Stellungnahmen und Pressemitteilungen
Pressemitteilung: Ein Meilenstein für die Antisemitismusforschung in Trier. Initiative Interdisziplinäre Antisemitismusforschung feiert ihre erste Mitarbeiterstelle
Im Jahr 2019 gründete sich in Trier die Initiative Interdisziplinäre Antisemitismusforschung (IIA) mit der Motivation, ein Jahr später die "1. Interdisziplinäre Antisemitismustagung für Nachwuchswissenschaftler:innen" zu organisieren. Diese Veranstaltung stellte den Auftakt für die Arbeit der Initiative dar, in deren Rahmen unter anderem Formate wie die "Kulturwochen gegen Antisemitismus" oder eine Konferenz zu "Antisemitismus in der (post-)migrantischen Gesellschaft" veranstaltet wurden. Mit dem Sammelband "Antisemitismus zwischen Kontinuität und Adaptivität" erschien im Oktober 2022 außerdem die erste Publikation der IIA.
Am 1. Februar 2023 konnte ein weiterer Meilenstein des Institutionalisierungsprozesses gefeiert werden: Durch die Förderung der Nikolaus Koch Stiftung im Zuge des Projekts "Gründung eines Instituts für Antisemitismusforschung an der Universität Trier" existiert nun die erste wissenschaftliche Mitarbeiterstelle für die IIA. Diese wird in Zukunft von Lennard Schmidt, Teil ihrer Kollegialen Leitung, ausgefüllt werden: "Es ist schön, zu sehen, dass unsere Arbeit der letzten Jahre von anderen Akteur:innen aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft anerkannt und gelobt wird. Wir danken all unseren Freund:innen und Unterstützer:innen und freuen uns auf eine Vielzahl spannender Projekte, die wir in den kommenden zwei Jahren angehen werden", so Lennard Schmidt.
Für 2023 plant die IIA unter anderem im Mai die zweite Auflage des Oy Vavoy!-Kulturfestivals unter dem Motto "Fußball, Judentum, Empowerment und Solidarität" sowie im Spätsommer eine Neuauflage der "Kulturwochen gegen Antisemitismus". Daneben soll das antisemitismuskritische Netzwerk der IIA innerhalb von Rheinland-Pflaz und darüber hinaus weiter aufgebaut und gestärkt werden. "Um Antisemitismus nachhaltig bekämpfen und Demokratie fördern zu können, braucht es eine institutionalisierte Antisemitsmusforschung. Diese muss sich auch tiefgreifender Grundlagenforschung widmen können, ohne von der Prekarität wissenschaftlicher Beschäftigungsverhältnisse eingeschränkt zu werden", führt Schmidt abschließend aus.
Pressemitteilung: Mord an Alexander W. – Ein weiteres Opfer rechtsextremer Gewalt
Gemeinsame Stellungnahme der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Rheinland-Pfalz, der Fachstelle für Betroffenenstärkung und Demokratieentwicklung – m*power und des Vereins Netzwerk am Turm. Erarbeitet mit Unterstützung der Initiative Interdisziplinäre Antisemitismusforschung und der Forschungsgruppe Extreme Rechte und Rechtspopulismus in Rheinland-Pfalz | Idar-Oberstein/Bad Kreuznach/Koblenz, 12. September 2022
Wir werten den Mord an Alexander W. († 18. September 2021 in Idar-Oberstein) als rechtsextremen Terror: Der Täter gab an, damit eine Botschaft gegen die Corona-Schutzmaßnahmen senden zu wollen. Zwar waren ihm die politisch Verantwortlichen nicht greifbar, wohl aber der auf die Einhaltung der Maßnahmen bedachte Tankstellenmitarbeiter. Bereits vor der Pandemie war der Täter rechtsextrem eingestellt, sein Hass konzentrierte sich ab 2020 verstärkt auf Personen, die er für die Corona-Politik verantwortlich wähnte. Sein Denken mündete schließlich im Mord an Alexander W.
