Physiologische Synchronisation als möglicher 'Biomarker' für psychische Störungen

Prof. Dr. Jens Pruessner

Bei vielen Psychopathologien, darunter Depression, Borderline-Persönlichkeitsstörung und Angststörung, wird eine Dysregulation der Energiesysteme als mögliche Mitursache diskutiert, namentlich der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA) und des autonomen Nervensystems (ANS). Obwohl die genauen Mechanismen nicht geklärt sind, haben zahlreiche Studien Hinweise auf eine veränderte Grundaktivität und Reaktionsfähigkeit dieser Systeme liefern können. Hierbei fällt auf, dass es zahlreiche Hinweise sowohl auf eine Hyper-, als auch auf eine Hypoaktivität dieser Systeme bei Vorliegen von psychischen Störungen gibt. Und obwohl in diesen Studien die Gruppenmittelwerte der gesunden Stichprobe typischerweise signifikant unterschiedlich vom Mittelwert der erkrankten Stichprobe sind, ist die Streuung so groß, dass der HPA- oder ANS-Biomarker als Diagnostikum bis jetzt eine nur sehr eingeschränkte Rolle spielt.

Eine ergänzende Methodik zur Untersuchung der Verstellung der Energiesysteme ist die Berechnung der Synchronisation der Systeme bei der (sozialen) Interaktion, hier am Beispiel der Synchronisation der Herzratenvariabilität in Dyaden als Maß für das parasympathische Nervensystem. Mit dieser Methode, die auf der Wavelet-Kohärenzanalyse beruht, konnten wir in einer neuen Studie einen starken Zusammenhang zu psychischen Symptomen erkennen, sowie eine deutliche Trennung von Patienten und gesunden Kontrollen. Bedeutsam war dabei besonders, dass der Zusammenhang psychischer Symptome mit den Synchronisationsmaßen stärker war als mit der absoluten Aktivität des Systems.

Psychopathologien existieren nicht in Isolation, sondern drücken sich vor allem im (sozialen) Umgang mit anderen Menschen aus. Es erscheint daher nur konsequent, die Biologische Psychologie aus der Betrachtung der biologischen Systeme in Isolation zu befreien, und den sozialen Faktor sowohl in der situativen als auch in der analytischen Herangehensweise zu erfassen. Die Diskussion gibt dann einen Ausblick auf mögliche zukünftige Forschungsdesigns aus der Perspektive der Synchronisationsforschung.