Online-Vortragsreihe "[transfer] - Neue Forschungen zu Antisemitismus und Jüdischen Studien"

Konzept

In der Veranstaltungsreihe "[transfer] - Neue Forschungen zu Antisemitismus und Jüdischen Studien" der Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus der Amadeu Antonio Stiftung stellen (angehende) Wissenschaftler:innen ihre Forschungs- und Abschlussarbeiten zu Antisemitismus und Jüdischen Studien vor. Kurz, bündig und zum Transfer in die außerakademische Welt.

Seit dem Frühjahr 2023 wird die Veranstaltungsreihe als Kooperationsprojekt der Amadeu Antonio Stiftung und der IIA Trier durchgeführt.


Nächster Vortrag

20. November 2025 | 19 Uhr | live auf YouTube [Link]

Die Frage, was unter Antisemitismus zu verstehen ist und wie dieser einzuordnen sei, beschäftigt Jüdinnen:Juden in Deutschland nicht erst seit dem Massaker vom 7. Oktober 2023 und der Welle antisemitischer Proteste in dessen Nachgang. Der 7. Oktober markiert gleichwohl einen Bruch, der auch die Deutungen von Antisemitismus nicht unberührt lässt. In meinem Vortrag werde ich die Verschränkung von Kontinuität und Bruch anhand dreier zentraler Dimensionen rekonstruieren:

  1. Erkennen und Verstehen von Antisemitismus: Die seit Langem bestehende Kritik, dass die nichtjüdische deutsche Gesellschaft Antisemitismus zu selten erkenne und verstehe, bleibt zentral. Angesichts der jüngsten antisemitischen Proteste, Bedrohungen und Gewalttaten hat sie jedoch an Eindringlichkeit gewonnen.

  2. Antisemitismus als gesamtgesellschaftliches Problem: Auch das Verständnis von Antisemitismus als einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen, das Jüdinnen:Juden von verschiedenen Seiten treffen kann, hat sich seit dem 7. Oktober verschoben. Jüdinnen:Juden betonen verstärkt die Gefahren aus Teilen linker und muslimischer Milieus, während Antisemitismus aus der Rechten wie auch aus der „gesellschaftlichen Mitte“ fortbesteht. Ich lege hier einen besonderen Fokus auf die Kontroversen um den sogenannten „importierten Antisemitismus“. Jüdinnen:Juden kritisieren, dass diese Debatte häufig vor allem der moralischen Selbstvergewisserung diene und ihre eigenen Perspektiven dabei kaum berücksichtigt würden. Sowohl der „Fingerzeig“ auf Muslime zur Exkulpation antisemitischer Kontinuitäten in Deutschland als auch das Verkennen von Antisemitismus unter (zugewanderten) Muslimen – nicht erst, aber besonders seit dem 7. Oktober – müssen kritisch hinterfragt werden.

  3. Solidarität: Der 7. Oktober hat für Jüdinnen:Juden schließlich die Unabdingbarkeit von Solidarität unterstrichen – einer Solidarität, die sich nicht in leeren Worten erschöpfen darf, jedoch selbst angesichts der gegenwärtigen Gräueltaten oftmals ausbleibt.

Niklas Herrberg: Studium der Sozialwissenschaften in Düsseldorf. In seiner 2025 abgeschlossenen Promotion beschäftigte er sich mit dem Erleben und Ausdeuten von Antisemitismus unter Jüdinnen:Juden in Deutschland. Von 2020 bis 2025 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung für Soziologie am Institut für Sozialwissenschaften, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Seit November 2025 arbeitet Niklas Herrberg als Postdoc in der Forschungsgruppe Antisemitismus an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören: Antisemitismus, Verschwörungstheorien, die extreme Rechte sowie qualitative Forschungsmethoden.


Datum

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15. Mai 2024

Zur Rolle (moralischer) Gefühle im Antisemitismus

Johanna Bach

Gefühle prägen das menschliche Welt- und Selbstverhältnis auf vielfältige Weise, ob hintergründig als diffuse Stimmungen oder akut als konkretes Gefühlserlebnis. Sie sind Gegenstand individueller wie kollektiver Regulierung, normativer Bewertung und zwischenmenschlicher Kommunikation. Gefühle tragen so auf fundamentale Weise zu der Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens bei. Und in diesem Sinne sind sie auch relevant für eine Erforschung und Bekämpfung des Antisemitismus. Dieser Umstand wurde nach den antisemitischen Massakern der Hamas vom 7. Oktober 2023 besonders deutlich, als Jüdinnen und Juden das Ausbleiben uneingeschränkter Anteilnahme und Empörung beklagten. Hier zeigt sich die zentrale Rolle, die die sogenannten moralischen Gefühle im Zwischenmenschlichen einnehmen und inwiefern sich Antisemitismus auch auf dieser Ebene auswirken kann.Aufzeichnung
16. November 2023

