Auf den Spuren des jüdischen, mittelalterlichen Trier mit JProf. Dr. Andreas Lehnertz und dem Intensivkurs Jiddisch (Oktober 2023)

fröhliche Menschen vor Turm

Turm Jerusalem

Höhepunkt des diesjährigen Intensivkurs Jiddisch war der Stadtrundgang durch das jüdische mittelalterliche Trier unter Leitung von Andreas Lehnertz, Juniorprofessor für Mittelalterliche Geschichte mit Schwerpunkt in der Jüdischen Geschichte an der Universität Trier. Obwohl erstaunlicherweise aus Trier keine jiddischen Schriftzeugnisse erhalten geblieben sind, haben jüdische Statdbewohner*innen die Geschichte und Gestalt der Stadt nachhaltig geprägt.

Der Turm Jerusalem ist einer der Wehrtürme Triers und stammt aus dem 11. Jhr. Von den ehemals sechs Stockwerken des Wohnturms, einem Rückzugsort der Stadtbevölkerung und insbesondere des Klerus im Falle eines Angriffs, stehen heute nur noch drei. Wie der Turm zu seinem Namen kam konnte bisher nicht eindeutig belegt werden. Eine von vielen Möglichkeiten ist die Theorie von Prof. Dr. Lukas Clemens, wonach der Turm Jerusalem der Wehrturm für den Dom-Klerus war, in den aber während des Pogroms gegen die Juden im Jahr 1096 die jüdische Gemeinde ihre Torarollen zu retten versuchte.

fröhliche Menschen Hauptmarkt

Hauptmarkt, Sicht auf das jüdische Viertel

Während des Mittelalters befand sich das Judenviertel Triers zwischen Hauptmarkt, Jakobsgasse und Stockstraße. Von den drei Zugangstoren ist heute nur noch die Kleine Judenpforte erhalten. Da das Schlüsselrecht und die Verwaltungshoheit für gewöhnlich bei der jüdischen Gemeinde lag, handelt es sich dabei nicht um ein Ghetto, sondern ein eigenes Stadtquartier. Das ist ein sehr wichtiger Unterschied wie Andreas Lehnertz uns vermittelt, mit weitreichenden Folgen für das alltägliche Leben der jüdischen Gemeinde.

fröhliche Menschen vor Pforte

Kleine Judenpforte/Eingang zur Judengasse

Die kleine Judenpforte ist heute der Haupteingang zum ehemals jüdischen Viertel. Auf der Innenseite der Pforte ist immer noch die Vorrichtung zur Anbringung einer Kette und Toren erkennbar. Damit konnte sich die jüdische Gemeinde in ihrem Viertel einschließen, um die Ruhe am (erev) shabes, aber auch die allgemeine Nachtruhe, zu bewahren oder sich selbst zu schützen.

fröhliche Menschen auf Platz

Großer Judenplatz

Die Männersynagoge von Trier wurde erstmals im 11. Jhr. schriftlich erwähnt. Am großen Judenplatz befanden sich auch die Frauensynagoge und ein Tanzhaus, für Feiertage und andere Feierlichkeiten. Nicht weit davon entfernt befand sich das Hospital und gegenüber dem Platz eine mikve für die rituellen, körperlichen und seelischen, Waschungen aller Geschlechter. Die mikve befindet sich heute wahrscheinlich im Keller eines Lagerhauses. Das Gebäude, wie auch der Großteil des jüdischen Viertels, wurden leider noch nicht archäologisch untersucht. Es stehen also noch große wissenschaftliche Entdeckungen direkt vor unserer Haustür bevor!

Erste Ausschreitungen gegenüber den Jüdinnen und Juden gab es von der Trierer Stadtbevölkerung im Zusammenhang mit dem 1. Kreuzzug nach dem Osterfest im Jahr 1096. Im Chaos zwischen der Passionsgeschichte und Kreuzfahrerhorden versuchte der Erzbischof Triers die Lage zu beruhigen und gewährte den Jüdinnen und Juden Zuflucht in seiner Burganlage (erzbischöfliches Palais), heute zurückgebaut zur Konstantin-Basilika. Andreas Lehnertz erzählt uns von Verhandlungen, über das Wohnrecht der jüdischen Gemeinde und Zwangstaufen, die sich über Wochen hinzogen und an deren Ende der Erzbischof selbst in das Simeonstift, heute zurückgebaut zur Porta Nigra, vor der Trierer Stadtbevölkerung und der eigenen christlichen Gemeinde fliehen musste.

