NS-"Rassenhygiene" im Raum Trier

Zwangssterilisationen und Paientenmorde im Regierungsbezirk Trier 1933-1945

Projektbeschreibung

Das nationalsozialistische Regime hat sich von Anfang an die Umsetzung einer systematischen Bevölkerungspolitik nach rassenhygienischen und rassenanthropologischen Prinzipien zu einem seiner wichtigsten Ziele gesetzt. Das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom 14. Juli 1933 eröffnete die Möglichkeit, systematisch Zwangssterilisationen an Menschen durchzuführen, bei denen erblich bedingte Krankheitsbilder festgestellt oder sogar nur begründet vermutet wurden. Das Gesetz führte zur Einrichtung entsprechender Gerichte und richtete ein förmliches Antragsverfahren ein, an dem die verschiedensten Personengruppen in abgestufter Weise beteiligt waren, die als Betroffene, Angehörige, Vormünder bzw. Mediziner mit den im Gesetz aufgelisteten Krankheiten bzw. Krankheitssymptomen in Berührung kamen. Eine wesentliche Rolle in diesem Verfahren kam dabei neben den Erbgesundheitsgerichten den neu eingerichteten Gesundheitsämtern zu.  

Im Ergebnis schuf das Gesetz die legalen Grundlagen für eine umfassende, die Spielräume des Gesetzes massiv ausnutzende, vielfach überschreitende Praxis der Zwangssterilisation. Die Gesamtzahl der Opfer dieser Praxis wird auf 350.000 bis 400.000 Menschen geschätzt. Diese negative rassenhygienische Maßnahme war in den Augen der nationalsozialistischen Gesundheitspolitiker ein wesentliches Element in der umfassenden Rassenpolitik des Regimes.

Ohne jede Rechtsgrundlage hingegen und als erste systematische Maßnahme des rassen‐politischen Mordprogramms erfolgte zwischen 1939 und 1945 die Ermordung von Anstaltspatienten, denen aufgrund ihrer Krankheit bzw. Behinderung das Lebensrecht abgesprochen wurde. Die Ermordung dieser Menschen, bei denen es sich vor allem um Patienten in Kranken‐ bzw. Heil‐ und Pflegeanstalten handelte, wurde zentral von der geheimen Dienststelle "T 4" im Hauptamt II der Kanzlei des Führers geplant und durchgeführt. Die im August 1941 offiziell abgebrochene, als "Euthanasie" etikettierte Mordaktion wurde bis zum Kriegsende dezentral in Anstalten weitergeführt, so dass die Gesamtzahl der Opfer nur zu schätzen ist. Im Rahmen der Eroberungs‐ und Besatzungspolitik des Regimes während des Zweiten Weltkriegs kam es zudem zu einer Ausweitung der Mordaktionen auf die besetzten Gebiete.  

Leitendes Konzept und plausible Begründung für viele beteiligte Mediziner, Juristen, Pflegerinnen und Pfleger sowie die Beschäftigten der Gesundheitseinrichtungen und staatlichen bzw. parteiamtlichen Verwaltungen aber auch Angehörige und Beobachter dieser nationalsozialistischen Verbrechen war die "Rassenhygiene" als umfassendes medizinisches und bevölkerungspolitisches Konzept. Die Veränderung des als Genpool gedachten "Volkskörpers" der deutschen Reichsbevölkerung durch Maßnahmen der negativen Eugenik und der Rassentrennung (dazu dienten die Nürnberger Gesetze von 1935) war zentraler Bestandteil der nationalsozialistischen Weltanschauung und wurde zu einem der wichtigsten Elemente der ideologischen Beeinflussung der Bevölkerung über systematische Schulung (in den Gesundheitsberufen, für Parteimitglieder, im Schulunterricht), entsprechende Propaganda in Presse, Rundfunk und Film. Die Reaktionen der deutschen Bevölkerung waren keineswegs von Ablehnung gekennzeichnet, da bis in die christlichen Kirchen hinein Eugenik vor 1933 diskutiert und teilweise befürwortet worden war. Trotz dieser Propaganda wagte das Regime jedoch 1939 nicht, den Schritt zur Ermordung von Patienten öffentlich zu vollziehen. Vorbehalte bzw. grundsätzliche Ablehnung der Maßnahmen seitens der katholischen Kirche begleiteten jedoch bereits ab 1934 die Umsetzung der Zwangssterilisationen.  