Das Schüren von Angst ist typisch für rechtsextremen Terror: Die gezielte und brutale Tat möchte der Täter verstanden wissen als Symbol eines legitimen Widerstandes gegen die angeblich illegitime Regierung und ihre Handlanger:innen. So berichtete die Polizei unmittelbar nach der Tat von mehreren Vorfällen, in denen Täter:innen Angestellte im Einzelhandel oder Bahnreisende mit Verweis auf die Tat in Idar-Oberstein bedrohten. Sie fühlten sich durch die Tat ermutigt, nun selber Gesicht zu zeigen und zu handeln.[1][2] Die Botschaft der Tat zielt auf das Schüren von Angst und Verunsicherung bei allen potenziellen Betroffenen und wirkt damit über die konkrete Tat hinaus.
„Der Mord an Alexander W. hat offengelegt, wie wichtig die Auseinandersetzung mit den Hintergründen der Tat und rechtem Terror ist. Der Täter wollte die Verantwortlichen für die Corona-Politik treffen, greifbar war ihm aber nur W., der als Tankstellenmitarbeiter die Corona-Verordnungen durchsetzen musste.“ (Rolf Knieper, Geschäftsführer Fachstelle für Demokratieentwicklung und Betroffenenstärkung – m*power)
Die Ermordung Walter Lübckes ruft in Erinnerung, dass auch Repräsentant:innen des Staates Opfer rechtsextremer Gewalt werden können; der Anschlag in Halle zeigt, dass zur Tat entschlossene Rechtsextreme auch beliebige Opfer in Kauf nehmen. Der Mord weist also deutliche Muster von rechtem Terror auf und reiht sich ein in eine dynamische neue Entwicklung.
Der Strafprozess zeichnete das Bild eines Täters, der sich schon vor der Corona-Pandemie in einer rechtsextremen Lebenswelt bewegt hat. Dort äußerte er Hass, Gewalt- und Vernichtungsfantasien gegenüber Migrant:innen, Politiker:innen und vermeintlichen politischen Gegner:innen. Verantwortliche Politiker:innen wollte er „in die Gaskammer schicken“ oder „an Straßenlaternen aufhängen“.[3] Die im Prozess vernommene Oberpsychologierätin des LKA sprach von der langjährigen rassistischen Gesinnung des Angeklagten und nannte seine politische Motivation als handlungsleitendes Motiv für die Tat. Als der Täter seine Waffe ergriff, handelte er in seinem Weltbild stellvertretend für viele andere, die auf „Corona-Demos“ den Resonanzraum für seine Tat bildeten.
„Wir konnten schon bei den Corona-Protesten auf den Straßen und in den diversen digitalen Gruppen beobachten, wie seit Beginn der Pandemie einzelne Menschen für die Maßnahmen verantwortlich gemacht und als Feinde markiert wurden. Nicht selten wurde dies mit Gewaltphantasien verbunden. Die Proteste waren getragen von einer sich verschärfenden Widerstandsrhetorik. Der Mord an Alexander W. zeigt deutlich, dass solche Formen von rhetorischer und digitaler Gewalt auch in reale Gewalt umschlagen können.“ (Nicola Rosendahl, Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus)
Rechtsextreme finden heute auch in Online-Welten Zuspruch und technisches Knowhow. In Teilen des Internets bilden Rassismus, Antisemitismus, Verschwörungstheorien, Misogynie, die Leugnung des menschlich beeinflussten Klimawandels und die Feindschaft zur liberalen Demokratie häufig ein Grundrauschen, das Einzelne motiviert den Entschluss zum gewaltsamen Widerstand zu treffen. Online finden sie mitunter moralische Unterstützer:innen, Sponsor:innen und Zugang zu Waffen. Eine Einbindung in rechtsterroristische Unterstützernetzwerke muss heute nicht mehr zwangsläufig persönlich erfolgen. Dies zeigen beispielsweise die Attentate in München 2016, sowie in Christchurch und Halle 2019.