Liebfrauenkirche Trier

Ecclesia und Synagoga vor der Liebfrauenkirche

Die Liebfrauenkirche, im frühen 13. Jahrhundert erbaut, ist eine der ältesten gotischen Kirchen Deutschlands. Vor dem Haupteingang stehen die Figuren Ecclesia und Synagoga als Personifizierungen von Kirche und Judentum. Ecclesia trägt eine Krone als Zeichen ihrer Herrschaft und ein Kreuz als Symbol für das Christentum. Synagoga rutscht die Krone vom Kopf, ihre Augen sind verbunden, denn sie hätte den Messias nicht erkannt. Obwohl nach den Kreuzzugspogromen die jüdische Bevölkerung Triers relativ unbedrängt leben konnte nahm der latente Antijudaismus wieder zu. Andreas Lehnertz empfiehlt uns, die Augen offen zu halten: Das zentral gelegene Figurenpaar ist keine Trierer Besonderheit, sondern findet sich in ganz Europa in und an Kirchen aus jener Zeit, so etwa in Bamberg oder Straßburg.

Im Jahr 1418 wurden die Juden aus Trier auf Geheiß des Erzbischofs vertrieben, ihr alter Friedhof (heute der Viehmarkt) aufgelöst und in die wachsende Stadt eingegliedert. Einzig die Jüdemerstraße (Judenmauerstraße) bezeugt heute noch die Umfriedung des ehemaligen jüdischen Friedhofes. Erst im 17. Jhr. siedelte wieder eine jüdische Gemeinde in Trier.

Herzlichen Dank an JProf. Dr. Andreas Lehnertz für diesen lebendigen Rundgang durch die historische jüdische Kultur Triers!

Prof Neuberg

Prof. Dr. Simon Neuberg, Intensivkurs Jiddisch 2023

Der nächste Intensivkurs Jiddisch wird vom 14.–18. Oktober 2024 stattfinden. Bis dahin zayt gezunt!

Fabian Heyduck, Trier

 

 

 

A Groys Fargenign! Jiddisch Intensivkurs 2022

Am 26. September 2022 bildete sich ein Grüppchen aus nacheinander eintreffenden Personen vor einem Gebäude der Uni Trier. Zunächst noch etwas scheu, neugierig die anderen beäugend, einschätzend, wurde von jeder neu ankommenden Person die zögerliche Frage gestellt: »Seid ihr auch für den äh Jiddischkurs hier?«. Mit jedem ertönenden »Ja!« brach das Eis ein wenig weiter ein, und schließlich entstand ein kleiner Gesprächskreis, in dem die wichtigsten Fakten ausgetauscht wurden: »Wie seid ihr denn hierhergekommen? Was führt Euch zu Jiddisch? Ach, ihr kommt auch gar nicht aus Trier? Gut! Ich dachte, ich sei die einzige Person von außerhalb!«.

Im Laufe der offiziellen Vorstellungsrunde am ersten Unterrichtstag stellte sich heraus, wie unterschiedlich unsere Hintergründe tatsächlich waren: Simon Neuberg eröffnete den Intensivkurs mit einer Kennlernrunde, in der wir davon berichteten, wie wir bisher mit Jiddisch in Kontakt gekommen waren, – oder eben auch nicht. Biographische Bezüge waren zu hören: Da gab es die Großmutter, die Jiddisch gesprochen, aber diesen Sprachschatz nicht an die folgenden Generationen weitergegeben hatte, die nun im Kurs waren, um diesen Teil ihrer Geschichte nachzuholen. Einige Teilnehmenden beschäftigten sich in akademischen Zusammenhängen mit Dokumenten auf Jiddisch, die sie gerne selbstständig lesen lernen wollten. Immer wieder war zu hören: »Ich kann gar nicht genau sagen, was genau mich an dieser Sprache so fasziniert. Aber sie berührt mich!«. Und: »Die Musik! Ich höre so gerne jiddische Lieder und möchte sie verstehen!« Für manche teilnehmende Person reihte sich Jiddisch ganz natürlich in die Sammlung bereits erlernter Sprachen ein, und bildete ein neues Objekt der Sprachneugierde.

