Schaufensterausstellung "Gemeinsam gegen Antisemitismus"

24.01.2022 bis zum 07.02.2022 in der Trierer Innenstadt

Antisemitismus ist auch heute noch in weiten Teilen der Gesellschaft verbreitet. Gerade die Verbreitung von Verschwörungstheorien während der Corona Pandemie verstärkt stereotype Vorurteile gegen Jüdinnen und Juden. Doch moderner Antisemitismus ist ein strukturelles Problem, das weit mehr umfasst: Deshalb hat der Verein Für ein buntes Trier, gemeinsam gegen Rechts die Plakatausstellung „Gemeinsam gegen Antisemitismus“ ins Leben gerufen, an deren inhaltlicher Ausgestaltung wir uns als IIA umfangreich beteiligt haben.

Ziel der Plakatausstellung ist es, über die Formen und Auswirkungen von modernem Antisemitismus aufzuklären und Menschen dazu zu motivieren, sich aktiv gegen Antisemitismus einzusetzen. Insgesamt sind 16 Plakate entstanden: Die Thematik der Plakate reicht von antisemitischen Verschwörungsmythen im Kontext der Corona-Pandemie über das judenfeindliche Wirken des Trierer Reichstagsabgeordneten Georg Friedrich Dasbach (†1907) und israelbezogenen Antisemitismus bis hin zu Antisemitismuserfahrungen von Jüdinnen und Juden.

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Die Plakate wurden zusammen mit jüdischen Studierenden der Universität Trier ausgearbeitet und gestaltet. Gefördert wurde das Projekt durch die Stadt Trier, die Verdi Jugend Trier - Saar und den Pastoralen Raum Trier.

Die Plakatausstellung „Gemeinsam gegen Antisemitismus“ findet im Rahmen der zivilgeschichtlichen Gedenkarbeit der Stadt Trier statt. Die Plakate können vom 24.01.2022 bis zum 07.02.2022 in der Innenstadt besichtigt werden!

Bei einer einmaligen Plakatausstellung soll es aber nicht bleiben. Wir wollen erreichen, dass eine breitere Auseinandersetzung mit Antisemitismus stattfindet: Schulen, Bildungseinrichtungen und ähnliche interessierte Organisationen haben deshalb die Möglichkeit, die Plakatserie kostenfrei zu nutzen. Anfragen gerne an: infobuntes-trierorg oder iiauni-trierde!


Begleitvortrag zur Schaufensterausstellung

Vortrag "Aktuelle Erscheinungsformen des Antisemitismus in der Region Trier"

Aktuelle Erscheinungsformen des Antisemitismus in der Region Trier. Bestandsaufnahme - Betroffenenperspektive

Begleitvortrag zur Schaufensterausstellung "#GemeinsamGegenAntisemitismus" mit Deborah Frank, Emilia Taran, Andreas Borsch, M.A., und Luca Zarbock

Der Vortrag fand am 02. Februar 2022 um 19 Uhr statt und wurd über YouTube und Zoom gestreamt.

Am 27. Januar 1945 befreiten die Alliierten das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und beendeten damit die nationalsozialistische Ermordung von etwa 6 Millionen europäischer Jüdinnen und Juden während der Shoa. Aber auch 77 Jahre später ist der Antisemitismus nicht aus der deutschen Gesellschaft verschwunden. Während der Corona-Pandemie haben antisemitisch konnotierte Verschwörungsmythen neuen Auftrieb gefunden, Anhänger:innen der “Querdenken”-Bewegung vergleichen sich selbst mit den Opfern des Nationalsozialismus und die Bundesregierung mit der NSDAP. Neben der Relativierung der Shoa ist auch israelbezogener Antisemitismus in Deutschland immer noch weit verbreitet, während der Eskalation des Nahostkonflikts im vergangenen Jahr wurde der jüdische Staat auf zahlreichen Demonstrationen dämonisiert und Synagogen angegriffen. All dies führt in der Realität oftmals dazu, dass jüdische Menschen in Angst leben und religiöse Symbole nicht mehr offen auf der Straße tragen.