Der Mord in Idar-Oberstein zeigt erneut, wie rechtsextreme Weltbilder Einzelner und die gesellschaftliche Mobilisierung Vieler auf der Straße und im Netz kaum kontrollierbare Gewalt-
Dynamiken auslösen können. In den vergangenen Jahren waren es die gesellschaftlichen Verwerfungen infolge der Pandemie; im Herbst könnte die Energiekrise als einschneidende Lebenserfahrung hinzutreten. Die Gesellschaft muss wachsam sein gegenüber den neuen drohenden Wellen rechtsextremer Wut und Gewalt.
„Der Täter hat aus seiner politischen Haltung kein Geheimnis gemacht und sogar seine Tat im privaten Umfeld angekündigt. Wichtig ist also, dass das Umfeld genau zuhört, bei menschenfeindlichen Äußerungen widerspricht und sich selbst Hilfe und Beratung einholt. Bei Gewaltphantasien und -ankündigungen muss das Umfeld die Polizei verständigen.“ (Siggi Pick, Netzwerk am Turm e.V.)
Der Mord an Alexander W. muss sowohl von Behörden als auch von Politik und Öffentlichkeit als rechtsextreme Tat gewertet und in politische Entwicklungen eingeordnet werden. Nötig ist eine verstärkte Sensibilisierung für den Wandel der extremen Rechten, auch in den Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden, um das Verständnis zu vertiefen für die rechtsextreme Gefährdung des Zusammenlebens. In der Aus- und Weiterbildung bei Polizei und Justiz muss das Thema auf der Höhe der wissenschaftlichen Debatte verankert werden. Dafür ist auch die Finanzierung von entsprechender Grundlagenforschung und zu rechtsextremer Gewalt in Rheinland-Pfalz notwendig. Wir schließen uns außerdem der Forderung zivilgesellschaftlicher Initiativen an, eine unabhängige Kommission einzusetzen, zur Aufarbeitung und Überprüfung möglicher rechtsextremer Morde in Rheinland-Pfalz. Ihr müssen auch Vertreter:innen der engagierten Zivilgesellschaft angehören.
Stellungnahme der IIA zu Michael Fiedrowiczs “Ohne Kampf gibt es kein Christentum”
Stellungnahme der IIA zu Äußerungen von Prof. Dr. Michael Fiedrowicz auf Anfrage des Trierischen Volksfreundes | 30.05.2022
Bei unserer Einschätzung des von Prof. Dr. Michael Fiedrowicz verfassten Aufsatzes “Ohne Kampf kein Christentum. Ecclesia militans - eine vergessene Metapher” (In: Die Neue Ordnung, 72 (1), Februar 2018) haben wir zwei zentrale Fragen gestellt: Zum einen ist von Bedeutung, inwieweit der Text antisemitische Stereotype und Topoi beinhaltet und verbreitet, und zum anderen, ob der Autor diese Inhalte deskriptiv im Sinne einer wissenschaftlichen Analyse wiedergibt oder selbst von ihnen überzeugt ist bzw. sie als Norm des rechtgläubigen Christen konstruiert.
Es lässt sich zunächst festhalten, dass Prof Dr. Fiedrowicz bereits zu Beginn des Textes eine manichäische Aufteilung der Welt vornimmt: “So zeigen schon die ersten Seiten der Bibel, losgelöst von historischen Bedingtheiten, die in der Weltgeschichte einander entgegengesetzten Mächte: Gott, der Messias und die Menschen auf der einen Seite, der Teufel in der Rolle des Widersachers Gottes und des Antichristen auf der anderen Seite” (Fiedrowicz 2018: 21). Der Autor vermischt hier rhetorisch mythisch-biblische Religionsgeschichte und Historiographie und deutet den Kampf zwischen “Gut und Böse” als transhistorische Konstellation, innerhalb der sich geschichtliche Phänomene ereignen. Diese Dichotomie reduziert die Komplexität der Weltgeschichte auf eine simple Gegenüberstellung von moralischen Extremen. Dabei ist die “antichristliche” Seite derart überzeichnet dargestellt, dass sie vom Rezipienten jederzeit als Projektionsfläche von negativen Empfindungen genutzt werden und ein Einfallstor für Antisemitismus darstellen kann.