Von der ersten Begrüßung an sprach Simon Neuberg ausschließlich Jiddisch mit uns, und von der gemäßigten Moderation dieser ersten Vorstellungsrunde an nahm er stringent Fahrt auf. Leinen los! Im Nu wurden wir in einen euphorisierenden Strudel eingesogen und bekamen ein Gefühl für die Intensität, die dieser Kurs haben würde. Die folgenden Tage waren dem Erlernen des hebräischen Alphabets gewidmet, hier hatten Teilnehmende mit Vorkenntnissen oder die, die Hebräisch gelernt hatten, gute Startbedingungen. Es kristallisierten sich unterschiedliche Lerntempos innerhalb der Gruppe heraus, an mancher Stelle wurde konzentriert geschnaubt oder sich latent gestresst am Kopf gekratzt. Simon Neuberg navigierte uns souverän und unerschrocken durch diese Wellen des Erstkontakts und sorgte auch bei aufkeimender Resignation stets für eine lockere, humorvolle und offene Atmosphäre. Seine Lieblingsfrage an die Gruppe war: »nu? alts farshtanen? nisht keyn frages?«. Unsere Köpfe antworteten aus der kollektiven Konzentration heraus mit Rauchzeichen.

Nebenbei und besonders an den Nachmittagen entstanden Gespräche, die im Laufe der Tage eine bilinguale Tendenz entwickelten: Dadurch, dass wir ausschließlich auf Jiddisch unterrichtet wurden, mischten sich die jiddischen Wörter und Ausdrücke irgendwann wie von selbst ins Deutsche. Hier und da wurde gemunkelt, wann wir wohl beginnen würden, auf Jiddisch zu träumen…

fröhliche Menschen um Tisch

(Die Teilnehmenden im Programmkino »Broadway« in Trier)

Nachmittags und an einigen Abenden erlebten wir Programmpunkte, die über das reine Erlernen der Sprache hinausgingen: Ein gemeinsamer Kinobesuch, im Zuge dessen wir den Film »Die jungen Kadyas« ansahen, der ein jiddisches Chorprojekt während des Yiddish Summer Weimar vor einigen Jahren porträtiert; eine Lesung der Autorin Sandra Kreisler aus ihrem Buch »Jude sein« in der Synagoge Trier; sowie einen Streifzug durch die Uni Bibliothek- auf der Suche nach jiddischer Literatur.

Rückblickend erlebten wir in dieser Woche tatsächlich genau das, was ihre Überschrift versprochen hatte: einen Intensivkurs. Neben dem Erleben der jiddischen Sprache und Schrift waren wir umgeben von Simon Neubergs Leidenschaft für Bücher, insbesondere für Wörter,- und Kinderbücher, die nach euphorischen Kurzrezensionen und Inhaltsangaben durch die Reihen gereicht wurden, wie wertvolle Geschenke. Am letzten Tag waren wir als Gruppe sichtlich zusammengewachsen und geradezu melancholisch ob des doch abrupten Endes dieses Feuerwerks an Inhalten, Begegnungen und Inspirationen. Wie am Montagmorgen standen wir nun am Freitagnachmittag im Kreis und stellten uns Fragen. Diesmal allerdings: »Und wie geht es bei Dir jetzt weiter mit Jiddisch? Wohin zieht es Dich als Nächstes?«. Bevor sich die Gruppe nach und nach auflöste, wurden Nummern ausgetauscht, Ideen für mögliche Orte des Wiedersehens überlegt und es wurde klar: Diese Woche wird nachwirken- im besten Sinne.

Für alle zukünftigen Teilnehmenden sei gesagt:

hot nisht keyn moyre, s’iz nisht azoy shver. s’iz ale mol a groys fargenign!

a sheynem dank, Simon Neuberg!

Elena Kraft, Bremen

 

 

 

Intensivkurs Jiddisch I – 20.-24. September 2021

„1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ war der Anlass, dass der Jiddisch-Intensiv-Kurs der Universität Trier unter der Leitung von Prof. Simon Neuberg dieses Jahr in Kooperation mit dem Karl-Marx-Haus stattfand.

 

Gruppenbild

Im Garten des Karl-Marx-Hauses

Und so kamen vom 20.- 24. September eine Gruppe Menschen zusammen, die sich aus unterschiedlichen Gründen mit der jiddischen Sprache beschäftigen wollten. Das reichte von bloßer Neugier, über den Versuch die eigenen Familiengeschichte aufzuarbeiten bis hin zu akademisch, wissenschaftlichem Interesse.