Der Vortrag soll nun zum einen eine allgemeine Einführung in die Funktionsweisen und Elemente des Antisemitismus bieten und die Verbindungen zu in der Öffentlichkeit präsenten Verschwörungsmythen aufzeigen, zum anderen antisemitische Stereotype auch anhand aktueller Beispiele aus Trier und der Umgebung exemplarisch darstellen und darüber hinaus auch eine in der Analyse von Antisemitismus oft ausgeblendete Betroffenenperspektive auf die Situation von Jüdinnen und Juden im Jahr 2022 liefern.


Die Plakate

Was ist Antisemitismus?

Plakat "Was ist Antisemitismus"

Häufig wird Antisemitismus als Fremdenfeindlichkeit oder religiöses Vorurteil gegenüber Jüdinnen und Juden verstanden. Antisemitismus erschöpft sich allerdings nicht in der stereotypen Wahrnehmung und Abwertung von Jüdinnen und Juden. Vielmehr handelt es sich bei Antisemitismus um eine bestimmte Form der antimodernen Weltdeutung, die moderne politische Strömungen oder Weltanschauungen (etwa Liberalismus, Sozialismus, Atheismus, repräsentative Demokratie) oder bestimmte ökonomische Verhältnisse (Finanzkapitalismus, Globalisierung) als Erfindungen "jüdischen Geistes“ identifiziert. Als den „natürlichen“ Nationen gegenüberstehendes “bösartiges” Kollektiv werden Jüdinnen und Juden in dieser Weltdeutung als „Strippenzieher“ verstanden, die den vermeintlich homogenen Gemeinschaften moderne Verhältnisse aufzwingen würden, um diese zu „zersetzen“. Tatsächliche oder vermeintliche Probleme moderner Gesellschaften werden so dem angeblichen Handeln eines explizit als „jüdisch“ identifizierten oder implizit mit antijüdischen Stereotypen konnotierten Kollektivs zugeschrieben.

Literatur zum Thema aus der IIA-Bibliothek

  • Erdle, Birgit/Konitzer, Werner (Hrsg.) (2015): Theorien über Judenhass - eine Denkgeschichte. Kommentierte Quellenedition (1781 - 1931). Frankfurt am Main: Campus.
  • Heilbronn, Christian/Rabinovici, Doron/Sznaider, Natan (Hrsg.) (2019): Neuer Antisemitismus? Fortsetzung einer globalen Debatte. 3., erweiterte und überarbeitete Auflage. Berlin: Suhrkamp.
  • Maccoby, Hyam (2019): Ein Pariavolk. Zur Anthropologie des Antisemitismus. Leipzig: Hentrich & Hentrich.
  • Maccoby, Hyam (2020): Der Antisemitismus und die Moderne. Die Wiederkehr des alten Hasses. Berlin, Leipzig: Hentrich & Hentrich.

Verbaler Antisemitismus

Plakat "Verbaler Antisemitismus"

Von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus wurden 2020 insgesamt 1.909 antisemitische Vorfälle dokumentiert (RIAS 2021). Die Bundesregierung verzeichnet von Januar bis Anfang November 2021 insgesamt 1.850 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund, darunter 35 Gewalttaten. Diese dokumentierten Fälle bilden aber nicht die gesamte Bandbreite antisemitischer Übergriffe ab. Insbesondere im Bereich des verbalen Antisemitismus kann von einer erheblichen Dunkelziffer ausgegangen werden, auf Schulhöfen gilt “Du Jude” immer noch als geläufige Beleidigung. Antisemitische Stereotype werden oft auch im direkten Kontakt mit Jüdinnen und Juden geäußert, wenn diese ihre Herkunft preisgeben, zum Beispiel wird ihnen eine Affnität zu Geld unterstellt oder sie werden für die Politik Israels verantwortlich gemacht. Viele solcher antisemitischen Vorfälle, Beleidigungen und Übergriffe werden allerdings nicht von den Opfern angezeigt und oft, wenn überhaupt, bloß von den (noch nicht flächendeckend ausgebauten) regionalen Meldestellen festgehalten, laufen also unter dem Radar der Behörden.