Die moralischen Ambivalenzen der Zeitgenossen im Umgang mit diesen Maßnahmen der Rassenhygiene werden aber auch daran sichtbar, dass auch nach 1945 das Gesetz von 1933 keineswegs als "nationalsozialistisch" eingestuft wurde und Opfern der Zwangssterilisation eine Wiedergutmachung verweigert wurde.  

Während die Grundzüge dieses hier knapp skizzierten Geschehens auf Reichsebene bekannt sind, gehört die regionalgeschichtliche Aufarbeitung dieses zentralen Kapitels nationalsozialistischer Verbrechen zu den aktuellen Aufgaben der Zeitgeschichtsforschung. Vielfach sind erst im Laufe des letzten Jahrzehnts Aktenbestände gesichtet und zugänglich gemacht worden, welche es erlauben, eine umfassende Geschichte dieses Geschehens zu schreiben.  

Eine solche regionalgeschichtliche Studie soll nun für den Trierer Raum erstellt werden. Das Forschungsprojekt soll sich mit den zentralen Maßnahmen der nationalsozialistischen Rassenhygiene beschäftigen. Als Untersuchungsraum ist dabei der damalige Regierungsbezirk Trier gewählt worden, der zugleich auch Gerichtsprengel des Erbgesundheitsgerichts Triers war. Die Einbeziehung der Patientenmorde der sogenannten "T 4‐Aktion" wird sich auch in diesem regionalen Rahmen bewegen, aber die konkreten lokalen Verbindungen betroffener bzw. beteiligter Einrichtungen des Untersuchungsraums berücksichtigen.

Projektziele

Erstes Untersuchungsziel ist die umfassende Aufarbeitung der Sterilisationspraxis im damaligen Regierungsbezirk Trier von der Antragstellung bis zum medizinischen Eingriff. Personengeschichtlich wird gefragt nach Antragstellern, Betroffenen, beteiligten Juristen und Medizinern; organisationsgeschichtlich geht es um die Abläufe in den beteiligten Krankenhäusern, in denen Sterilisationen durchgeführt wurden (Kreiskrankenhäuser in Saarburg und Wittlich, städtisches Krankenhaus in Baumholder, Ev. Elisabeth‐Krankenhaus in Trier), schließlich ist nach Reaktionen (Widerstand, Unterstützung) in der Bevölkerung und seitens der direkt oder indirekt Betroffenen zu fragen und exemplarisch das Gesamtgeschehen in seinen Folgen für die Betroffenen zu untersuchen.  

Zweites Untersuchungsziel ist die umfassende Aufarbeitung der Patientenmorde im Untersuchungsraum im Rahmen der "T 4‐Aktion". Auch in diesem Fall geht es zum einen darum, den Personenkreis der Opfer und der regional Beteiligten zu erforschen, die regionalen Abläufe des Mordprogramms zu klären und schließlich nach Formen der aktiven Zuarbeit bzw. der Verweigerung und des Schutzes für bedrohte Patienten zu fragen.

Drittens ist die begleitende rassenhygienische Propaganda bzw. Einprägungsarbeit des NS‐Regimes in der Region in den Blick zu nehmen. Angesichts des hohen Anteils von Katholiken und der Existenz eines dichten Netzwerkes katholischer Organisationen im Regierungsbezirk Trier bedurfte die rassenhygienische Politik des NS‐Regimes besonderer propagandistischer Anstrengungen, um Vorbehalte und Verweigerung in dieser dominant katholisch geprägten Region gegen die Bevölkerungspolitik des Regimes auszuräumen  bzw. eine passive Hinnahmebereitschaft zu stärken.

