EU-Regeln für Jahresabschlüsse werden nicht eingehalten

Studie der Universitäten Trier und Rotterdam zeigt, dass Unternehmen deutlich weniger über Risiken berichten als in der EU vorgeschrieben.

Rechnungslegungsnormen
Börsennotierte Aktiengesellschaften in der EU müssen in ihren Jahresabschlüssen unter anderem darüber berichten, welchen Risiken sie ausgesetzt sind. Foto: Colourbox.de

Börsennotierte Aktiengesellschaften in der EU sind dazu verpflichtet, über ihre Geschäfte gemäß den internationalen Rechnungslegungsnormen zu berichten. Schon seit mehr als 15 Jahren gelten EU-weit einheitliche Regeln für Jahresabschlüsse von Unternehmen. Jahresabschlüsse sollen so unabhängig vom Sitz der Unternehmen vergleichbar sein. Diese Vergleichbarkeit der Jahresabschlüsse ist für Investoren wie für private Kapitalanleger von zentraler Bedeutung: Die Einschätzung, wie aussichtsreich Anlagen bei bestimmten Unternehmen sind, wird dadurch erst möglich. Außerdem sind einheitliche Rechnungslegungsnormen ein wichtiger Baustein für die Schaffung eines EU-Kapitalmarkts.

In den Jahresabschlüssen müssen Aktiengesellschaften unter anderem darüber berichten, welchen Risiken sie ausgesetzt sind. Solche Risiken sind beispielsweise Schwankungen bei Wechselkursen oder Zinssätzen und mögliche Probleme bei der Aufrechterhaltung der Liquidität. Dazu müssen Angaben gemacht werden, wie Unternehmen mit diesen Risiken umgehen. In einer Studie über die Risikoberichterstattung von Unternehmen in der EU kamen die Universität Trier und die Erasmus University Rotterdam nun zu einem überraschenden Ergebnis.

Nur über knapp 62 Prozent der berichterstattungspflichtigen Risiken auch tatsächlich berichtet

Den Wirtschaftswissenschaftlern war aufgefallen, dass publizitätspflichtige Unternehmen in der EU längst nicht über alle zu berichtenden Tatbestände auch tatsächlich informiert haben. Ihre unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der EU geförderte Studie hat diese Beobachtung bestätigt: Im Durchschnitt haben die 383 zufällig ausgewählten Unternehmen aus verschiedenen EU-Ländern nur über knapp 62 Prozent der berichterstattungspflichtigen Risiken auch tatsächlich berichtet. Kein einziges Unternehmen hat alle Risiken offengelegt. Prof. Dr. Michael Erkens (Erasmus University Rotterdam) meint dazu: „Erstaunlich ist, dass sich Unternehmen trotz supranationaler Regulierung nicht vollständig an Risiko-Publizitätsvorschriften halten. Die Verletzungen erscheinen uns ein Problem des Kontrollsystems zu sein.“

Daher haben die Wirtschaftswissenschaftler weiter auch mögliche Ursachen für die Verletzung der Rechnungslegungsvorschriften analysiert. Dabei zeigte sich, dass die Publizitätsvorschriften umso genauer befolgt wurden, je effektiver die Kapitalmarktaufsicht der jeweiligen Länder der Unternehmen eingeschätzt wurde. Darüber hinaus berichteten Unternehmen verlässlicher, umso internationaler ihre Geschäftsaktivitäten sind und umso größer der Bedarf an Fremdkapital ist. Anders ausgedrückt: Je größer das Informationsbedürfnis von Aktionären, Fremdkapitalgebern (wie Banken und Anleihegläubigern) und Geschäftspartnern im Ausland, desto sorgfältiger ist die Berichterstattung der Unternehmen in den Jahresabschlüssen. Wirtschaftswissenschaftler Michael Erkens: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass sowohl eine effektive Aufsicht auf nationaler Ebene als auch deren Zusammenwirken mit anderen Interessengruppen sich positiv auf die Einhaltung bestehender Publizitätsvorschriften auswirken.“

Erhebliches Verbesserungspotenzial bei etlichen nationalen Aufsichtsbehörden

Man könnte erwarten, dass Unternehmen, die von einer der großen vier Wirtschaftsprüfungsgesellschaften geprüft wurden, die EU-Vorschriften besser befolgen. Das können die Daten der Studie jedoch nicht bestätigen.

Zusammenfassend stellt Prof. Dr. Axel Adam-Müller (Universität Trier) fest: „Unsere Studie zeigt am Beispiel der Risikoberichterstattung, dass es offenbar nicht ausreicht, auf EU-Ebene harmonisierte Regelungen zu erlassen, um eine EU-weit vergleichbare Berichterstattung zu gewährleisten. Vielmehr muss zusätzlich sichergestellt sein, dass die Einhaltung dieser Regelungen auch durchgesetzt wird. Hier dürfte bei etlichen nationalen Aufsichtsbehörden noch erhebliches Verbesserungspotential bestehen.“

► Zur Website der Professur für Unternehmensfinanzierung und Kapitalmärkte

Die Studie:

Die Untersuchung von Professor Dr. Axel F.A. Adam-Müller (Universität Trier) und Associate Professor Dr. Michael H.R. Erkens (Erasmus University Rotterdam) ist im Mai 2020 unter dem Titel „Risk Disclosure Noncompliance“ im Journal of Accounting and Public Policy, Vol. 39 (3) erschienen.

Axel Adam-Müller
Michael Erkens

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Prof. Dr. Axel F.A. Adam-Müller
Betriebswirtschaftslehre
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