Die QAnon-Bewegung

Plakat "Die QAnon-Bewegung"

Bei „QAnon“ handelt es sich sowohl um ein Label als auch um eine Art Bewegung, die jedoch keine eindeutigen Anführer:innen hat. Ausgangspunkt war der als „Pizzagate“ bekannt gewordene Mythos, dass ein geheimes pädophiles (Eliten-)Netzwerk Kinder entführe, foltere und töte, um mit ihrem Blut eine Verjüngungsdroge herzustellen (RIAS, 2021). Diese Vorstellung zeigt klare Parallelen zur Legende des jüdischen „Ritualmords“ an christlichen Kindern aus dem Mittelalter. „Q“, ein angeblich ranghoher US-amerikanischer Geheimdienst-Agent, könne nicht länger mit seinem Wissen alleine leben und verbreite daher die Wahrheit über geheime Pläne einer angeblichen globalen Elite, die nach der Weltherrschaft strebe. Auffällig ist vor allem das stark apokalyptisch geprägte Denken der „QAnon“-Anhänger:innen. In ihrem Denken wird ein Endkampf zwischen „Gut“ und „Böse“ imaginiert. Solche Vorstellungen zeigen Bezüge eines „Erlösungs-Antisemitismus“, der dem NS-Wahn zur Beseitigung der Jüdinnen und Juden zugeschrieben wird. Im europäischen Kontext findet die Bewegung insb. in Deutschland im Zuge der „Querdenken“-Bewegung zulauf. Expert:innen gehen inzwischen von Zehntausenden Anhänger:innen in der Bundesrepublik aus.

Weitere Informationen zu QAnon und Antisemitismus findet man hier.

Literatur zum Thema aus der IIA-Bibliothek

  • Stiftung Kloster Dalheim (Hrsg.) (2020): Verschwörungstheorien - früher und heute. Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.

Israelbezogener Antisemitismus

Plakat "Israelbezogener Antisemitismus"

In unserer Gesellschaft, in der offensichtlich antisemitische Äußerungen zumeist sozial geächtet werden, wird Antisemitismus häufig über Umwege kommuniziert. Gerade Israel als einziger jüdischer Staat, der für viele Jüdinnen und Juden einen wichtigen Teil ihrer Identität bildet, bietet sich für antisemitische Deutungsmuster an. Dabei wird häufig auf Codes zurückgegriffen, um das eigene Ressentiment salonfähiger zu machen. So ist es etwa gesellschaftlich viel anerkannter, von „den Zionisten“ statt „den Juden“ zu sprechen. „Zionisten“, Israelis und der jüdische Staat werden in Anlehnung an typische judenfeindliche Vorstellungen etwa als bösartige „Kindermörder“ oder „Strippenzieher“ dargestellt. So sei die Existenz Israels die einzige Ursache für die Konflikte im Nahen Osten. Diskursiv einflussreiche Beispiele von israelbezogenem Antisemitismus sind darüber hinaus Gleichsetzungen von israelischer Politik mit der des NS-Regimes; Dämonisierungen und die Verwendung von zweierlei Standards in Bezug auf Israel im Vergleich zu anderen demokratischen Staaten; die Aberkennung eines jüdischen Rechts auf Selbstbestimmung und die Behauptung, Israel sei ein "kolonialrassistischer Apartheidstaat“. Wirkmächtig sind darüber hinaus Boykottaufrufe gegen Israel, die Israelis kollektiv für tatsächliche oder vermeintliche Handlungen ihrer Regierung verantwortlich machen und Erinnerungen an die NS-Parole „Kauft nicht bei Juden“ wecken.

Antisemitische Verschwörungsmythen und Israelfeindschaft treten letztlich oft gemeinsam in Erscheinung. Der israelbezogene Antisemitismus projiziert entsprechende antisemitische Ressentiments auf den jüdischen Staat Israel und seine moderne Demokratie. Israelbezogene Judenfeindschaft bietet eine enorme Komplexitätsreduktion: vielschichtige gesellschaftliche Herausforderungen und Konflikte werden zur "jüdischen Frage" und zum Problem des jüdischen Staates verdinglicht. Diese Form der Judenfeindschaft richtet sich gegen jüdische Israelis genauso wie gegen Juden und Jüdinnen in der Diaspora, die mit Israel oder als "Zionisten" per Fremdzuschreibung identifiziert werden oder sich selbst mit Israel identifizieren. Der jüdische Staat zieht den Hass von Antisemiten unterschiedlicher Schichten und politischer Ausrichtungen auf sich und ist zu einer "primären Projektionsfläche judenfeindlicher und verschwörungsbasierter Phantasien geworden". Dabei werden Israel und seine jüdischen Bürger:innen ideell aus der Weltgemeinschaft der Staaten kollektiv ausgesondert, angegriffen und dämonisiert.