Forschungsprogramm und Quellenlage

Die Quellenlage für das Projekt ist grundsätzlich als gut zu bezeichnen. Auch wenn aufgrund von Aktenverlusten und gezielter Aktenzerstörung eine vollständige Aktenüberlieferung weder für die legale Praxis der Zwangssterilisation noch für das illegale Mordprogramm "T 4" vorliegt, so ist doch eine hinreichende dichte Überlieferung für die drei Untersuchungsfelder vorhanden.

Die Lücken in den Aktenüberlieferungen der unterschiedlichen beteiligten Träger und Behörden zwingt jedoch dazu, die Aktenbestände  aller beteiligten Institutionen zu prüfen, um ein entsprechend vollständiges Bild zu bekommen.

Projektteam

Das konkrete Forschungsvorhaben soll in Form eines Promotionsvorhabens ergänzt durch  Einzelstudien im Rahmen von Abschlussarbeiten (Masterarbeiten) durchgeführt werden. Die Leitung des Projekts übernehmen Prof. Dr. Lutz Raphael und Dr. Thomas Grotum. Beide bringen unterschiedliche Expertise aufgrund eigener Forschungen zum Patientenmord, zu Auschwitz und dem NS-Lagersystem sowie zur regionalen Geschichte des NS-Regimes (lokale Opfer des Regimes, Gestapo in Trier und Luxemburg) ein. Bearbeiter des Projekts ist Herr Matthias Klein, der im März 2013 sein Magisterstudium der Geschichte und Kath. Theologie abgeschlossen hat und in seiner Magisterarbeit bereits zur Regionalgeschichte des NS-Regimes geforscht hat. Michael Brämer verfasst aktuell seine Masterarbeit zum Thema "Zwangssterilsation an Strafgefangenen. Das Beispiel der Strafanstalt Wittlich".

Beirat

Um eine erfolgreiche Durchführung dieses Projekts sicherzustellen, ist ein Beirat eingerichtet worden, in dem die das Projekt fördernden Institutionen vertreten sind. Dem Beirat gehören an:

  • Förderverein zur historischen Erforschung von Zwangssterilisationen in der Region Trier während der NS-Zeit e.V.
    • Frau Barbara Weiter-Matysiak, Leiterin des Kreisarchivs Trier-Saarburg
    • Herr Rudolf Müller, Kreisverwaltung Trier-Saarburg 
  • Barmherzige Brüder Trier gGmbH
    • Herr Prof. Dr. Albert-Peter Rethmann
    • Herr Markus Leineweber / Frau Anne Britten
  • Landeshauptarchiv Koblenz
    • Herr Dr. Jörg Pawelletz / Frau Dr. Beate Dorfey
  • Bezirksärztekammer Trier
    • Herr Dr. Günther Matheis
  • Evangelische Kirchengemeinde Trier
    • Herr Georg-Friedrich Lütticken

Sprecher des Beirats ist Dr. Günther Matheis.

Öffentliche Vorträge

  • Matthias Klein
    NS-"Rassenhygiene" im Raum Trier - Ein Projektbericht
    Dokumentationszentrum der Gedenkstätte SS-Sonderlager/KZ Hinzert, 12. Mai 2014
    (Tagung "Die Gestapo Trier in der Christophstraße 1. Justiz und Polizei im regionalen Umfeld während der NS-Zeit")
     
  • Renate Rosenau
    Die "Rheinland-Bastarde". Der Weg der nationalsozialistischen Rassenpolitik in die Illegalität
    Bezirksärztekammer Trier, Balduinstraße 10-14, 20. November 2014
    (Vortragsreihe "Medizin im Nationalsozialismus")
  • Matthias Klein
    NS-"Rassenhygiene" im Raum Trier. Die Zwangssterilisation von Kindern und Jugendlichen des St. Josephsheims in Föhren
    Stadtmuseum Simeonstift Trier, Simeonstr. 60, 13. Dezember 2015, 11:30 Uhr
    (Vortragsreihe "Gestapo in Trier 1933-1945")
     