Als Quellen für seine Darstellung der Widerstände gegen die Kirche führt Fiedrowicz anstelle von anerkannten historischen Belegen ausschließlich die Bibel und ihre Interpretationen durch Geistliche wie Papst Benedikt XIV./Kardinal Joseph Ratzinger oder “die Kirchenväter” an. Einer wissenschaftlichen Methodik folgt der Text unserer Meinung nach nicht, stattdessen findet eine Vermischung von Wissenschaft und katholischem Dogma statt. Dies zeigt sich nicht nur textinhärent, sondern unserer Einschätzung nach auch in Fiedrowiczs Reaktion auf die fehlende Nachvollziehbarkeit der Herkunft seiner Aussagen: So betonte Fiedrowicz im Volksfreund, dass es sich bei seinen Ausführungen lediglich um indirekte Zitate aus historischen Quellen handele, die er aus formal-stilistischen Gründen nicht mit einer Fußnote habe kennzeichnen können. Dieses Vorgehen entspricht nicht den Standards wissenschaftlichen Arbeitens, die sich u.a. durch die der Nachprüfbarkeit von Quellen definiert. Zudem wirkt diese Ambivalenz wie der Versuch, sich gegen inhaltliche Kritik jeglicher Art zu immunisieren.
In Rekurs auf die zuvor angeführten Aussagen aus der Einleitung bezeichnet Fiedrowicz diesen wahrgenommenen Dualismus aus “Gläubigen” und Feinden der Kirche, zwischen Jesus Christus und Satan, als in den Evangelien “beschriebene Wirklichkeit” (ebd: 26). An dieser Stelle tritt deutlich zutage, dass der Autor nicht bloß fremde Inhalte wiedergibt, sondern selbst von der Bedeutung dieses religiösen Kampfes überzeugt ist. So führt er an: “Diese Realität auszublenden, hieße nicht, auf der Höhe moderner Wissenschaft zu sein, sondern die Tiefendimension des Kampfes zu verkennen, der jedem Getauften und der Kirche insgesamt aufgetragen ist” (ebd: 26, Herv. i. O.). Entgegen der öffentlichen Aussagen Fiedrowiczs ist der Text nicht ausschließlich deskriptiv, sondern enthält ein eindeutig normatives Plädoyer für den kirchlichen Kampf gegen ihre vermeintlichen Gegner: “Deswegen erscheint es überaus notwendig, sich auf eine Bezeichnung der Kirche zu besinnen, die heute fast vergessen scheint, aber seit Anbeginn das Selbstverständnis der Kirche zutiefst prägte. Gemeint ist der manchen noch vertraute Titel: Ecclesia militans – die streitende Kirche” (ebd: 30).
Hinsichtlich der Frage, welche dezidiert antisemitischen Stereotype und Topoi der Text bedient, ist festzuhalten, dass der Autor sowohl klassisch-antijudaistische als auch moderne antisemitische Inhalte einsetzt. Fiedrowicz zufolge “suchte Satan die entstehende Kirche durch gewaltsame Verfolgung zu vernichten, durch die anfängliche Verfolgung seitens der jüdischen Synagoge” (ebd: 23). Der Begriff der Synagoge kann mehrdeutig interpretiert werden, da das Wort nebst seiner heute gebräuchlichen Variante als Synonym für jüdisches Gotteshaus auch die Gesamtheit des Judentums meinen könnte. Die angebliche Verfolgung von Christen durch Juden erscheint durch deren Minderheitencharakter und die Rechtslage im Römischen Reich bestenfalls fragwürdig. Sicherlich mag es theologische Streitfragen zwischen Juden- und Christentum geben, dies jedoch fälschlicherweise als “Verfolgung” von Christen durch Juden zu bezeichnen, bedient in diesem Kontext klassische Narrative der Schuldumkehr. Überhaupt wird dieser vermeintliche Sachverhalt nicht als historisches Phänomen, sondern als Zeichen der Ankunft Satans gedeutet. Das Einwirken Satans zeige sich, so der Fortlauf der Argumentation, in diverser Gestalt bis heute, wodurch ‘die Juden’, wenn auch nicht immer explizit benannt, als Feinde der Christenheit dargestellt und so in der Folge auch dort, wo sie nicht explizit genannt werden, (mit)gemeint. So werden Jüdinnen:Juden im Text dadurch diffamiert, dass ihnen eine Verbindung zum “Antichristen” und dem Anbeten falscher Götzen unterstellt wird (vgl. ebd: 27). Fiedrowicz entwickelt im Verlauf des Textes argumentativ die Idee weiter, Christ:innen müssten auch gegenwärtig gegen die Feinde, die von Satan gesandt seien, vorgehen und diese aufs Ärgste bekämpfen, was er mit dem Aufbau der dichotomen Weltsicht zu Beginn des Textes bereits als unumgänglich legitimiert hat.