Literatur zum Thema aus der IIA-Bibliothek

  • Bernstein, Julia (2021): Israelbezogener Antisemitismus. Erkennen, Handeln, Vorbeugen. 1. Auflage. Weinheim, Basel: Beltz Juventa.
  • Feuerherdt, Alex/Markl, Florian (2018): Vereinte Nationen gegen Israel. Wie die UNO den jüdischen Staat delegitimiert. 1. Auflage. Berlin: Hentrich & Hentrich.
  • Feuerherdt, Alex/Markl, Florian (2020): Die Israel-Boykottbewegung. Alter Hass in neuem Gewand. 1. Auflage. Leipzig: Hentrich & Hentrich.
  • Stein, Timo (2011): Zwischen Antisemitismus und Israelkritik. Antizionismus in der deutschen Linken. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Gemeinsam gegen Antisemitismus

Plakat "Gemeinsam gegen Antisemitismus"

Wenn es um den Kampf und den Einsatz gegen Antisemitismus geht, werden als erste Ansprechpartner:innen immer Jüdinnen:Juden betrachtet, beispielsweise der Zentralrat der Juden, dem dieser Kampf als Aufgabe geradewegs zugewiesen wird. Viel zu kurz kommt bei dieser Betrachtung, dass sich insbesondere die Dominanz- und Mehrheitsgesellschaft der Antisemitismusbekämpfung verpflichtet fühlen sollte. Denn Antisemitismus ist nicht nur ein Problem für dessen Opfer, sondern gleichzeitig auch ein Angriff auf die Werte und Vorstellungen einer emanzipatorischen, vielfältigen und freien Gesellschaft, in der Jüdinnen:Juden ohne Angst auf die Straße gehen können. Aus diesem Grund ist ein “Zurücklehnen” mit der Begründung, ich selbst bin man selbst sei ja nicht betroffen, fatal. Vielmehr müssen wir solidarisch Allianzen aus jüdischen und nicht-jüdischen Aktivist:innen bilden, die gemeinsam ein Problembewusstsein innerhalb der Mehrheitsbevölkerung schaffen und sich gemeinsam der Antisemitismusprävention und -bekämpfung verschreiben, um langfristig Antisemitismus abzuschaffen!


Antisemitismus unter Muslim:innen

Plakat "Antisemitismus unter Musliminnen"

Bei den antiisraelischen Demonstrationen im Mai 2020 wurde einmal mehr deutlich, dass auch in muslimischen Kreisen antisemitische Einstellungen weit verbreitet sind. Neben den Angriffen auf Synagogen offenbarten Sprechchöre und Plakate tief sitzende antisemitische Ressentiments. 

Wichtig für das Verständnis des islamischen Antisemitismus ist zum einen ein traditioneller islamischer Antijudaismus, der in religiösen Schriften Jüdinnen und Juden als schwach und Muslim:innen untergeordnet charakterisiert. Dabei bezieht man sich auf den Propheten Mohammed, der im 7. Jahrhundert in Medina 600 bis 900 Jüdinnen und Juden töten ließ, als diese sich weigerten, zum Islam überzutreten. In islamischen Ländern hatten jüdische Menschen folglich den Status von “Dhimmis”, waren Muslim:innen also untergeordnet. Dieser Überlegenheitsanspruch wird mit einem aus Europa importierten Verschwörungs-Antisemitismus verbunden, der das jüdische Streben nach “Weltherrschaft” und eine angestrebte Zersetzung des Islam durch Jüdinnen und Juden beinhaltet. Die Mischung aus dem Gefühl der Überlegenheit und der wahrgenommenen Bedrohung durch “das Jüdische” führt dazu, dass Israel als Projektionsfläche den antisemitischen Hass auf sich zieht. Insbesondere im Kontext des Nahostkonflikts tritt gehäuft israelbezogener Antisemitismus unter Muslim:innen auf: Israel wird als “Kindermörder” und “Terrorstaat” dämonisiert, sein Existenzrecht abgestritten und Verständnis mit islamistischen Terrororganisationen wie der Hamas gezeigt. Befeuert werden antisemitische Tendenzen innerhalb muslimischer Communities teilweise durch Islamverbände wie DITIB oder Millî Görüş sowie durch Propaganda in sozialen Netzwerken und arabischsprachigen Fernsehsendern, z.B. al-Manar TV (Hezbollah) oder al-Aqsa TV (Hamas). 

