Bei den vom Institut für Rechtspolitik der Universität Trier und der Gesellschaft für Rechtspolitik zum 65. Mal durchgeführten Bitburger Gesprächen wurde diskutiert, wie der demokratische Staat auch in Krisenzeiten handlungsfähig bleiben kann ohne seine zentralen Prinzipien über Bord zu werfen. Diesen drängenden Fragen rechtsstaatlicher Krisenbewältigung widmeten sich die Referentinnen und Referenten, unter ihnen Richter des Bundesverfassungsgerichtes und hochrangige juristische Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Trotz berechtigter Kritik haben sich Grundgesetz und Verfassungsorgane in der aktuellen Krise als handlungsfähig und resilient erwiesen. In dieser Einschätzung stimmten hochrangige Juristinnen und Juristen überein.
Der wissenschaftliche Leiter der Tagung, Professor Dr. Tristan Barczak, führte in die Thematik ein, indem er die Krisenphänomene der Moderne als einen Stresstest für den demokratischen Verfassungsstaat bezeichnete. Nicht erst die COVID-19-Pandemie sei eine besondere rechtsstaatliche und gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Sie reihe sich vielmehr in vergleichbare Krisenerscheinungen wie die Folgen des Klimawandels oder des internationalen Terrorismus ein.
Handlungsfähig und resilient
Den Eindruck des Verfalls der Demokratie oder die Sehnsucht nach einem starken und autoritären Staat erklärt sich Tristan Barczak dadurch, dass der demokratische Verfassungsstaat nicht vom Ausnahmezustand denke, sondern vom Normalzustand her. Dies lasse ihn in Krisensituationen als überfordert oder gar wehrlos erscheinen. Er warnte gleichzeitig vor solchen Verfallserzählungen und betonte, dass der Deutsche Bundestag und das Bundesverfassungsgericht sich in der aktuellen Krise – bei aller berechtigten Kritik am Krisenmanagement – durchaus als handlungsfähig und resistent erwiesen hätten.
Auch Professor Dr. Horst Dreier von der Universität Würzburg kritisierte, dass es insbesondere der Deutsche Bundestag im Jahr 2020 lange Zeit versäumt habe, die Krisenreaktion in den parlamentarischen Prozess einzubinden oder gar gesetzgeberisch abzusichern. Insofern habe in dieser ersten Phase der Pandemie tatsächlich die „Stunde der Exekutive“ geläutet. Gleichwohl sei es unbestreitbar, dass die zentralen Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes unter Bewährungsdruck standen und nach wie vor stünden, ergänzte Dreier.
Augenfällige Schwächen und Defizite
Eine europäische Sichtweise auf die Diskussion eröffnete Professorin Dr. Aurore Gaillet von der Universität Toulouse. Sie skizzierte zunächst französische Perspektiven auf den Ausnahmezustand der Covid-19-Pandemie. Wie bereits andere Referentinnen und Referenten zuvor legte sie dar, dass die Pandemie als eine Art Vergrößerungsglas fungiere, welches Schwächen und Defizite des französischen Verfassungssystems augenfällig werden lasse. Gaillet ging dabei auf die Rolle der Gerichte ein und warnte davor, dass gerade die Sorge vor strafrechtlicher Verfolgung mit Blick auf eine effektive Krisenbewältigung hinderlich sei und die Gefahr zur Lähmung in sich trage.
Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Dr. Katarina Barley, betonte in ihrer Videobotschaft die Mittlerrolle, die das Europäische Parlament einnehme, insbesondere gegenüber denjenigen Mitgliedstaaten, deren Parlamente oder Regierungen aus Anlass der Pandemie tatsächlich ein Notstandsregime in Kraft gesetzt und Freiheitsrechte suspendiert hätten. Besonders wichtig sei ihr der ständige Dialog zwischen dem Europäischen Parlament und den Volksvertretungen der Mitgliedstaaten.
Auch der deutsche Botschafter a.D. Dr. Eckhard Lübkemeier betonte den Stellenwert der Europäischen Union als „Demokratie- und Werteunion“. Er räumte allerdings auch ein, dass sich diese in einem „an- und abschwellenden Krisenmodus“ befinde. Um auch in diesem Zusammenhang den Weg zurück in die Normalität zu finden, müsse die Bundesrepublik Deutschland innerhalb der EU mehr politische Verantwortung übernehmen und mehr investieren.
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