Als Christen und Muslime friedlich zusammenlebten

Prof. Dr. Lukas Clemens, Historiker der Universität Trier, erforscht eine spannende Geschichte im mittelalterlichen Süditalien – mit Parallelen zur heutigen Zeit.

Vom süditalienischen Tertiveri, das im Mittelalter von Muslimen bewohnt war, sind heute lediglich ein paar Mauern eines spätmittelalterlichen Wohnturms und der Kathedrale mit anschließender Befestigung übrig.

Die Geschichte hatte keinen guten Anfang: In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts ließ Kaiser Friedrich II. zwischen 80.000 und 100.000 Muslime, die in Sizilien lebten, in die Gegend um das knapp 700 Kilometer entfernte süditalienische Lucera umzusiedeln. In Sizilien war es zum Aufstand der Muslime gegen die christlichen Herrscher gekommen. Die Anführer wurden hingerichtet, alle anderen umgesiedelt und so ihrer lokalen Netzwerke beraubt. In der deutschen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts hieß es, Friedrich II. habe die Muslime zur Strafe auf dem Kastell von Lucera festgehalten. Untersuchungen des Trierer Historikers Prof. Dr. Lukas Clemens zeigen nun ein anderes Bild: „Es war vielmehr ein harmonisches Zusammenleben. Die Muslime konnten ihren religiösen Riten nachgehen, betrieben Handel, genossen Freizügigkeit und hielten Märkte ab. Einige Muslime kämpften auch als Elitesoldaten für Friedrich II. und waren als Bogenschützen begehrt.“

Wie Muslime integrieren?

Doch warum hat das Zusammenleben damals funktioniert, während heute manchmal die Frage der Integration der großen Anzahl muslimischer Migranten unlösbar scheint? „Europa wurde damals größer gedacht als heute und umfasste den ganzen Mittelmeerraum, inklusive der Küstenregionen Kleinasiens und Nordafrika. Friedrich II. war ein Gelehrter, der die muslimische Kultur und Wissenschaft schätzte.“

Oft wird Friedrich II., der unter anderem für seine achteckige süditalienische Burg Castel del Monte bekannt ist, als deutscher Kaiser wahrgenommen. Doch die Untersuchungen von Clemens und seinen Mitstreitern im von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Projekt „Christen und Muslime in der Capitanata im 13. Jahrhundert“ kommen zu einem anderen Ergebnis. „Friedrich II. verbrachte nur eine relativ kurze Zeit nördlich der Alpen. Sein Herz schlug für Sizilien, dessen König er ebenfalls war, und die dazugehörige Region im Süden Italiens. In gewisser Weise war er einer der ersten Europäer, für die der Kulturraum auch die Muslime umfasste.“

Bischofssitz wurde zu muslimischer Adelsresidenz

Gerade hier spielt auch die mittelalterliche Capitanata in Nord-Apulien eine Rolle. Ein besonderes Augenmerk des Projekts von Clemens liegt auf dem mittelalterlichen Siedlungsplatz Tertiveri, dessen Überreste markant auf einem Höhenrücken nahe von Lucera liegen. Der kleine Ort hatte im frühen Mittelalter einen eigenen Bischofssitz, der dann aber verlassen wurde. 1296 erhielt der muslimische Ritter ˈAbd al-ˈAzīz für seine militärischen Leistungen von dem damaligen König Siziliens, Karl II., das unbewohnte Tertiveri als Lehen.

Die Wissenschaftler haben in Tertiveri zwei muslimische Gräber gefunden – erkennbar durch die Blickrichtung der Bestatteten in Richtung Mekka.

Lukas Clemens und sein Team fanden bei ihren Ausgrabungen bei der ehemaligen Kathedrale neben christlichen auch zwei muslimische Gräber, bei denen die Bestatteten auf der Seite liegend in Richtung Osten nach Mekka blicken. Mit schriftlichen Quellen lässt sich belegen, dass ˈAbd al-ˈAzīz mit knapp 100 Personen in Tertiveri gelebt haben muss, die vorerst ihrem Glauben weiter nachgegangen sind. Auf königlichen Druck musste ˈAbd al-ˈAzīz dann Anfang des 14. Jahrhunderts jedoch zum Christentum konvertieren. „Es war zu Unstimmigkeiten und damit Unruhen innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gekommen“, erklärt Clemens. Karl II. ließ die muslimische Kolonie daraufhin auflösen. Die meisten Personen wurden in die Sklaverei verkauft. Damit verliert sich auch die Geschichte der Muslime in der Region.

Muslimische Geschichte in Italien bisher weniger erforscht

„Die Geschichte der Muslime in Süditalien ist bisher noch nicht so gut erforscht, wie in anderen Teilen Europas, beispielsweise in Andalusien. Dort gibt es anders als in Italien noch markante Bauwerke wie die Mezquita-Kathedrale in Cordoba, die von der Geschichte der muslimischen Bevölkerung erzählen.“ Um noch ein wenig mehr Licht in die Geschichte der Muslime in Süditalien zu bringen, wird Clemens im Herbst weitere Grabungen in Tertiveri durchführen. Gleichzeitig erforscht er aktuell in einem weiteren Projekt die Geschichte von muslimischen Siedlungen in Sizilien. So wird bald auch mehr darüber bekannt sein, wie die Muslime lebten, bevor sie nach Lucera und Tertiveri kamen.

Über das Forschungsprojekt von Prof. Dr. Lukas Clemens hat die Gerda Henkel Stiftung einen Film produziert, der in sieben Episoden online auf dem L.I.S.A. Wissenschaftsportal abrufbar ist.

Kontakt

Prof. Dr. Lukas Clemens
Mittelalterliche Geschichte
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