‚Zigeuner‘ – der Begriff bezeichnet im Zusammenhang der Tagung als ‚Zigeuner‘ stigmatisierte Personen sowie entsprechend markierte Figuren in fiktionalen Texten und der bildenden Kunst. Darin sind 'Zigeuner als eine soziale Gruppe dargestellt, deren Repräsentation die Semantik der Fremden und der Armen im kollektiven Bildgedächtnis geradezu idealtypisch vereint. Sie sind zudem neben und nach den Juden die wichtigste unter denjenigen Minderheiten in Europa, zu deren Status als sozialen Fremden die Markierung "ethnisch different" hinzukommt.
Bereits darüber, wer ein ‚Zigeuner‘ ist, wurde über Verfahren der – wissenschaftlichen, religiösen, psychiatrischen, politischen, juristischen etc. – Repräsentation entschieden, und bekanntlich fielen die Antworten auf die Frage, wer wann unter welchen Bedingungen für wen als ‚Zigeuner‘ gilt, ganz unterschiedlich aus. Die Tagung befasst sich mit diesen unterschiedlichen Formen der Konstruktion der ‚Zigeuner‘, vor allem jener durch die Mehrheitsgesellschaften: Das heißt, sie untersucht die wechselnden Kriterien der Zuordnung von Personen zu dieser Gruppe, die Verfahren der Zuschreibung stigmatisierender Eigenschaften, die medienspezifischen Markierungen sowie die Bedeutung von Herrschaftsformen und kulturräumlichen Besonderheiten. Weiterhin wird die Frage nach den damit verbundenen wechselnden Modi der Inklusion und Exklusion untersucht. Der Begriff der "Repräsentation" impliziert dabei zahlreiche Spannungsverhältnisse: zwischen Fremd- und Selbstrepräsentation, zwischen medialer und politischer Repräsentation, zwischen unterschiedlichen Diskursformen wie etwa religiöse, soziographische, ethnisch-rassische Repräsentationsformen oder etwa zwischen "Abbildung" und "Erfindung" (Mimesis / Poiesis, Anwesenheit / Abwesenheit, Substanz / Performanz, ‚Zigeuner‘ als Zeichen für eine Gruppe "sozialer Fremder" oder als Zeichen für "eigene" Alteritäten etc.).
Der zeitliche Schwerpunkt liegt auf dem 19. und 20. Jahrhundert. Zu den untersuchten Medien gehören die Belletristik, Reisebeschreibungen, Polizei- und Fürsorgeakten, theoretische Abhandlungen und diverse Bildmedien, vor allem Fotografie, Film und Malerei. In geographischer oder kulturräumlicher Hinsicht liegt der Schwerpunkt auf den Verhältnissen in den deutschsprachigen Ländern (vor allem Deutschland und der Schweiz) sowie in Osteuropa (mit dem Schwerpunkt Rumänien). Damit soll nicht zuletzt eine Frage weiter verfolgt werden, die schon bei einer Vorgängerkonferenz in Timişoara (2006) aufgeworfen wurde: ob bezüglich der ‚Zigeuner‘-Semantiken und der damit verbundenen nicht-symbolischen sozialen und politischen Praktiken von einem gemeinsamen Diskursraum Mittel- und Osteuropa gesprochen werden kann.
Die Tagung gliedert sich in 4 Sektionen:
‚Zigeuner‘ und Juden
Antisemitische und antiziganistische Konstruktionen von Minderheiten im 18. und 19. Jahrhundert
Berliner Bohemiens
Arme, Fremde, asoziale Außenseiter und Künstler in Berliner Diskursen um 1900
Erfassung, Verfolgung und Spurensuche
Kaiserreich und Weimarer Republik; Kriminologie und Rassenhygiene 1933-1945; Literarische Fremd- und Selbstrepräsentationen von ‚Heimatlosen‘, ‚Vaganten‘ und ‚Jenischen‘ aus der Schweiz; aktuelle literarische Repräsentationen zwischen Kitsch und Spurensuche
Osteuropäische Perspektiven
Roma in Rumänien; Fotografische Expeditionen und Reiseberichte vom ‚Rande Europas‘; Konstruktionen von ‚Zigeunern‘ zwischen 1900 und 1940; Zigeunerfiguren in der Gegenwartsliteratur