; Foto: Gunilla Klose

 

Den zweiten Kongresstag eröffnete eine Sektion zur »historischen Linguistik« mit Beiträgen von Jürg Fleischer zum »Kasus nach Präpositionen im Westjiddisch des 19. Jahrhunderts«. Michał Gajek analysierte die polnische Komponente in Max Weinreichs »Geshikhte fun der yidisher shprakh« mit Blick auf die Definition als Adstrat oder Substrat. Darauf präsentierte Lea Schäfer Erkenntnisse über »Jiddisch in Hessen«. Dabei stellte sie sprachliche Besonderheiten und Beobachtungen wie auch Gemeinsamkeiten jiddischer und hessischer Varietäten dar.

Unter der Überschrift »Modernisierungsprozesse« stellte Friedrich R. Then Bergh einen Bezug zwischen Scholem Alejchems ›Menachem Mendel‹ und aktuellen Finanzmarktkrisen her. Evita Wiecki referierte ihre Arbeit über »jiddische Lehrbücher, Verlage, Lehrernetzwerke und die Anfänge der jiddischen Bildung« auf der Grundlage von Material aus Osteuropa vom Anfang der 20. Jahrhunderts. Im dritten Vortrag stellte Sabrina Worch die Frage nach der »Säkularen yidishkayt als Lernziel«, wie es die Tsisho (die Tsentrale yidishe shulorganizatsye, eine gemeinsame Schulorganisation von Bund, Volkisten und sozialistischen Zionisten) verfolgte.

Efrat Gal-Ed, Simon Neuberg (v.r.) - Foto: Suse Bauschmid

 

Die Sektion »Übersetzen – Nachdichten – Rezeption« eröffnete Marion Aptroot mit dem Referat »Fun daytsh biz yidish biz holendish? Gilgulim fun a misyonerisher broshur«. Shlomo Berger diskutierte unter dem Titel »Sheykspirs sonetn af yidish: tvishn iberzetsn un fartaytshn« die Fragestellung, die sich aus Jacob Glatsteins Kritik an zwei Übersetzungen ergibt: Wann ist eine Übersetzung gelungen, d.h. wann ist sie gute Literatur, und wie viel Interpretationsarbeit sollte sie dem Leser abnehmen? Khayke Be­ruriah Wiegands Vortrag »Der yidisher Bashevis un zayn amerikaner konstruktsye I.B. Singer« befasste sich mit Isaac Bashevis Singers Werken, die im Original auf Jiddisch geschrieben, und dann in Amerika auf Englisch bearbeitet und verbreitet wurden.

Unter dem Titel »Literarische Begegnungen« waren die letzten beiden Vorträge des Tages zusammen gefasst. Efrat Gal-Ed zeichnete sehr anschaulich die Beziehung der beiden befreundeten, aber charakterlich gegensätzlichen Schriftsteller Itzik Manger und Melekh Ravitch nach, bevor Magdalena Sitarz mit ihrem Überblick über die »Jiddische Kultur in den deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften vom Anfang des 20. Jahrhunderts« das fachliche Programm abschloss.

Bernard Magnin - Foto: Suse Bauschmid

 

Am Mittwoch, dem dritten und letzten Tag des Symposiums, wurde im ersten Vortragsblock die »moderne Literatur der alten, der neuen Welt« thematisiert. Als erste stellte Goda Volbikaite ihre Arbeit über Vispe und Mir aleyn vor; zwei »literarische Gruppierungen im Kaunas der Zwischenkriegszeit«. Es folgte Bernard Magnins Darstellung »Jiddische[r] Kolonien in den Amerikas: Edenbridge und Moises Ville in den Memoiren von Michael Usiskin und Itsik Kaplan«. Den Abschluss bildete Anne Mittelhammer mit ihrem Referat »Zwischen Leben. Die jiddischen Publikationen und die jüdischen Displaced Persons in Italien und Österreich 1944–1951«.

Titelblatt von "Jünge Zores ün alte Geseres..." - Foto: Suse Bauschmid


Die zweite Sektion des Tages widmete sich den »Digitalen Repositorien«. Malgorzata Kozyra gewährte den Teilnehmern einen Einblick in den aktuellen Stand ihrer Bemühungen zum Aufbau eines linguistischen Korpus der jiddischen Sprache. Der aufgrund der Abwesenheit des Autors von Simon Neuberg verlesene Vortrag von Alan Todres zum Archiv »Voices of the Holocaust« in Chicago (und im Internet: voices.iit.edu/david_boder) bot einen ausführlichen Überblick über David Boders Motive und die Entstehung des außergewöhnlichen Archivs von Tonaufnahmen, das heutigen Sprachwissenschaftlern so wertvolles Forschungsmaterial beschert. Im letzten Referat zu diesem Thema stellte Ute Müller aus den »Schätzen der Judaica Europeana« mit ›Jünge Zores ün alte Geseres‹, das aufklärerische Werk eines ungarischen Autors vor.

Erika Timm moderiert die Diskussion zu Diana Matuts Vortrag - Foto: Suse Bauschmid

 

Der letzte Vortragsblock war der älteren Literatur gewidmet. Hier befasste sich Diana Matut mit der Definition von kale-lidern und khosn-kale-lidern anhand von Materialien aus der Zeit von 1500 bis 1750. Es folgte ein Vortrag von Ingedore Rüdlin über »Jakob Koppelmann und seine Übersetzung des Targums zu Ruth«. Letzter Redner des Symposiums war Mitveranstalter Simon Neuberg mit seinem Referat »Mare-muser: der tsukht-shpigl gedrukt un ibergedrukt«.

Auch in diesem Jahr wurden in den Pausen zwischen den Vorträgen und beim gemeinsamen Abendessen am Dienstagabend wieder angeregte Gespräche zu fachlichen und anderen Themen von gemeinsamem Interesse geführt.

Das letzte Wort hatten die Veranstalter des Symposiums, Prof. Dr. Marion Aptroot und Prof. Dr. Simon Neuberg, die sich bei den Teilnehmern, Referenten sowie allen weiteren Beteiligten bedankten und unter Verweis auf das nächste Symposium vom 16. bis zum 18. September 2013 wieder um zahlreiches Erscheinen – dann in Trier – baten.

Sonja Batsch, Trier

 

Marion Aptroot und Simon Neuberg (v.r.) - Foto: Suse Bauschmid