Online-Vortragsreihe "[transfer] - Neue Forschungen zu Antisemitismus und Jüdischen Studien"

Konzept

In der Veranstaltungsreihe "[transfer] - Neue Forschungen zu Antisemitismus und Jüdischen Studien" der Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus der Amadeu Antonio Stiftung stellen (angehende) Wissenschaftler:innen ihre Forschungs- und Abschlussarbeiten zu Antisemitismus und Jüdischen Studien vor. Kurz, bündig und zum Transfer in die außerakademische Welt.

Seit dem Frühjahr 2023 wird die Veranstaltungsreihe als Kooperationsprojekt der Amadeu Antonio Stiftung und der IIA Trier durchgeführt.


Nächster Vortrag

18. April 2024 | 19 Uhr | live auf YouTube

Gefühle prägen das menschliche Welt- und Selbstverhältnis auf vielfältige Weise, ob hintergründig als diffuse Stimmungen oder akut als konkretes Gefühlserlebnis. Sie sind Gegenstand individueller wie kollektiver Regulierung, normativer Bewertung und zwischenmenschlicher Kommunikation. Gefühle tragen so auf fundamentale Weise zu der Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens bei. Und in diesem Sinne sind sie auch relevant für eine Erforschung und Bekämpfung des Antisemitismus. Dieser Umstand wurde nach den antisemitischen Massakern der Hamas vom 7. Oktober 2023 besonders deutlich, als Jüdinnen und Juden das Ausbleiben uneingeschränkter Anteilnahme und Empörung beklagten. Hier zeigt sich die zentrale Rolle, die die sogenannten moralischen Gefühle im Zwischenmenschlichen einnehmen und inwiefern sich Antisemitismus auch auf dieser Ebene auswirken kann.

Johanna Bach hat Soziologie und Philosophie in Frankfurt am Main studiert und promoviert zu dem Thema „Die Gefühlswelt des Antisemitismus“. Sie ist Promotionsstipendiatin der Rosa Luxemburg Stiftung und Mitglied des AK Antisemitismus der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Sie forscht und publiziert zu Antisemitismus, Emotionstheorie, Rechtsextremismus und Verschwörungsideologien sowie zur Moralphilosophie des Nationalsozialismus. Titel der Dissertation: Die Gefühlswelt des Antisemitismus - Eine emotionstheoretische Studie antisemitischer Gefühlskonstellationen in der deutschen Geschichte und Gegenwart


Aufzeichnungen bisheriger Vorträge

Datum

Titel

Ankündigungstext

23. Juni 2021

Antisemitische Perspektiven auf jüdische Staatlichkeit zur Jahrhundertwende

Lukas Uwira

Im Zuge der jüngsten Enthemmung antisemitischer Gewalt anlässlich des Israel-Hamas-Konfliktes ist wieder vermehrt vom israelbezogenen bzw. antizionistischen Antisemitismus die Rede. Dieser ist bekanntlich kein neues Phänomen: Das Münchner Olympia-Attentat und der versuchte Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus Berlin stehen für dessen lange Kontinuität. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass sich Antisemiten bereits im späten 19. Jahrhundert, also lange vor der israelischen Staatsgründung, mit jüdischer Staatlichkeit befassten. Auch die Geschichte des antizionistischen Antisemitismus reicht bis dahin zurück. Die antisemitischen Perspektiven bewegten sich zu dieser Zeit zwischen zwei Polen: Einige Judenfeinde wünschten die ›Judenfrage‹ durch Emigration bzw. Deportation zu lösen und begrüßten die Schaffung eines jüdischen Staates. Bei anderen überwog die Ablehnung: Ein jüdischer Staat sei aufgrund ›jüdischer‹ Eigenschaften weder möglich noch erstrebenswert – und im Falle seiner unwahrscheinlichen Realisierung eine existenzbedrohende Gefahr für die Welt. Nach einem kurzen Überblick über die antisemitischen Perspektiven wird der Vortrag die Aufmerksamkeit auf die zweite Gruppe lenken. Im Fokus werden dabei die vorgebrachten Behauptungen stehen, warum ›Juden‹ angeblich keinen Staaten gründen könnten und sie obendrein staatenzerstörend wirkten.
23. September 2021

Poale Zion. Jüdische Arbeiterorganisation zwischen Internationale und Deutschland

