XIV. Symposium für jiddische Studien in Deutschland vom 19.09.2011-21.09.2011

XIV. Symposium für jiddische Studien in Deutschland vom 19.09.2011-21.09.2011


Wieder einmal war der Lehrstuhl für Jiddistik der Universität Trier Gastgeber für das Symposium für jiddische Studien in Deutschland, das dieses Jahr zum 14. Mal stattfand. Dieses Symposium wird im Zweijahresrhythmus von der Universität Düsseldorf und deren Abteilung für Jüdische Studien und der Universität Trier veranstaltet. Professor Simon Neuberg und Professorin Marion Aptroot begrüßten am 19.09.11 die Tagungsteilnehmer, auch Universitätspräsident Professor Michael Jäckel hatte sich eingefunden. Er eröffnete das Symposium mit einer Rede, die auch einige jiddische Flüche zitierte, gab jedoch seiner Hoffnung Ausdruck, dass die Tagung selbst keinen Anlass zum Fluchen geben würde. Auch zeigte er sich beeindruckt von der internationalen Rednerliste; die Vortragenden waren aus Polen, Japan, Lettland, Israel, Italien, Frankreich, England, Japan, den Niederlanden, den USA, Dänemark, Rumänien und natürlich Deutschland angereist. Ebenfalls betonte er die gute und schon lang anhaltende Zusammenarbeit der beiden Lehrstühle in Düsseldorf und Trier und lobte deren Engagement, das das Symposium zu einem wichtigen Bezugspunkt für die über die ganze Welt verstreute Jiddistik gemacht hat.
Die dreitägige Veranstaltung steht unter keinem Motto, die Themen der Vorträge stammen sowohl aus den Bereichen der jiddischen Sprach- als auch Literaturwissenschaft, die Vortragssprachen sind Jiddisch und Deutsch. Doch auch kulturwissenschaftliche Fragestellungen werden behandelt. So befasste sich der Eröffnungsvortrag von Abigail Gillman (Boston University) mit der jüdisch-deutschen Bibelübersetzung, allerdings mit der deutschen Übersetzung der jiddischen Frauenbibel, der so genannten Zena-uRena durch die jüdische Frauenrechtlerin Bertha Pappenheim. Hier verknüpften sich also soziologisch-kulturelle Fragestellungen mit linguistischen. Auch die nachfolgenden Beiträge der ersten Sektion von Josef Bamberger (Johannes-Gutenberg-Universität Mainz) zum KiddushHashem, also zum jüdischen Märtyrertod, in der jiddischen Literatur des 20. Jahrhunderts und von Juliane Lensch (Justus-Liebig-Universität Gießen) zur Identitätsarbeit ostjüdischer Migranten in Amerika, die auch über eine Annäherung zwischen den Musikstilen Klezmer und Swing funktionierte, widmeten sich eher kultur- und literaturwissenschaftlichen Themenfeldern.

Die zweite Sektion des ersten Tages beschäftigte sich dann vorrangig mit jiddischer Sprachgeschichte. Auf diesem Forschungsgebiet sind die JiddistInnen der Universität Trier schon lange aktiv, wie auch der Vortrag von Erika Timm zeigte. In ihrem Beitrag befasste sie sich mit einer ersten Analyse und einer Darlegung verschiedener Interpretationsmöglichkeiten für ein erst kürzlich aufgefundenes altjiddisches Textfragment, die Kölner Schiefertafelfunde von vor 1349. Mit eben diesen Funden beschäftigte sich auch Elisabeth Hollender (Ruhr-Universität Bochum) im vorhergehenden Vortrag. Ebenfalls in dieser Sektion sprach Jits van Straten aus Bennekom/Niederlande über die Verbreitung der jiddischen Sprache in Osteuropa.

Für das Abendprogramm sorgte das Künstlerduo Ruth Boguslawski und Norbert Gutenberg aus Saarbrücken. Die beiden rezitierten ein Gedicht des jiddischen Lyrikers Abraham Sutzkever mit dem Titel »Kol Nidre«. Das Kol Nidre ist das Gebet, das am Versöhnungstag, an Jom Kippur, in der Synagoge gesprochen wird. Bei Sutzkever geht es jedoch, wie häufig in seinem Werk, um die Vernichtung des osteuropäischen Judentums zur Zeit des Nationalsozialismus. Der Text wurde gleichzeitig auf Jiddisch und in deutscher Übersetzung vorgetragen, was seine düstere und unheilvolle Grundstimmung betonte und verstärkte. Die Darbietung wurde mit viel Beifall bedacht. An dieser Stelle sei auch noch einmal dem Freundeskreis der Trierer Universität gedankt, der diese Veranstaltung durch seine Unterstützung ermöglichte.

Der folgende Tag wurde eröffnet mit einem Vortragstext des leider verhinderten Nati Cohen (Bar-Ilan Universität Ramat-Gan), den Simon Neuberg verlas Dieser Vortrag befasste sich mit der Tradition der jiddischen Kriminalliteratur bis zum Ersten Weltkrieg.
Anschließend berichtete Simon Neuberg von alten und neuen Forschungsergebnissen zu einem jiddischen Text über die Wiener Judenvernichtung 1421.