Literatur zum Thema aus der IIA-Bibliothek

  • Gebhardt, Richard/Klein, Anne/Meier, Marcus (Hrsg.) (2012): Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft. Beiträge zur kritischen Bildungsarbeit. Weinheim, Basel: Beltz Juventa.
  • Küntzel, Matthias (2019): Nazis und der Nahe Osten. Wie der islamische Antisemitismus entstand. 1. Auflage. Leipzig: Hentrich & Hentrich.
  • Mendel, Meron/Messerschmidt, Astrid (Hrsg.) (2018): Fragiler Konsens. Antisemitismuskritische Bildung in der Migrationsgesellschaft. Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.

Der Anschlag von Halle

Plakat "Der Anschlag von Halle"

Am 9. Oktober 2019, dem Tag des höchsten jüdischen Feiertags Jom Kippur, versuchte der Rechtsextremist Stephan B. in die Synagoge von Halle (Saale) einzudringen. Mit vier Schusswaffen und Sprengstoff ausgestattet, scheiterte ein Massaker letztendlich lediglich an der verriegelten Eingangstür der Synagoge. Daraufhin tötete der Täter eine Passantin und einen Mann in einem Dönerimbiss und verletzte zwei weitere schwer. Seine Tat streamte er live über Twitch, wobei er zu Beginn des Videos den Holocaust leugnete und Jüdinnen:Juden als Drahtzieher hinter “Masseneinwanderung” und Feminismus identifizierte. Als Ziel gab er an, möglichst viele “Nicht-Weiße” töten zu wollenwolken vorzugsweise Jüdinnen:Juden. Bereits im Vorfeld hatte er ein Bekennerschreiben veröffentlicht, das ebenfalls antisemitische Verschwörungsmythen enthielt. Anhand der Motive, die dem Anschlag zugrunde liegen, kann sehr deutlich die Überschneidung von Antisemitismus, Rassismus und Antifeminismus abgelesen werden. Die wahnhaft angenommene Notwendigkeit, jüdisches Leben zu vernichten, die diesen Ideologien eigen ist und die Wahrnehmung des Täters anleitete, wird ebenfalls sichtbar. 

Literatur zum Thema aus der IIA-Bibliothek

  • Frauen & Geschichte Baden-Württemberg e.V. (Hrsg.) (2019): Antisemitismus - Antifeminismus. Ausgrenzungsstrategien im 19. und 20. Jahrhundert. Roßdorf: Ulrike Helmer Verlag.
  • Kerl, Kristoff (2017): Männlichkeit und moderner Antisemitismus. Eine Genealogie des Leo Frank-Case, 1860er–1920er Jahre. Köln: Böhlau Verlag.

"Umvolkung"

Plakat "Umvolkung"

Ein zentrales Narrativ der Neuen Rechten ist seit dem 2013 von Renaud Camus veröffentlichten Buch “Le Grand Remplacement” das des “Großen Austauschs”. Im Zentrum dieses Verschwörungsmythos steht eine kleine Elite an “Globalisten”, die durch das Lenken von Flüchtlingsströmen in europäische Länder einen Bevölkerungsaustausch und eine Zerstörung traditioneller europäischer Werte und Traditionen vorantreibe, da Migrant:innen für sie billigere und leichter zu kontrollierende Arbeitskräfte seien. Zahlreiche Politiker:innen werden als Gehilfen dieser Agenda dargestellt, die absichtlich gegen ihr eigenes Volk arbeiten würden. Besonders die Identitäre Bewegung sieht sich im Zuge der Migrationsbewegungen von 2015 als Opfer einer “Multikulti-Hegemonie” in Europa, gegen die es sich zu wehren gilt. Auch wenn die neu-rechten Akteur:innen zumeist nicht Jüdinnen und Juden direkt verantwortlich machen, ist die Rede von einer kleinen sinistren Elite, die im Hintergrund die Fäden zieht, Unheil und Chaos fördert und den europäischen Völkern feindlich gesinnt ist, dennoch ein Paradebeispiel für Antisemitismus. Gerade das Narrativ vom heimatlosen, kosmopolitischen Juden, der seinen Profit über Traditionen und Gemeinschaften stellt, tritt hier hervor. Dass die Eingliederung dieses Denkens auch in die Mitte der Gesellschaft geglückt ist, zeigt sich an der CDU-Bundestagsabgeordneten Bettina Kudla, die 2016 den Begriff “Umvolkung”, der ursprünglich aus der NS-Bevölkerungspolitik stammt, nutzte, um damit die Flüchtlingspolitik Angela Merkels zu kritisieren.

