WASEDA-SOMMERKURS 2002

Erster Akt: 18 japanische Studierende zu Besuch in Trier

Auf Initiative von Prof. Scholz-Cionca, Japanologie, schloss der Fachbereich II einen Kooperationsvertrag mit dem Theater-Museum der Universität Waseda, einer der renommiertesten Universitäten Japans. Die Kooperation sieht gemeinsame Forschungsprojekte, den Austausch von Publikationen, sowie für die Japanologie Trier die Nutzung der hervorragend ausgestatteten Bibliothek der Universität Waseda vor. Ein umfassender Partnerschaftsvertrag zwischen beiden Universitäten ist bereits zur Unterschriftsreife gediehen. Er beinhaltet neben dem Austausch von Studierenden gemeinsame Veranstaltungen und Forschung.

Der erste Akt der zukünftigen Zusammenarbeit gelangte schon vor der entgültigen Unterzeichnung zur Realisation: Vom 3. August bis zum 23. August besuchten 18 Studierende der Universität Waseda aus verschiedenen Studienjahren und Fächern wie Theaterwissenschaften, BWL und Philosophie die Universität Trier. Der Organisator der Reise, Prof. Noriyuki Sakai, (Kansei bunka kenkyûjo, Forschungsinstitut für Kulturstudien) hat selbst die besten Erinnerungen an seine Studienzeit in Trier, so wollte er nun auch die erste Begegnung seiner eigenen Studierenden mit dem Ausland in Trier stattfinden lassen. "Die Zahl der japanischen Studierenden, die Deutsch lernen, ist stark gesunken. Wir möchten den Studienanfängern das Deutschlernen schmackhaft machen und den Fortgeschrittenen die Möglichkeit der Sprachpraxis geben", faßte er das Ziel der Reise zusammen. Im Vordergrund des Austausches sollte die Begegnung mit einer anderen Kultur stehen ­ nicht nur auf theoretischer Ebene, sondern praktisch im Umgang mit deutschen Studierenden und im alltäglichen Leben.

Begrüßt wurde die Gruppe der Studierenden vom Dekan des Fachbereichs II, Prof. Dr. Gerhard Ressel und Prof. Dr. Stanca Scholz-Cionca, Lehrstuhlinhaberin im Fach Japanologie. In seiner Ansprache betonte der Dekan die Standortvorteile eines Studiums an der Universität Trier, die sich durch Internationalität und Toleranz auszeichne, eine offene, lernfreudige Atmosphäre biete und damit ideale Bedingungen für interkulturelle Begegnungen schaffe. Davon konnten sich die Studierenden während ihres Aufenthalts besonders im Rahmen eines deutsch-japanischen "Tandem"-Kurses unter der Leitung von Susanna Eismann, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fach Japanologie, überzeugen.

Hier lernten die japanischen und deutschen Studierende "im Tandem", d.h. jeweils zu zweit miteinander und voneinander. Der Tandemkurs war auf den vormittäglichen Deutschkurs (geleitet von Johannes Glembeck und Andreas Kotulla) abgestimmt, so dass neu erworbene Sprachkenntnisse in der Begegnung mit den deutschen Tandempartnern gleich angewandt werden konnten.

In Spielen, Sprachspaziergängen, Rollenspielen, Interviews und anderen gemeinsamen, vom Akademischen Auslandsamt organisierten Aktivitäten setzten sich die Teilnehmenden mit japanischen und deutschen Alltagsphänomenen auseinander. Dazu hatten die japanischen Studierenden Material vorbereitet, das sie mit ihren deutschen Partnern bearbeiteten.

Ein Simulationsspiel interkultureller Begegnungen bot Anlass, Strategien zu reflektieren, miteinander umzugehen. Dabei erhielten die Studierenden in Gruppen vorgegebene "Kulturen" d.h. divergierend angelegte Verhaltensmuster (z.B. Nähe-Distanz, gestenreiches Sprechen vs. Sprechen ohne Mimik und Gestik usw.), nach denen sie agieren sollten. Beim Spiel entwickelten sich so fast tragikomische Situationen, in denen Mitglieder einer Gruppe (mit dem Verhaltsmuster, im Gespräch Nähe zu suchen), Mitglieder einer anderen Gruppe (mit dem Verhaltensmuster soziale Distanz) hinterher liefen.

In der sich anschließenden Diskussion berichteten die Studierenden von ihren Erfahrung im Spiel: Wie sie die Mitglieder der jeweils anderen "Kulturen" wahrgenommen hatten, als "aggressiv", "aufdringlich", "passiv und undurchschaubar" oder dass ihnen das Kommunizieren relativ leicht fiel, wenn sich zwei Mitglieder ähnlich angelegter "Kulturen" begegneten. Aber auch, dass sie es als sehr unangenehm empfunden hatten, einer anderen Person die eigenen kulturellen Normen aufdrängen zu wollen, bzw. zu erwarten, dass sich andere nach den eigenen soziokulturellen Regeln verhalten. So bestand abschließend einmütig die Ansicht, dass man künftig in der Begegnung mit anderen Kulturen versuchen wollte, Kompromisse zu finden. Dabei ginge es, wie einer der Studierenden betonte, nicht darum, die jeweilige eigene Kultur völlig aufzugeben, und sich ganz der der anderen anzupassen, sondern abwägend und die eigene Identität bewahrend, je nach Situation mal nach den Regeln der einen bzw. der anderen Kultur zu agieren.

In diesem Tandemkurs konnten so Strategien für den Umgang mit interkulturellen Situationen entwickelt werden. In der Zusammenarbeit wurde Raum geschaffen, Missverständnisse als solche wahrzunehmen und durch Rückfragen ggf. zu klären. Auch Stereotypen wurden dabei thematisiert und bearbeitet. "Ich nahm meinen Tandempartner nicht mehr primär als Stellvertreter seiner Kultur wahr", wie ein Teilnehmer später erzählte, "sondern vielmehr als Individuum."

Die Begegnung mit dem Tandempartner ermöglicht die differenzierte Wahrnehmung der fremden Kultur in einem breiten Spektrum von Alltagserfahrungen. Stereotype Wahrnehmungen können so relativiert werden oder entstehen erst gar nicht. Gleichzeitig wird das Bewusstsein für die eigenkulturelle Prägung geschärft. Die Sensibilisierung für interkulturelle Situationen findet - und das ist das Besondere an der Tandem-Methode - direkt in der Begegnung und damit in der kulturellen Praxis statt.

In Zukunft soll die Zusammenarbeit zwischen beiden Universitäten weiter vertieft werden. Beabsichtigt sind gemeinsame Seminare und Ring-Vorlesungen, in näherer Zukunft auch online. Die Universität Waseda plant, die Veranstaltungen an der Universität Trier als anerkannten (credit- bzw. scheinfähigen) Bestandteil ihrer Ausbildung zu machen. Auch die Tandemkurse sollen als Teil dieses Unterrichtsprogramms fungieren und bilden damit einen wichtigen Bestandteil zur Realisation des interkulturellen Austausches, den sich beide Universitäten zum Ziel ihrer Partnerschaft gesetzt haben.

Susanna Eismann

(UniJournal 4/2002, S. 57/58)