Durch das Lernen der hebräischen Buchstaben startete der Kurs schon bald mit den ersten Leseübungen und vermittelte so jiddische Witze und Liedtexte, die Einblicke in die jüdische Kultur gaben.  Auch die Verbreitung der jiddischen Sprache auf der Welt war Thema bei den Leseübungen, wobei sich keine genauen Angaben über die Anzahl der aktiven Sprecher machen lassen.

Das Jiddische ist eine Komponentensprache und hat im Laufe der Zeit viele Einflüsse aus dem deutschem und slavischen übernommen. An Begriffen wie „Blitzpost“ wurde diskutiert wie neue Wörter in den Wortschatz des Jiddischen gelangen, wenn die Sprecher doch über die ganze Welt verteilt sind und sich nicht auf den einen Begriff einigen können.

Durch die Kooperation mit dem Karl-Marx-Haus wurde auch die Biografie von Karl Marx thematisiert, der selbst jüdischer Herkunft war. Ein Besuch der Gräber der Vorfahren von Karl Marx auf dem alten jüdischen Friedhof in Trier vermittelte die Symbolik auf jüdischen Grabsteinen und die Begräbniskultur.

Jüdischer Friedhof

Besuch des jüdischen Friedhofs in der Weidegasse in Trier

Jeannine Huster, Karl-Marx-Haus Trier

 

 

 

 

Jiddisch Intensivkurs 2018

Intensivkurs 2018

„Nein nicht jüdisch. Jiddisch!“, antwortete ich auf die Reaktion meiner Schwester, als ich erklärte, dass ich den Jiddisch Intensivkurs der Universität Trier besuchen werde. Eine Woche lang haben wir uns unter der Leitung von Prof. Dr. Simon Neuberg motiviert und interessiert mit der jiddischen Sprache und Kultur beschäftigt. Ob Student der Germanistik oder Phonetik, Auffrischer des Hebraicums aus vergangenen Tagen oder einfach nur interessiert – ein buntes Grüppchen verschiedener Leute, die die Faszination am Jiddischen teilen, kam in diesem Kurs zusammen. Sicher reichen fünf Tage bei Weitem nicht aus, um eine Sprache, wie das Jiddische zu lernen, doch wollte Prof. Neuberg uns eine Grundlage mitgeben, auf die wir nun aufbauen können.

Es ging mit und auf Jiddisch los, als Prof. Neuberg den Kurs begrüßte. Selbstverständlich sprach er ununterbrochen mit uns auf Jiddisch, um uns ein Gefühl für diese Sprache zu vermitteln. Das Jiddische selbst kommt Deutschsprechern sehr bekannt vor, was sich daran zeigt, dass man mehr versteht, als man erwartet hat. Es erinnert durchaus an deutsche Dialekte, was erstaunlich erscheint für eine fast 1000 Jahre alte Sprache, die über ein eigenes Schriftsystem verfügt.

Das Erlernen des hebräischen Alphabetes war unerlässliche Grundlage. Nach und nach tasteten wir uns durch die Schriftzeichen und erlernten neben den Buchstaben neue Vokabeln. Gleichzeitig befassten wir uns auch mit der jiddischen Musik und Klassikern, wie z.B. „dos kelbl“ oder „margeritkelekh“, uns bewegend zwischen allegorischer Textdichtung und der für unser Hörverstehen melancholisch klingenden Melodik. Auch jiddische Märchen und jiddische Witze wurden unter der leidenschaftlichen Darstellung des Dozenten zum Leben erweckt. Wobei wir die Witze manchmal missverstanden und uns die Pointe entging, so sehr sich Prof. Neubergs auch bemühte, uns trotz aller sprachlichen und kulturellen Übersetzungsprobleme, doch noch zum Lachen zu bringen.

Humorlos waren die fünf Kurstage nicht, Prof. Neuberg unterrichtete auch amüsant und schuf ein anregendes Gesprächsklima. Alles in allem war es eine sehr bereichernde Zeit, in der er uns einen gehaltvollen Einblick in diese uns fremde Sprache ermöglichte. Was wir nun daraus machen, bleibt jedem selbst überlassen, doch was jeder sicher vom Jiddischen lernen kann sei hier zum Schluss noch gesagt: abi gezunt, ken men gliklekh zayn.-Hauptsache gesund, dann kann man glücklich sein.

Harry AbdulSattar, Trier