Buchempfehlung: Weiß, Volker (2017): Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes. 2. Aufl. Stuttgart: Klett-Cotta.


"Nimm es mit Humor" - Betroffenenperspektive auf Antisemitismus #1

Plakat "Betroffenenperspektive 1"

Antisemitische Äußerungen und Handlungen erfahren Jüdinnen und Juden tagtäglich. Schon als Kinder erfahren sie, dass sie „anders“ sind – sie werden mit Vorurteilen konfrontiert, ausgegrenzt und erniedrigt.  Mit Formulierungen wie: „Stell dich nicht so an“, „War doch nur ein Witz“ und „Übertreib mal nicht“, werden diese Ereignisse oft bagatellisiert.

Häufig übernehmen die Täter:innen weder die Verantwortung, noch drohen ihnen Konsequenzen. Vor allem im Kindesalter kann sich ein solcher Vorfall zu einem Trauma entwickeln, aber auch für Erwachsene ist dies häufig mit Trauer, Verletztheit, Scham und Wut verbunden. Aus diesem Grund möchten die folgenden Betroffenen anonym von ihren Erfahrungen mit Antisemitismus berichten:

„Auf dem Weg zum Jugendzentrum der jüdischen Gemeinde wurde ich als Jugendliche von ein paar Jungs laut angepöbelt. Ich trug meine Lieblingskette mit einem Davidstern, weshalb sie mich zur Seite stießen und riefen: „Du Jude! Hätte man dich mal lieber vergaßt“. 

„Im Rahmen meines Pädagogik-Leistungskurses mussten wir ein einwöchiges Praktikum absolvieren. Auf die Nachfrage eines Mitschülers, ob dies auch in dem jüdischen Kindergarten, der in direkter Nähe liegt, möglich sei, antwortete unsere Lehrerin: „Nein, Juden sind schlecht. Mit Juden wollen wir nichts zu tun haben.“ 

"Stell dich nicht so an" - Betroffenenperspektive auf Antisemitismus #2

Plakat "Betroffenenperspektive 2"

„In der 10. Klasse hörte ein Mitschüler, dass ich jüdisch bin. Daraufhin begrüßte er mich mehrere Wochen lang mit dem Hitlergruß und einem symbolisierten Hitlerbärtchen. Obwohl es die Lehrerin und auch die ganze Klasse mitbekam, schritt niemand ein. Die anderen Mitschüler fanden die Situation nur lustig.“ 

„Als meine Mitschüler in der 7. Klasse erfuhren, dass ich Jude bin, rannten mir einmal einige von ihnen auf dem Gang hinterher – dabei hielt einer von ihnen ein Feuerzeug in der Hand und streckte es in meine Richtung. Er rief: „Wir zünden dich an, du Jude!“. Später beteuerte er, dass es doch nur ein Spaß gewesen sei.“ 

"War doch nur ein Spaß" - Betroffenenperspektive auf Antisemitismus #3

Plakat "Betroffenenperspektive 3"

„In der Oberstufe erfuhren meine Mitschüler, dass ich Jüdin bin. Viele kamen auf mich zu, um mir zu sagen, dass meine Nase ja gar nicht so krumm sei, ich solle mal meine Goldzähne zeigen oder, dass Juden alle reich sein. Während des Französisch-Kurses begann ein Junge jedes Mal mit mir darüber zu diskutieren, „was Israel den Palästinensern antut“. 

