Hintergrund
Das traditionelle, seit Jahrzehnten bestehende Entgelttarifsystem im Einzelhandel ist nach der gemeinsamen Überzeugung der tarifpolitischer Akteure beider Seiten (Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen) seit vielen Jahren überholt und der gegenwärtigen und zukünftigen Arbeitswirklichkeit der Branche in keiner Weise mehr gerecht. Die Erarbeitung und Einführung eines neuen Entgeltsystems, das sowohl eine neue, anforderungsbezogene und analytisch begründete Eingruppierungsstruktur als auch variable Entgeltbestandteile umfasst, ist das Ziel beider Tarifparteien. Gleichzeitig finden die Akteure beider Seiten in ihrem Handlungsumfeld nicht das Maß an Sicherheit, das notwendig ist, um sich auf tarifpolitische Innovationen einzulassen, deren Effekte sich – entsprechend dem Wesen jeglicher Innovation – vorab nur begrenzt kontrollieren lassen. Bei dem Versuch einer grundlegenden Neuordnung der Entgeltstruktur geht es daher um weit mehr als um die sachgerechte Anpassung von Klassifikationssystemen an eine geänderte Arbeitswirklichkeit. Es steht vielmehr die Neuvereinbarung der prinzipiellen Geschäftsgrundlage für den Flächentarifvertrag als zentrales gesellschaftliches Regulierungsinstitut an. Gegenstand des Projekts "Tarifpolitische Innovation unter riskanten Bedingungen - die Erarbeitung und Aushandlung einer neuen Entgeltstruktur im Einzelhandel" ist der Prozess, in dem Konzepte zur grundlegenden Neuordnung der tariflichen Entgeltsysteme im Einzelhandel in das tarifpolitische Aushandlungssystem eingebracht und im Wechselspiel zwischen Projekt-, Tarif- und Betriebsebene modifiziert und konkretisiert und schließlich in manifeste Tarifpolitik umgesetzt werden. Zusammen mit der Frage, wie tarifliche Eingruppierungsstrukturen aussehen, die jeweils als fair, ökonomisch effizient und zukunftsfähig gelten können, interessiert die Frage, unter welchen Bedingungen tarifpolitische Akteure in der Lage sind, sich auf die Neubegründung der Geschäftsgrundlage zu verständigen. Das Projekt erfolgt als qualitative Verlaufsfallstudie in interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen dem Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) und dem Lehrstuhl für Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie der Universität Trier mit Unterstützung von Perspective Eyer Consulting (PEC).