(17.06.2021) - Verändern sich die klassischen journalistischen Normen auf Twitter? Darauf deuten zumindest die Interaktionsmuster von deutschen Politikjournalist*innen auf Twitter hin, die Nina Fabiola Schumacher, M.A., Dr. Peter Maurer und Prof. Dr. Christian Nuernbergk untersucht haben. Die Ergebnisse der Studie wurden jetzt im International Journal for Press/Politics veröffentlicht.
In der Studie wurden dyadische Twitter-Interaktionen zwischen deutschen Bundestagsabgeordneten und Mitgliedern der Bundespressekonferenz in Zeiträumen aus 2016 und 2020 inhalts- und netzwerkanalytisch verglichen. Der Vergleich der Perioden zeigt, dass Twitter für die Journalist*innen zunehmend als politisches Meinungsmedium fungiert: Sie nutzen die Plattform 2020 mehr, um wertende, kritische und subjektive Ansichten zu teilen und weniger für die Nachrichtenberichterstattung als 2016.
Die Journalist*innen äußern sich kritisch über die deutschen Bundesparteien. Allerdings gibt es eine Ausnahme: Gemessen am Anteil kooperativer und konflikthaften Interaktionsformen im Parteienvergleich, liefert die Studie Hinweise auf ein positives Meinungsklima seitens der Journalist*innen gegenüber Politiker*innen von Die Grünen – auf sie fällt einerseits der höchste Anteil an kooperativen Tweets, während ihnen andererseits der geringste Anteil an negativen Bewertungen zuteil wird.
Auch wenn sich Journalist*innen auf Twitter selbst eher als aktive Bürger*innen sehen, statt in ihrer professionellen Rolle, könnten Politiker*innen und andere Follower*innen sie als Journalist*innen wahrnehmen. Die untersuchten Twitter-Interaktionen deuten darauf hin, dass journalistische Normen wie Objektivität und Neutralität hier weniger bedeutsam sind. Allerdings ist der Anteil an kritischen Äußerungen insgesamt gestiegen. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Journalist*innen eine Rolle als „kritische Beobachtende“ auf Twitter einnehmen und diese Orientierung (zumindest zum Teil) in der digitalen Welt verstärken. Der Artikel ist hier zu finden.
Die neue IJPP-Studie ergänzt die Forschung von Prof. Nuernbergk zu Interaktionen von Journalist*innen. Seit 2019 wurden zunächst zwei Befragungen und ein Langzeittracking mit Netzwerkanalyse veröffentlicht; die jetzt veröffentlichten Ergebnisse runden diese Perspektiven aus inhaltsanalytischer Sicht ab.