„Während der Englisch-Stunde lag mein College-Block offen auf dem Tisch. Zu Hause bemerkte ich, dass dieser voller Hakenkreuze war. Als ich dies dem Direktor mit einer Vermutung zum Verursacher meldete, stellte er ihn zur Rede und der Mitschüler gab direkt zu, dies gemalt zu haben. Er fand, „es machte einfach so viel Spaß“. 


Antisemitische Straftaten

Plakat "Antisemitische Straftaten"

Antisemitische Straftaten steigen in Deutschland kontinuierlich an. 2020 erreichten sie einen neuen Höchststand seit Beginn der Erfassung im Jahr 2001. Unter den Straftaten 2020 wurden auch 57 antisemitisch motivierte Gewalttaten aufgenommen. Bei ca. 60% der Straftaten handelt es sich um Volksverhetzungen. Bisher wurde im Jahr 2021 gegen 930 Tatverdächtige ermittelt, jedoch wurden nur fünf Menschen festgenommen und zwei Haftbefehle erteilt. Es ist von einer hohen Dunkelziffer nicht angezeigter antisemitischer Straftaten auszugehen. In den vergangenen Jahren ging ein Großteil der Delikte auf Tatverdächtige aus dem rechten Milieu zurück.


Antisemitische Codes

Plakat "Antisemitische Codes"

Moderner Antisemitismus wird überwiegend durch Codes, Chiffren oder Andeutungen verbreitet. Die Codes bzw. Chiffren werden bewusst oder unbewusst verwendet. Unbewusst, da sie seit Jahrhunderten im kollektiven Gedächtnis der Gesellschaft verankert sind. Bewusst, um größtmögliche Aufmerksamkeit zu erzeugen, aber auch um einer Strafverfolgung zu entgehen, da offener Antisemitismus als Volksverhetzung strafbar ist.

Wie äußert sich codierter Antisemitismus?

  • negative historische Bezüge zur jüdischen Geschichte und Religion
  • Beschreibungen eines unwandelbaren „jüdischen Charakters“ (Stereotype) z. B. Darstellung des „Happy Merchant“: antisemitische Darstellung eines Juden mit großer Nase, gierigem Blick und Schläfenlocken
  • Verschwörungsmythen z. B. Bezug auf Rothschild, Soros oder Gates als vermeintliche jüdische Drahtzieher einer globalen Verschwörung
  • Satanistische Elite entführe, foltere und töte Kinder, um ihr Blut zur Verjüngung zu trinken
  • Häufig in Form von Antiamerikanismus oder Globalisierungskritik
  • Oft als Israel- oder Zionismus-Kritik, indem antisemitische Stereotype auf Israel projiziert werden

Einen detailierten Überblick über antisemitische Codes gibt die Amadeu Antonio Stiftung in der Broschüre "deconstruct antisemitism!"
 


Wer ist das Opfer"

Plakat "Wer ist das Opfer"

Sie tragen den nationalsozialistischen „Judenstern“ und vergleichen sich mit Anne Frank. Mitglieder der „Querdenken“-Bewegung haben immer wieder Opfer des NS-Regimes für ihre Zwecke benutzt. Das verhöhnt nicht nur Jüdinnen und Juden und verharmlost den Holocaust, sondern bildet auch die Grundlage für eine gefährliche Rechtfertigung von Gewalt. Die „Querdenker:innen“ stilisieren sich zu Opfern, indem sie das Nazi-Gewaltregime mit der heutigen demokratischen Staatsform gleichsetzen. Während sie auf den Marktplätzen demonstrieren und ihre Meinung kundtun dürfen, saß Anne Frank in ihrem Versteck und hoffte, so die NS-Zeit zu überleben. Doch sie wurde wie Millionen anderer Menschen jüdischer Abstammung in den Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet. Mit dieser Selbstbezeichnung als Opfer begründet die „Querdenken“-Bewegung ein angebliches Recht auf Widerstand. Sie meinen, sich nicht mehr an Gesetze halten zu müssen. Teilweise wird sogar zur Gewalt aufgerufen. Für Einzelne, wie in Idar-Oberstein, bilden solche Gewaltaufrufe die Rechtfertigung für brutalen Mord.


Sündenböcke gesucht!