  • Matthias Klein
    Zwangssterilisationen und Patientenmorde im Raum Trier
    Gedenkstätte SS-Sonderlager/KZ Hinzert, An der Gedenkstätte, 554421 Hinzert-Pölert, 10. November 2016, 18:30 Uhr
     
  • Matthias Klein
    Galen und Gesundheitsamt - Ein Flugblatt und seine Folgen
    Akademie Vogelsang IP, Vogelsang 70, 53937 Schleiden, 10. Dezember 2016, 10:20 Uhr (Kolloquium der Universitäten Bonn und Trier: Neue Arbeiten zur NS-Zeit im Rheinland)
     
  • Christoph Braß
    Zwangssterilisation und Euthanasie im 3. Reich am Beispiel des Saarlandes
    Bezirksärztekammer Trier, Balduinstraße 10-14, 16. November 2017, 17:00 Uhr
     
  • Matthias Klein
    „NS-Rassenhygiene“ im Raum Trier
    Volkshochule Trier, Domfreihof 1b, 54290 Trier, 8. Januar 2018, 19:00 Uhr (Vortrag im Rahmen der Ausstellungseröffnung "Die nationalsozialistischen 'Euthanasie'-Morde" ["Tiergartenstraße 4"])
     
  • Matthias Klein
    Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und die Kontrolle der weiblichen Fortpflanzung zur Zeit des Nationalsozialismus
    Neue Uni, Universitätsplatz 1, 69117 Heidelberg, Hörsaal 14, 12. Juli 2018, 19:00 Uhr (Vortrag im Rahmen der Vortragsreihe "Kontrolle" des Interdisziplinären Forums Heidelberg)

Presse

Artikel im Trierischen Volksfreund vom 3. Juni 2014.
Artikel im Unijournal 3/2014 (S. 28-31).
Beitrag von Michaela Hocke und Jörg Pawelletz in Unsere Archive 59 (2014), S. 35-39.
Artikel im Trierischen Volksfreund vom 18. März 2019, S. 1
Thema des Tages im Trierischen Volksfreund vom 18. März 2019, S. 3
Artikel in der Rathaus-Zeitung vom 9. April 2019 über das Projekt "NS-'Rassenhygiene' im Raum Trier" (S. 7).

Förderung

Zur Durchführung des Projekts ist die Projektleitung auf Unterstützung angewiesen. Die Grundfinanzierung der ersten Projekthälfte konnte durch den Förderverein zur historischen Erforschung der Zwangssterilisationen im Raum Trier während der NS-Zeit e.V. und die Barmherzigen Brüder Trier gGmbH gesichert werden. Weitere Förderer sind herzlich willkommen.

Kontakt

Prof. Dr. Lutz Raphael / Dr. Thomas Grotum / Matthias Klein

Projekt "NS-»Rassenhygiene« im Raum Trier"
Neuere und Neueste Geschichte
Universität Trier
Universitätsring 15
D-54286 Trier

Der Projektraum befindet sich im B-Trakt des DM-Gebäudes (DM 248).

Projektskizze

Projektskizze als PDF-Datei zum Download.

Tagung 2018

Das Forschungsprojekt hat vom 16. bis zum 18. November 2018 die Herbsttagung des Arbeitskreises zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisationen in Trier ausgerichtet. Regional lag der Schwerpunkt in der ehemaligen südlichen Rheinprovinz sowie im Raum Mannheim. Ein weiterer thematischer Schwerpunkt wurde auf katholische Anstalten gesetzt.

Die Tagung hat im Hotel Deutscher Hof in Trier stattgefunden (www.hotel-deutscher-hof.de).