Impfablehnung und Antisemitismus im völkischen Denken

Isolde Vogel

„Es ist mir sonderbar zu Mut, denn Gift und Jud tut selten gut“ – mit dieser Bildunterschrift druckt das antisemitische Hetzblatt Der Stürmer 1932 eine Karikatur gegen Impfungen ab. Der Herausgeber Julius Streicher war Antisemit, NS-Funktionär und bezeichnete Impfungen als „Rassenschande“. Dabei war er nicht der einzige völkische Impfgegner: Von Eugen Dühring bis Heinrich Himmler findet sich Impfablehnung unter völkischen Antisemiten, Lebensreformern bis in die NS-Führungselite – obwohl auch im Nationalsozialismus Impfpflicht herrschte. Im Fokus des Vortrags liegt die Zeit des Booms der Impfablehnung mit dem Aufstieg der NSDAP. Isolde Vogel widmet sich nicht nur den historischen, sondern auch den inhaltlichen Zusammenhängen von Impfablehnung, dem Glauben an eine „natürliche Lebensweise“ und das Recht des Stärkeren, Volkskörperkult, Naturheilkunde und nicht zuletzt Antisemitismus. Historisch und ideologiekritisch soll das Phänomen in das ambivalente Verhältnis zur modernen Gesellschaft eingebettet und theoretische Ansätze zur Erklärung einer antisemitisch und völkisch begründeten Impfgegnerschaft präsentiert werden. Neben der Analyse personeller Verbindungen, ideologischer Zusammenhänge und ideengeschichtlicher Parallelen geht es im Vortrag um die Argumentationsmuster und Motive, mit denen Jüdinnen und Juden als „giftig“, „krankmachend“ und „todbringend“ und die Impfung wiederum als „jüdisch“ begriffen wurde.Aufzeichnung
01. Juni 2023

Der Wandel des Israelbildes in der Neuen Linken

Lennard Schmidt

Unmittelbar nach dem Krieg entsteht in der BRD eine Neue Linke, die aus dem messianischen Willen geboren wird, ein erneutes Erstarken des Nationalsozialismus zu verhindern. Die Gründung des Staates Israel als „Refugium der Holocaustüberlebenden“ wird von ihnen einhellig gefeiert. Sie porträtieren Israel als Land der „blühenden Landschaften, schönen Frauen und des guten Weins“, loben das Militär als „widerständig“, die Kibbutzim als „fortschrittlich“ und den Zionismus als „antikoloniales Projekt“. Nur ein Jahrzehnt später hat sich dieses Israelbild ins absolute Gegenteil verkehrt. Israel ist nun Teil des „militärisch-industriellen Komplexes“ und bildet einen „Brückenkopf der US-Regierung“ im Nahen Osten. Der vorige „Sehnsuchtsort“ wird nun als „Apartheitsstaat“ bezeichnet. War es der Neuen Linken zuvor noch ein Anliegen gewesen, die historische Schuld der BRD gegenüber Israel zu betonen, so spricht man nun von einem „Judenknax“ der Deutschen, der einen objektiven Blick auf diesen nun faschistischen Staat verstelle. Diese Denkweise kulminiert schließlich 1969 in einem versuchten Anschlag auf eine Synagoge voller Holocaustüberlebender. Könnte diese Wahnsinnstat noch als das Handeln einer radikalen Minderheit innerhalb der Neuen Linken verbucht werden, untersucht der Vortrag gerade nicht diese vermeintlich radikalen Auswüchse, sondern die ideologischen Grundlinien der Neuen Linken, die einen antizionistisch grundierten Antisemitismus überhaupt erst ermöglicht haben. Im Zentrum der Untersuchung stehen dabei verschiedene Generationskonstellationen innerhalb der Neuen Linken und ihr Verhältnis zu Erinnerung und Schuld.Aufzeichnung
29. Juni 2022

Desintegrierte Allianzen?

Vicky Lessing

Die Holztür einer Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019 verhinderte den größten antisemitischen Anschlag seit 1945. Ein Rechtsextremist versucht an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, die Synagoge zu stürmen. Anschließend ermordete er Jana L. und Kevin S.. Ein Jahr später wurden am 19.2.2020 neun Menschen aus rassistischen Motiven ermordet. Ihre Namen sind Ferhat Unvar, Said Nesar Hashemi, Mercedez Kierpacz, Gökhan Gültekin, Fatih Saraçoğlu, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Sedat Gürbüz und Kaloyan Velkov. Nicht nur weil die Attentäter von Halle und Hanau Rassismus und Antisemitismus in perfider Weise zusammendachten und darauf reagiert werden muss, sondern auch aus einer emanzipatorischen Perspektive müssen diese Ideologien in ihren Zusammenhängen, Unterschieden und Gemeinsamkeiten mehr diskutiert werden. Wie kann das aber gehen, wenn es in rassismuskritischen Ansätzen immer wieder antisemitische Ausfälle gibt, die keineswegs Einzelfälle sind? Oder wenn eine antisemitismuskritische oder israelsolidarische Haltung nur Steigbügelhalter für Rassismus und die eigene Schuldabwehr sind? In ihrer Bachelorarbeit untersucht Vicky Lessing (28) das Konzept der Desintegration des Publizisten Max Czollek mit Blick auf dessen Potentiale einer gemeinsamen Verhandlung von Antisemitismus und Rassismus in kritischen Theorien, aber auch der politischen Bildung und im Aktivismus. Ein Plädoyer für desintegrierter Allianzen, in die Vicky Lessing ihre Hoffnungen setzt, statt in massive Holztüren.Aufzeichnung
23. September 2021