Plakat "Sündenböcke"

Soziale Verwerfungen in der Gesellschaft waren geschichtlich gesehen immer wieder Phasen verstärkten Antisemitismus. Der Reichstagsabgeordnete Georg Friedrich Dasbach († 1907) aus Trier ist dafür ein Beispiel. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führte die aufkommende Eisenbahn und damit verbunden eine Europäisierung des Handels dazu, dass Fleisch aus Ungarn oder Frankreich billiger zu bekommen war als Fleisch von Bauern aus Eifel und Hunsrück. Anstatt sich für eine Modernisierung der rückständigen Landwirtschaft einzusetzen, hetzte der Trierer Landvolk- Führer Georg Friedrich Dasbach gegen die jüdischen Viehhändler. So stand am 28.11.1880 im von Dasbach gegründeten Paulinus zu lesen, dass „die Judenfrage schon lange in Deutschland eine brennende Frage geworden war, da von vielen Seiten über jüdischen Wucher, Geschäftsbenachteiligung der Christen, jüdischen Gründerschwindel und Krach geklagt wurde.“ Auch heute wird teilweise nicht nach den Ursachen von Problemen in einer komplexen, globalisierten Welt gesucht. Stattdessen macht man es sich einfach, indem man Sündenböcke für gesellschaftliche Verwerfungen sucht. Und häufig führt diese Sündenbocksuche zu verstärktem Antisemitismus. Heute richtet sich die Hetze nicht gegen Viehhändler, sondern gegen George Soros und andere Jüdinnen und Juden.


Unter Polizeischutz

Plakat "Unter Polizeischutz"

Spätestens seit dem Anschlag auf die Synagoge in Halle stehen alle Synagogen und jüdischen Einrichtungen in Deutschland unter Polizeischutz.

„Dass Synagogen in Deutschland durch Polizei geschützt werden müssen, ist ein Alarmzeichen!“

„Wir fühlen uns durch die Polizei sicherer!“

Beide Aussagen werfen ein Licht auf die Situation in Deutschland. Jüdinnen und Juden in Deutschland fühlen sich ohne Polizeischutz vor der Synagoge oft nicht mehr sicher. Einige überlegen deshalb auch, aus Deutschland auszuwandern. Dieser notwendige Polizeischutz ist gleichzeitig ein Alarmzeichen für den Zustand unserer Gesellschaft. Antisemitismus hat in Deutschland dermaßen zugenommen, dass das Leben jüdischer Bürger:innen wieder akut bedroht ist.


Hass gegen "die Elite"

Plakat "Hass gegen die Elite"

Der Begriff „Neue Weltordnung“ (NWO) steht für eine Vielzahl an Verschwörungserzählungen ab den 1990er Jahren, die versteckt Antisemitismus transportieren.Zentrales Element des NWO-Mythos ist
die Vorstellung, dass die Menschheit von einer geheimen Elite unterjocht, versklavt, und kontrolliert wird. Diese Erzählung geht auf die "Protokolle der Weisen von Zion" zurück, welche eine der prägendsten Schriften des modernen Antisemitismus ist.

Wie bei allen Verschwörungserzählungen ist die Struktur oen für antisemitische Auslegungen. Ein Name, der in diesem Zusammenhang oft fällt, ist George Soros. Soros wurde als Kind jüdischer Eltern in Ungarn geboren und arbeitete als Finanzinvestor in den USA. Für Verschwörungsgläubige und Antisemit:innen wurde er zur Verkörperung einer einflussreichen jüdischen Elite und einer Führungsperson der „Neuen Weltordnung“. Auch das Schlagwort „Globalisten“ kann eine antisemitische Chire für „die Juden“ sein. Die Globalisten selbst hätten keine nationale Identität, sie seien vielmehr „entwurzelte Kosmopoliten“ und auf der ganzen Welt einussreich. Eigenschaften, die den Menschen Identität gäben, sollten so angeblich überwunden werden.

Literatur zum Thema aus der IIA-Bibliothek

  • Massing, Paul W. (2021): Vorgeschichte des politischen Antisemitismus. Herausgegeben und und mit einem Nachwort von Ulrich Wyrwa. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt.
  • Stiftung Kloster Dalheim (Hrsg.) (2020): Verschwörungstheorien - früher und heute. Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.