Die nachfolgende Sektion war der Linguistik gewidmet. Malgorzata Kozyra (Jagiellonen-Universität Krakau/Ludwig-Maximilians-Universität München) stellte ihr Dissertationsprojekt zu Aspekt, Tempus, Modus im modernen Jiddisch vor. Der Vortrag von Steffen Krogh (Universität Aarhus) verknüpfte die Linguistik mit der Literaturwissenschaft: anhand von linguistischen Be­obachtungen in Romanen ultraorthodoxer Juden sollte die Frage von Plagiat oder Bearbeitung gelöst werden.

Alan Todres präsentierte einen Privatbrief aus den USA, der in einem so stark mit englischen Wörtern durchsetzten Jiddisch abgefasst war, dass es fast »Englisch in hebräischen Lettern« war.

Satoko Kamoshida dagegen befasste sich mit der Vermittlung des Jiddischen in Israel, was, entgegen aller Erwartung, doch nicht immer allzu selbstverständlich und einfach war.

In der letzten Sektion sprachen Leo Dribins (Universität Riga) und Lilian Türk (Universität Leipzig/Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) zu kulturgeschichtlichen und kulturwissenschaftlichen Themen. Herr Dribins befasste sich mit der Identität der Juden in Lettland im Laufe der Geschichte, während Frau Türk über die Verträglichkeit von Jüdischsein und Anarchismus im Werk von Aba Gordin, einem jüdischen Anarchisten, sprach.

Der Tag wurde mit einem gemeinsamen Abendessen beschlossen, an dem sehr viele Gäste teilnahmen. Hier bot sich die Gelegenheit, sich nicht nur wissenschaftlich auszutauschen, sondern auch privat zu vernetzen, was in der Welt der Jiddistik gerne wahrgenommen wird. Wo sonst als auf diesen Tagungen hat man die Möglichkeit, so viel und so ungezwungen die jiddische Sprache zu gebrauchen und andere Jiddischsprecher, Jiddischlerner und Jiddischkenner zu treffen?

Die erste Sektion des dritten Tages befasste sich mit Quellen und Textdokumenten des Jiddischen, so sprach beispielsweise Augusta Radosav (Universität Klausenburg) über bisher unbekannte und unerforschte jiddische Zeitschriften in Rumänien, Ute Müller (Goethe-Universität Frankfurt) über jiddische Theaterstücke und deren mediale und digitale Aufbereitung und Akvile Grigoraviciute (Medem-Bibliothek/Paris) sprach über die Themen und Motive der jiddischen Literatur in Litauen.

Nach der ersten Kaffeepause ging es jedoch mit einer anderen Thematik weiter, es ging nun um Fragen der Narrativik. Dazu sprach zuerst Anna Rutkowski (Jagiellonen-Universität Krakau). Ihr Vortrag handelte von verschiedenen Erzählformen in der jiddischen Chronik »Sheyres Yisroel«. Diese Chronik wurde im 18. Jahrhundert von Menachem Man Amelander verfasst und ist eine Fortsetzung einer jüdischen Chronik aus dem 10. Jahrhundert. Im Anschluss sprach Claudia Rosenzweig (Bar-Ilan Universität Ramat-Gan) über einige jiddische handschriftliche Briefe, die in Verona aufgefunden wurden. Abgeschlossen wurde die Sektion durch den Vortrag von Astrid Lembke (Goethe-Universität Frankfurt), die ältere jiddische Erzählungen über Dämonen-Hochzeiten in ihrem soziohistorischen Umfeld untersuchte, insbesondere im Hinblick auf Frauen- und Männerrollen.

Die letzte Sektion des Tages sowie der Tagung stand unter dem Motto Jiddisch im 19. Jahrhundert. Jürg Fleischer (Philipps-Universität Marburg) gab einen geordneten Überblick über die Quellen seines Projektes zum gesprochenen Westjiddisch im 19. Jahrhundert und erläuterte das Forschungsvorhaben. Ebenfalls von der Philipps-Universität Marburg sprach Lea Schäfer. Sie befasste sich mit einer Analyse der Biographie von A.H. Heymann und den sich daraus ergebenden Varietäten des Jiddischen im Berlin des 19. Jahrhunderts.
Den Abschlussvortrag hielt die Mitveranstalterin Marion Aptroot (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) zu jiddischen und holländisch-jüdischen Feiertagszeitungen im 19. Jahrhundert.
Abschließend bedankten sich sowohl Frau Aptroot als auch Herr Neuberg bei allen Beteiligten und äußerten ihre Zufriedenheit mit dem gesamten Verlauf des Symposiums. Außerdem verliehen sie ihrer Hoffnung Ausdruck, nächstes Jahr – vom 3. bis zum 5. September – alle TeilnehmerInnen und Beteiligten in Düsseldorf zum 15-jährigen Jubiläum des Symposiums wieder zu sehen.

 

Hanna Schumacher, Trier