Poale Zion. Jüdische Arbeiterorganisation zwischen Internationale und Deutschland

Lisa Lei

Während „der Arbeiter kein Vaterland“ hat, waren seine Organisationen national strukturiert: Die II. Internationale ordnete ihre Mitglieder nach nationalen Sektionen. Die Poale Zion („Arbeiter Zions“), um 1900 in Russland gegründet, wollte auf dieser internationalen sozialistischen Bühne als jüdische Sektion teilnehmen. Überall in Ost- und dann Westeuropa, aber auch in den Amerikas bildeten sich Verbände der PZ. Ihre Verbindung von Sozialismus und Zionismus war in vielerlei Hinsicht neu – sowohl im proletarischen, im sozialistischen, im jüdischen, wie zionistischen Spektrum und eckte überall an. Erst 1917 – da lag die II. Internationale wegen des 1. Weltkriegs bereits am Boden – wurde die Poale Zion aufgenommen. Doch bereits drei Jahre später spaltete sich ihr Weltverband, wie viele sozialistische Organisationen dieser Zeit, an der Frage, ob der III. Internationale, der „Komintern“ beizutreten sei oder man bei der sich zusehends verbürgerlichenden Sozialdemokratie bleiben sollte. In Deutschland lief mal wieder einiges ganz anders: ein deutscher Ableger der Poale Zion gründete sich erst 1918 nach Ende des 1. Weltkriegs. Aufgrund der unerträglichen Situation für die hauptsächlich aus Osteuropa stammenden jüdischen Flüchtlinge fand die PZ in Deutschland ein vom internationalen Streit um die richtige Organisationsform ganz verschiedenes Betätigungsfeld: Flüchtlingshilfe an der Seite teils bürgerlicher, antizionistischer, antisozialistischer jüdischer Institutionen im „Arbeiterfürsorgeamt“. Die Arbeit/ der Vortrag geht den Fragen nach: Wie kam es dazu? Woher kamen die „ostjüdischen“ Flüchtlinge? Welche Verbindungen bestanden zwischen Arbeits- und Migrationspolitik in Preußen? Wie verhielten sich die sozialistischen Organisationen zu Flüchtlingsfrage und Arbeitsmigration? Welche hatten jeweils die politisch vollkommen unterschiedlichen jüdischen Organisationen am Arbeiterfürsorgeamt mitzumachen? Welche Rolle spielte der Antisemitismus?rend wirkten.Aufzeichnung
23. Juni 2021

Antisemitische Perspektiven auf jüdische Staatlichkeit zur Jahrhundertwende

Lukas Uwira

Im Zuge der jüngsten Enthemmung antisemitischer Gewalt anlässlich des Israel-Hamas-Konfliktes ist wieder vermehrt vom israelbezogenen bzw. antizionistischen Antisemitismus die Rede. Dieser ist bekanntlich kein neues Phänomen: Das Münchner Olympia-Attentat und der versuchte Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus Berlin stehen für dessen lange Kontinuität. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass sich Antisemiten bereits im späten 19. Jahrhundert, also lange vor der israelischen Staatsgründung, mit jüdischer Staatlichkeit befassten. Auch die Geschichte des antizionistischen Antisemitismus reicht bis dahin zurück. Die antisemitischen Perspektiven bewegten sich zu dieser Zeit zwischen zwei Polen: Einige Judenfeinde wünschten die ›Judenfrage‹ durch Emigration bzw. Deportation zu lösen und begrüßten die Schaffung eines jüdischen Staates. Bei anderen überwog die Ablehnung: Ein jüdischer Staat sei aufgrund ›jüdischer‹ Eigenschaften weder möglich noch erstrebenswert – und im Falle seiner unwahrscheinlichen Realisierung eine existenzbedrohende Gefahr für die Welt. Nach einem kurzen Überblick über die antisemitischen Perspektiven wird der Vortrag die Aufmerksamkeit auf die zweite Gruppe lenken. Im Fokus werden dabei die vorgebrachten Behauptungen stehen, warum ›Juden‹ angeblich keinen Staaten gründen könnten und sie obendrein staatenzerstörend wirkten.Aufzeichnung