Abenteuer Wissenschaft – mit einem Römerschiff auf dem Mittelmeer

Die Möglichkeit der Erhebung von Daten in drei unterschiedlichen Szenarien hat die Erforschung der antiken Seefahrt an der Universität Trier auf ein nicht zu erwartendes Level gehoben.

Trotz zunehmender Digitalisierung und Technisierung hat der Forschungsbetrieb seine abenteuerlichen Seiten noch nicht ganz verloren. Ein vitales Beispiel hierfür sind der Forschungszweig „Römerschiffe“ und sein Leuchtturmprojekt, der Nachbau eines 15 Meter langen und sechs Meter breiten römischen Handelsschiffs. Mitte September dieses Jahres wurde das im Originalmaßstab rekonstruierte und auf den Namen Bissula getaufte Frachtschiff mit einem aufsehenerregenden Transport vom Trierer Hafen an die französische Mittelmeerküste gebracht. In der Bucht von Cannes segelte die aus Studierenden, wissenschaftlichen Mitarbeitenden und Professoren bestehende Crew drei Wochen lang im Dienst der Wissenschaft. Ein Schiff ohne Kiel bei mitunter heftigem Wind und hohem Wellengang zu steuern, leichte Seekrankheiten zu überwinden und einen schwankenden Mast zu erklimmen – die annähernd täglich unternommenen wissenschaftlichen Mess- und Testfahrten waren mit reichlich abenteuerlichen Herausforderungen verbunden.

Römerschiff Bissula auf dem Mittelmeer

„Wir haben unter realen Bedingungen auch die strapaziösen Aspekte der Seefahrt erlebt. Zugleich waren diese Tage für alle Beteiligten ein unvergleichliches Erlebnis“, fasst Prof. Dr. Christoph Schäfer, Althistoriker und Leiter des Projekts, Eindrücke der Expedition zusammen. Er betont aber auch: „Wir sind mit Respekt an die Aufgaben herangegangen und haben stets darauf geachtet, die Risiken zu minimieren.“

Die unbeschadete Rückkehr der Besatzungsmitglieder und des Römerschiffs Mitte November nach Trier war zugleich der vorläufige Abschluss eines dreistufigen experimentellen Prozesses. Er diente dem Ziel, mit der Bissula in unterschiedlichen Szenarien eine große Breite an technischen Daten, etwa zu erreichbaren Geschwindigkeiten, Manövrierbarkeit, segelbaren Kursen, Transportkapazitäten und zur erforderlichen Besatzung zu gewinnen. Die Verknüpfung dieser Daten mit betriebswirtschaftlichen Modellen ermöglicht Aussagen zum Warenverkehr und Güterumschlag in römischer Zeit und darüberhinausgehend zu der vom Seehandel stark geprägten antiken Wirtschaft. In der Langzeitperspektive geht es auch um die Frage, inwieweit der für die Überwindung großer Distanzen prädestinierte Seehandel frühe Globalisierungstendenzen ermöglicht bzw. gefördert hat.

Erste experimentelle Phase auf der Mosel

Nach der Fertigstellung der Bissula in den Jahren 2017 bis 2019 hatten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Pandemie-bedingt bis 2023 länger als vorgesehen Zeit, sich bei Fahrten auf der Mosel mit dem Verhalten des Schiffs vertraut zu machen. In diesem Zeitraum wurden die vorgesehene Methodik überprüft, die Schiffsbesatzung ausgebildet und in Zusammenarbeit mit Kollegen der Hochschule Trier das Messinstrumentarium optimiert. Die von der Messelektronik dreimal pro Sekunde synchron gespeicherten Daten zu Windrichtung, Windstärke, Geschwindigkeit und Kursen dienen unter Eliminierung externer Einflüsse wie der Versetzung (Drift) durch Strömung und Wind der Erstellung eines Polardiagramms. Ein solches Polardiagramm bildet die Eigenschaften eines Segelschiffs ab, das heißt  mit welcher Geschwindigkeit und in welche Richtung es bei unterschiedlichen Windstärken und Windwinkeln fahren kann.

Um für das hochseetaugliche Frachtschiff Bissula alle erforderlichen Daten zu erheben, war ein Transfer auf das Meer unabdingbar. Denn während die meisten Kurse auf der Mosel gesegelt werden konnten, ließ sich vor allem das Segeln im Seegang auf der Mosel nicht hinreichend erproben und messen.

Zweite experimentelle Phase auf dem Mittelmeer

Das zweite experimentelle Szenario wurde daher mit dem spektakulären Transport der Bissula per Kranverladung auf einen Schwertransporter ins französische Cannes eingeleitet. Auf die glamouröse Küstenstadt als Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Mess- und Testfahrten war die Wahl wegen der dort günstigen Wind- und Wetterbedingungen sowie aus pragmatischen Gründen gefallen. Die Stadtverwaltung wie auch der Alte Hafen in Cannes zeigten sich überaus kooperativ bei der Bereitstellung von Liegeplatz und Infrastruktur für das Trierer Forschungsteam.

