Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Fächern Geschichte, Soziologie, Ethnologie, Anglistik und Germanistik an der Universität Trier zeigen, wie divers ihre Kulturforschung ist. Von zeitgeschichtlichen Phänomen wie der Cancel Culture oder Unterhaltungskultur wie Deutschrap und Late Night Shows bis hin zur kulturellen Aneignung, kulturellem Miteinander und den Herausforderungen der Erinnerungskultur. Kultur – dafür hat wohl jede Nation, Generation, Gesellschaft und jeder Einzelne eine eigene Definition. An der Universität Trier befassen sich seit Jahrzehnten viele Professuren und Fächer im weitesten Sinne mit Kultur.
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Erinnerungskultur
Das Erinnern an die NS-Zeit ist heute wichtiger denn je. Das sagen die Historikerin Dr. Lena Haase und der Historiker Dr. Thomas Grotum. Allerdings braucht es neue Formen des Gedenkens.
Die x-te Fernsehdokumentation über die Nationalsozialisten. Jedes Jahr am 9. November Zeitungsberichte über die Reichspogromnacht 1938 und die Angriffe auf Synagogen sowie weitere jüdische Einrichtungen. Lena Haase und Thomas Grotum verstehen nicht, warum manch einer sagt, dass man aufhören sollte, die NS-Zeit zu thematisieren. „Die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen – das Erstarken von rechts-außen Parteien – zeigen, dass es dringend notwendig ist, an die nationalsozialistische Vergangenheit zu erinnern“, stellen die beiden Historiker der Universität Trier heraus. Gemeinsam mit Prof. Dr. Lutz Raphael leiten sie die Forschungs- und Dokumentationsstelle SEAL (Strukturen und Erinnerung. Angewandte Geschichtswissenschaft und Digitale Lehre).
Um die Erinnerung wach zu halten und vor allem auch die junge Generation zu erreichen, müssen ihrer Meinung nach neue Formate des Gedenkens entwickelt werden. Haase: „Formen des Erinnerns wie Kranzniederlegungen oder das Anbringen von Gedenktafeln sind in der Politik stark verinnerlicht. Natürlich sind sie Teil der Erinnerungskultur, die auch nicht wegzudenken sind.“
Die Forschungs- und Dokumentationsstelle SEAL geht jedoch auch neue Wege. Beispielsweise hatten die Historikerinnen und Historiker der Universität gemeinsam mit weiteren Partnern zum internationalen Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus 2022 die Aktion „Erinnerlicht“ organisiert. An der Porta Nigra konnte mit dem Handy ein Licht gespendet werden. Dabei erschien zufällig ein Foto und Informationen einer jüdischen Person aus der Region Trier, die zwischen 1941 und 1943 deportiert wurde.
„Besonders in Trier ist, dass die Erinnerungskultur durch die Nähe zu Luxemburg, Frankreich und Belgien auch transnational ist. Eigentlich muss man im Plural von Kulturen sprechen“, so Grotum. Haase ergänzt: „Natürlich haben die Menschen auf der anderen Seite der Grenze in der NS-Zeit andere Erfahrungen gemacht als hier. Doch Verfolgung gab es auf beiden Seiten. Das gemeinsame Erinnern wollen wir in den Vordergrund stellen.“ Ein digitaler Atlas, an dem Forschende der Universität Trier mitgearbeitet haben, zeigt zum Beispiel Erinnerungsorte der Großregion.
Ihre Aufgabe sehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von SEAL aber nicht nur in aktiver Erinnerungsarbeit, sondern auch in Grundlagenforschung. Zwar ist die NS-Zeit stark erforscht, aber es gibt immer noch weiße Flecken. Im laufenden Wintersemester beschäftigen sich Geschichtsstudierende unter der Leitung von Lena Haase mit ebenso einem Thema: den Biografien von Opfern der NS-Patientenmorde der Region Trier. Entstehen soll ein digitales Gedenkbuch – jederzeit und überall von der Welt von allen Interessierten abrufbar. Denn Erinnerungskultur hört eben nicht an Ländergrenzen auf.
konzenTRiert | 27.11.2024