Lisa Lei

Während „der Arbeiter kein Vaterland“ hat, waren seine Organisationen national strukturiert: Die II. Internationale ordnete ihre Mitglieder nach nationalen Sektionen. Die Poale Zion („Arbeiter Zions“), um 1900 in Russland gegründet, wollte auf dieser internationalen sozialistischen Bühne als jüdische Sektion teilnehmen. Überall in Ost- und dann Westeuropa, aber auch in den Amerikas bildeten sich Verbände der PZ. Ihre Verbindung von Sozialismus und Zionismus war in vielerlei Hinsicht neu – sowohl im proletarischen, im sozialistischen, im jüdischen, wie zionistischen Spektrum und eckte überall an. Erst 1917 – da lag die II. Internationale wegen des 1. Weltkriegs bereits am Boden – wurde die Poale Zion aufgenommen. Doch bereits drei Jahre später spaltete sich ihr Weltverband, wie viele sozialistische Organisationen dieser Zeit, an der Frage, ob der III. Internationale, der „Komintern“ beizutreten sei oder man bei der sich zusehends verbürgerlichenden Sozialdemokratie bleiben sollte. In Deutschland lief mal wieder einiges ganz anders: ein deutscher Ableger der Poale Zion gründete sich erst 1918 nach Ende des 1. Weltkriegs. Aufgrund der unerträglichen Situation für die hauptsächlich aus Osteuropa stammenden jüdischen Flüchtlinge fand die PZ in Deutschland ein vom internationalen Streit um die richtige Organisationsform ganz verschiedenes Betätigungsfeld: Flüchtlingshilfe an der Seite teils bürgerlicher, antizionistischer, antisozialistischer jüdischer Institutionen im „Arbeiterfürsorgeamt“. Die Arbeit/ der Vortrag geht den Fragen nach: Wie kam es dazu? Woher kamen die „ostjüdischen“ Flüchtlinge? Welche Verbindungen bestanden zwischen Arbeits- und Migrationspolitik in Preußen? Wie verhielten sich die sozialistischen Organisationen zu Flüchtlingsfrage und Arbeitsmigration? Welche hatten jeweils die politisch vollkommen unterschiedlichen jüdischen Organisationen am Arbeiterfürsorgeamt mitzumachen? Welche Rolle spielte der Antisemitismus?rend wirkten.
29. Juni 2022

Desintegrierte Allianzen?

Vicky Lessing

Die Holztür einer Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019 verhinderte den größten antisemitischen Anschlag seit 1945. Ein Rechtsextremist versucht an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, die Synagoge zu stürmen. Anschließend ermordete er Jana L. und Kevin S.. Ein Jahr später wurden am 19.2.2020 neun Menschen aus rassistischen Motiven ermordet. Ihre Namen sind Ferhat Unvar, Said Nesar Hashemi, Mercedez Kierpacz, Gökhan Gültekin, Fatih Saraçoğlu, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Sedat Gürbüz und Kaloyan Velkov. Nicht nur weil die Attentäter von Halle und Hanau Rassismus und Antisemitismus in perfider Weise zusammendachten und darauf reagiert werden muss, sondern auch aus einer emanzipatorischen Perspektive müssen diese Ideologien in ihren Zusammenhängen, Unterschieden und Gemeinsamkeiten mehr diskutiert werden. Wie kann das aber gehen, wenn es in rassismuskritischen Ansätzen immer wieder antisemitische Ausfälle gibt, die keineswegs Einzelfälle sind? Oder wenn eine antisemitismuskritische oder israelsolidarische Haltung nur Steigbügelhalter für Rassismus und die eigene Schuldabwehr sind? In ihrer Bachelorarbeit untersucht Vicky Lessing (28) das Konzept der Desintegration des Publizisten Max Czollek mit Blick auf dessen Potentiale einer gemeinsamen Verhandlung von Antisemitismus und Rassismus in kritischen Theorien, aber auch der politischen Bildung und im Aktivismus. Ein Plädoyer für desintegrierter Allianzen, in die Vicky Lessing ihre Hoffnungen setzt, statt in massive Holztüren.
01. Juni 2023

Der Wandel des Israelbildes in der Neuen Linken

Lennard Schmidt

Unmittelbar nach dem Krieg entsteht in der BRD eine Neue Linke, die aus dem messianischen Willen geboren wird, ein erneutes Erstarken des Nationalsozialismus zu verhindern. Die Gründung des Staates Israel als „Refugium der Holocaustüberlebenden“ wird von ihnen einhellig gefeiert. Sie porträtieren Israel als Land der „blühenden Landschaften, schönen Frauen und des guten Weins“, loben das Militär als „widerständig“, die Kibbutzim als „fortschrittlich“ und den Zionismus als „antikoloniales Projekt“. Nur ein Jahrzehnt später hat sich dieses Israelbild ins absolute Gegenteil verkehrt. Israel ist nun Teil des „militärisch-industriellen Komplexes“ und bildet einen „Brückenkopf der US-Regierung“ im Nahen Osten. Der vorige „Sehnsuchtsort“ wird nun als „Apartheitsstaat“ bezeichnet. War es der Neuen Linken zuvor noch ein Anliegen gewesen, die historische Schuld der BRD gegenüber Israel zu betonen, so spricht man nun von einem „Judenknax“ der Deutschen, der einen objektiven Blick auf diesen nun faschistischen Staat verstelle. Diese Denkweise kulminiert schließlich 1969 in einem versuchten Anschlag auf eine Synagoge voller Holocaustüberlebender. Könnte diese Wahnsinnstat noch als das Handeln einer radikalen Minderheit innerhalb der Neuen Linken verbucht werden, untersucht der Vortrag gerade nicht diese vermeintlich radikalen Auswüchse, sondern die ideologischen Grundlinien der Neuen Linken, die einen antizionistisch grundierten Antisemitismus überhaupt erst ermöglicht haben. Im Zentrum der Untersuchung stehen dabei verschiedene Generationskonstellationen innerhalb der Neuen Linken und ihr Verhältnis zu Erinnerung und Schuld.