Er unterstellt Jüdinnen:Juden neben dem verbalen Vorgehen gegen Christ:innen sogar eine gewaltsame Aggression, für die es keinerlei historische Belege gibt: “In den Zeiten des Antichrist, da ‘die Erde in seine Hände gegeben sein wird’ und er die Weltherrschaft erlangt hat (vgl. Offb 13,7), werden sich die Gegner der Kirche – Juden, Heiden, Irrlehrer – gemeinsam gegen sie erheben, um sie nun nicht wie früher nur mit Worten, sondern mit schonungsloser Gewalt anzugreifen” (ebd: 28f.). Neben der direkten Benennung jüdischer Menschen als Feind:innen des Christentums verwendet Fiedrowicz zahlreiche antisemitische Topoi. So werden zum Beispiel ‘die Juden’ als treibende Kraft hinter Säkularisierung und Laizismus in Europa vermutet, wodurch traditionelle Beziehungen zwischen Mensch und Gott sowie Traditionen und Werte aufgebrochen werden: “‘Wir wollen nicht, daß dieser über uns herrsche’: der Empörungsschrei der jüdischen Hohepriester [...] ist geradezu durch den fehlenden Gottesbezug in die Präambel der europäischen Verfassung eingeschrieben, sozusagen als ideologischer Laizismus” (ebd: 29). In diesem Kontext richtet sich Fiedrowicz beispielsweise gegen die sogenannte “Gender-Ideologie” (ebd: 25), welche in die Verschwörung gegen das Christentum und die Institution der Ehe eingebettet sei. Des Weiteren sieht der Autor das Christentum durch “entschieden anti-christliche Strömungen bedroht, die auf verschiedenen Ebenen agieren: UN-Resolutionen, EU-Beschlüsse, sogenannte Nicht-Regierungsorganisationen, nationale Gesetzgebungen, bestimmte Parteiprogramme, Medienpropaganda, Bildungseinrichtungen und anderes mehr” (ebd: 30). An dieser Stelle lässt sich eine explizit anti-demokratische Ideologie bei Fiedrowicz erkennen, die selbst die EU und die UN als von einer Verschwörerelite unterwandert sieht. Auch das im modernen Antisemitismus gerne verwendete Narrativ der im Verborgenen für das Böse arbeitenden und als jüdisch kontrolliert geltenden Freimaurerlogen verwendet er (vgl. ebd: 22). Ebenso nutzt er das u.a. von der Neuen Rechten propagierte Verschwörungsnarrativ einer vermeintlichen “Neuen Weltordnung”, die dem Zweck diene, durch “Lüge und Gewalt [...] die Menschen dem Weltstaat gefügig zu machen. Wo die Verführung des Geistes durch Propaganda nicht gelingt, wird Gewalt zum Einsatz kommen” (ebd: 29). Diese dystopisch-apokalyptische Vorstellung von einem gewalttätigen, totalitären Weltstaat ist seit den “Protokollen der Weisen von Zion” ein beständiges Element im Repertoire von Antisemit:innen.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass Michael Fiedrowicz in seinem Text antisemitische Topoi bedient und sich dezidiert anti-demokratisch äußert, all dies angetrieben von der Vorstellung eines Schicksalskampfes zwischen Satan und Jesus Christus. Innerchristliche Konflikte und Krisen wie die gegenwärtige Problematik der Kirchenaustritte werden vollständig auf von Satan beeinflusste feindliche Mächte projiziert (vgl. ebd: 30). Er unterlässt es außerdem, eine Trennung zwischen den Texten anderer Geistlicher und seiner eigenen Einschätzung vorzunehmen, wodurch der gesamte Text als verschwörungsideologisch-antisemitisch motivierter Aufruf des Autors zum religiösen Kampf gegen die Feinde der Kirche betrachtet werden muss. Ein solcher ist nicht tragbar und verbietet sich im Allgemeinen, aber im Besonderen für einen Hochschullehrer, der u.a. in die Lehramtsausbildung involviert ist.