„Schon bei den ersten Segelfahrten war feststellbar, dass sich das Schiff unter maritimen Bedingungen anders verhält als auf der Mosel“, zog Projektpartner und Besatzungsmitglied Pascal Warnking vor Ort eine erste positive Zwischenbilanz des Einsatzes auf dem Mittelmeer. Der Juniorprofessor für Maritime Antike ist Experte für die Erstellung digitaler Routensimulationen mithilfe modernster Software.

Zeitreise auf dem Mittelmeer: Ein modernes luxuriöses Kreuzfahrtschiff trifft auf die Bissula als historisches Transportmittel aus römischer Zeit.
Zeitreise auf dem Mittelmeer: Ein modernes luxuriöses Kreuzfahrtschiff trifft auf die Bissula als historisches Transportmittel aus römischer Zeit.

Dritte experimentelle Phase: Versuchsanstalt Potsdam

Kurz vor der Expedition nach Cannes hatten die Forschenden Gelegenheit, eine Woche lang in der Schiffbau-Versuchsanstalt (SVA) Potsdam mit zwei Modellen der Bissula - eines mehr als fünf und das zweite etwa einen Meter lang - Versuche im Schlepptank durchzuführen. Dabei ging es um Messungen des Rumpfwiderstands auf verschiedenen Segelkursen, aber auch um das Verhalten des Schiffs bei unterschiedlich hohem Wellenschlag. Die Versuche erbrachten auch wichtige Ergebnisse zum Verhalten dieses Schiffstyps bei extremen nautischen Bedingungen, die bei den dann anstehenden Forschungsfahrten mit der „Original-Bissula“ auf dem Mittelmeer berücksichtigt werden konnten. Insbesondere waren die Experimente in der SVA weichenstellend für die Zukunft des Forschungsgebiets „Römerschiffe“. Die Erkenntnisse darüber, wie präzise die Versuche mit Modellen die Realität abbilden, entscheiden auch darüber, inwiefern künftig noch aufwendige Rekonstruktionen antiker Schiffe in Originalgröße erforderlich sind.

Zukunft des Forschungsfeldes Römerschiffe

Mit den in den unterschiedlichen Szenarien gewonnenen Daten, Erfahrungen und Erkenntnissen ist Professor Christoph Schäfer mehr als zufrieden. „Es hat sich außerordentlich gelohnt, dass wir viele Werte unter ganz unterschiedlichen Voraussetzungen erhoben haben. Damit haben wir ein wissenschaftliches Level erreicht, das wir zu Beginn nicht erwartet haben.“ In den kommenden Monaten steht die Auswertung und Interpretation der Daten an, die auch zur Erstellung eines „digitalen interaktiven maritimen Atlas zur Geschichte“ im Rahmen des Projekts DIMAG herangezogen werden. Das Kapitel „Römerschiffe“ wird damit aber nicht abgeschlossen sein. Im Anschluss an die wissenschaftliche Publikation der Ergebnisse warten nach Schäfers Auffassung weitere Forschungsfragen darauf, beantwortet zu werden. „Mit den bisher gesammelten Erfahrungen sind wir für künftige Projekte bestens vorbereitet.“

Weitere Informationen: www.roemerschiffe.de

Einbindung in Lehre und Studium

Von Projektbeginn an war die Bissula Bestandteil der Lehre in der Alten Geschichte. Studierende waren in allen Projektphasen im Rahmen von Forschungsseminaren, durch aktive Mitarbeit am Bau des Schiffes bis hin zu den Segelfahrten auf Mosel und Mittelmeer eingebunden. Die Studierenden sollen auch an die wissenschaftliche Publikation herangeführt werden, beispielsweise durch Mitarbeit an einem Sammelband.  

 

Crewmitglieder - hier Juniorprofessor Pascal Warnking - gaben Schulklassen, die sich zuvor im Unterricht mit der Thematik beschäftigt hatten, Einblick in die antike Seefahrt.

Wissenstransfer

Inmitten der sündhaft teuren Luxusyachten im Alten Hafen von Cannes war die Bissula mehrere Wochen lang der heimliche Star und Anziehungspunkt für viele Besucher aus der Stadt Cannes und der Region. Auch Universitätspräsidentin Prof. Dr. Eva Martha Eckkrammer und der deutsche Generalkonsul in Marseille statteten der Bissula-Expedition einen Besuch ab. Das Trierer Forschungsteam nutzte das durch lokale Medienberichte angefachte Interesse für Wissenschaftstransfer im besten Sinn. Bei einem Tag der offenen Tür des Hafens, aber auch bei Gelegenheitsbesuchen machte die Crew Interessierte mit dem Schiff und dem Forschungsprojekt vertraut. Schulklassen, die sich im Unterricht gut vorbereitet hatten, gaben die Besatzungsmitglieder einen Einblick in die antike Seefahrt und übten mit Schülerinnen und Schülern die Kunst der Seemannsknoten. Auch nach der Rückkehr informierte das Forschungsteam am Liegeplatz in Dillingen an der Saar bei einem Besuchertag Interessierte über das Projekt und das Schiff.

 

Crewmitglieder - hier Juniorprofessor Pascal Warnking - gaben Schulklassen, die sich zuvor im Unterricht mit der Thematik beschäftigt hatten, Einblick in die antike Seefahrt.

Kontakt

Prof. Dr. Christoph Schäfer
Alte Geschichte
Mail schaefchuni-trierde
Tel. +49 651 201-2437