Diese Kritik haben wir in den letzten Wochen immer wieder im Kontext unterschiedlicher Vorträge (Haus des Jugendrechts, Wissenschaftliche Bibliothek, Stadtbücherei Trier etc.) öffentlich vertreten. Nun hat uns das Bistum eingeladen, auf einer Veranstaltung der Theologischen Fakultät einen zehnminütigen einführenden Vortrag über Antisemitismus zu halten. Ursprünglich war von Seiten des Bistums angedacht, dass der Vortrag einen einführenden Charakter zum Gegenstand des Antisemitismus im Allgemeinen haben soll. Da wir die Ansicht vertreten, dass in diesem Fall ein solcher Vortrag dem Problem nicht gerecht wird, haben wir die Bedingung gestellt, den Vortrag dezidiert auf Herrn Prof. Dr. Fiedrowicz und seine antisemitische Rhetorik zuzuschneiden.
Eine solche Veranstaltung wie jene, der wir am 21.06. beiwohnen werden, birgt aufgrund von Begrenzungen in Zeit und Teilnehmer:innenzahl nur die Chance zum Beginn einer Auseinandersetzung mit Antisemitismus an der Theologischen Fakultät und seinem Träger, dem Bistum Trier, und darf nicht der Endpunkt einer Reflexion sein: Denn Fiedrowicz ist für uns nicht mehr als ein Symptom struktureller Probleme innerhalb der katholischen Kirche. Noch stärker als Prof. Dr. Fiedrowicz selbst sind es dementsprechend strukturelle Fragen, die in den Mittelpunkt der Debatte gerückt werden müssten: Wie konnte Fiedrowicz überhaupt die Publikation eines antisemitisch argumentierenden Texts innerhalb einer Zeitschrift mit wissenschaftlichem Anspruch gelingen? Wieso blieben seine Ansichten so lange unbemerkt bzw. unwidersprochen? Welche Anteile der christlichen Dogmatik sind vor dem Hintergrund der langen Geschichte des christlichen Antijudaismus weiterhin anschlussfähig für Antisemitismus?
Auch wenn wir Kritik am Vorgehen des Bistums und der Theologischen Fakultät haben, schlagen wir die Einladung aufgrund unseres Selbstverständnisses als aufklärende Initiative nicht aus und werden die antisemitischen Äußerungen Fiedrowiczs am Ort seines Wirkens klar benennen. Dennoch gilt, dass wir die Kürze des Vortrags sowie die Einbindung in diesen Veranstaltungskontext als unzureichend betrachten, um den Fall tatsächlich aufzuarbeiten. Davon, dass das Bistum die Brisanz des Falls Fiedrowicz weiterhin verkennt, zeugt auch die Replik an den Volksfreund, in der der Verweis auf Fiedrowiczs Befürwortung eines interreligiösen Dialogs als Beweis für seine angeblich antisemitismuskritische Gesinnung herhalten muss.
Der Fall ist somit ganz und gar nicht “abgeschlossen”. Wir erwarten von Bistum daher, dass im Anschluss an die Veranstaltung eine dezidierte Aufarbeitung des Falls stattfindet, die die oben genannten Fragen zum Anlass einer umfassenden Reflexion nimmt.