„Es klingt etwas nerdig, aber ich wusste bereits in meinem Grundstudium, dass ich Wissenschaftler werden möchte“, erzählt Tricoire. Geschichte fand er als Kind schon spannend. Am Anfang war es vor allem die Geschichte der Antike, später während seiner Jugendzeit in Berlin die Geschichte der DDR. „An Geschichte hat mich immer schon das Fremde fasziniert.“ In seinem Studium spielte die Geschichte der Frühen Neuzeit zunächst keine große Rolle. Erst später hat er diese Epoche für sich entdeckt. „Traditionell wird die Frühe Neuzeit in Deutschland weniger thematisiert. Von einigen Ausnahmen abgesehen wird diese Zeit eher als Zeit des Niedergangs dargestellt.“ Dass die Gesellschaft damals so anders war, findet der Trierer Wissenschaftler besonders fesselnd.
Hier kommt er schnell auch auf das Thema, das ihn in seiner Forschung besonders beschäftigt: Wie wird Geschichte geschrieben? Inwiefern ist die Geschichtsschreibung von einer politischen Agenda geprägt? Was müsste eigentlich anders erzählt werden? Letztlich geht es ihm um nicht weniger als die Geschichtsbücher neu zu schreiben. Aktuell forscht er im Projekt „Pamphlets and Patrons“ zu bisher wenig beachteten Faktoren, die zur Französischen Revolution geführt haben (siehe Infokasten). Wir haben alle ein bestimmtes Bild von der damaligen Gesellschaft, das aber zumindest in Teilen nicht ganz korrekt sei, erläutert er.
Das Projekt wird über den begehrten Consolidator Grant des European Research Council (ERC) gefördert. Der Europäische Forschungsrat unterstützt damit Spitzenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler bis zu fünf Jahre. Neben Tricoire hatten sich in der Förderrunde mehr als 2500 andere Wissenschaftler beworben. Nur 327 Anträge wurden bewilligt. „Ich denke, ich war unter anderem erfolgreich, da ich mit meinem Forschungsansatz mutig war und mich aus dem Fenster gelehnt habe“, sagt Tricoire. Während seiner wissenschaftlichen Karriere habe er oft gehört, dass man sich nicht angreifbar machen darf. „Aber das ist falsch. Man sollte nicht nur Themen aufgreifen, die aktuell gefragt sind, sondern immer fragen, welche Themen das größte Innovationspotenzial haben.“
„Ich will auf keinen Fall bis zu meinem Tod immer dasselbe machen“
Begeistert erzählt Damien Tricoire, wie er im Projekt „Pamphlets and Patrons“ auch mit neuen Forschungsmethoden arbeitet. Kolleginnen und Kollegen an der Universität Trier – unter anderem vom Trier Center for Digitial Humanities (TCDH) – hätten ihn hier herangeführt. Im Rahmen des Projekts beschäftigt er sich beispielsweise mit der Frage, ob Texte, welche die Französische Revolution maßgeblich getrieben haben, auch tatsächlich von den angegebenen beziehungsweise zugeschriebenen Autoren stammen. „Jeder Autor hat einen ganz eigenen Stil, was die Verwendung von einzelnen Funktionswörtern angeht. Das sind Wörter, auf deren Verwendung man nicht explizit achtet. Dieser Stil kann nicht so einfach nachgeahmt werden“, erklärt Tricoire. Statistische Verfahren können ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Texte von einem bestimmten Autor stammen. Auf seinem Bildschirm zeigt er, wie man dies auch grafisch visualisieren kann: Eine Vielzahl an Linien verbinden Texte mit Autoren, sodass sich Cluster bilden. „Für mich ist es neu, digitale Methoden für die eigentliche Forschung zu verwenden.
Ich finde es sehr spannend. Ich will auf keinen Fall bis zu meinem Tod immer dasselbe machen.“
So wichtig ihm neue, digitale Forschungsmethoden sind, so bedeutend findet er es für seine Forschung aber auch, vor Ort an den Schauplätzen gewesen zu sein, an denen Geschichte geschrieben wurde: Wo Schlachten stattgefunden haben, Verträge unterzeichnet oder Adelige hingerichtet wurden. Die örtlichen Begebenheiten sind ein weiterer Bestandteil für die Diskussion vorher aufgestellter Thesen. Auch mit seinen Studierenden fährt er daher gerne auf Exkursionen. In Paris stehen natürlich Sehenswürdigkeiten wie der Louvre, Paläste und Kirchen auf dem Programm. „Es geht aber auch darum, ein Gefühl zu bekommen, wie die Stadt und die Viertel aufgebaut sind und wie sie sich über die Jahrhunderte verändert haben.“ Wenn er selbst für seine Forschungsprojekte unterwegs ist, führt ihn sein Weg natürlich auch in Archive. „Das Schöne an der Frühen Neuzeit ist, dass es viele Quellen gibt. Aber bei den Handschriften ist längst nicht alles digitalisiert.“
„Es geht darum, Fremdheit zu verstehen.“
Er ist gerne in Trier, sagt er. Er schätzt die kurzen Wege und dadurch die Möglichkeit zum fachlichen Austausch. Auch die Perspektiven, die Studierende wie Forschende, durch die Lage der Universität in der Nähe zu Frankreich, Luxemburg und Belgien mitbringen, findet Tricoire bereichernd. Hin und wieder betreut er Abschlussarbeiten von Studierenden im deutsch-französischen Studiengang Geschichte „TRISTRA“, den die Universitäten Trier und Straßburg gemeinsam anbieten.
In seiner Lehre ist es ihm ein Anliegen, bei den Studierenden ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie Geschichte geschrieben wird. Er möchte vermitteln, dass Geschichtsschreibung von verschiedenen Programmen und Ideologien getrieben sein kann. „Es geht darum, Fremdheit zu verstehen. Das kann auch heißen, dass man Dinge wie beispielsweise Religion und Glauben nachzuvollziehen lernt, die man persönlich für irrational hält, die aber die Geschichte geprägt haben.“ Das „Fremde“ hatte Damien Tricoire auch damals bei seiner Promotion gereizt. Seine Dissertation – die er mit „Summa cum laude“ abgeschlossen hat – trägt den Titel: „Mit Gott rechnen: Katholische Reform und politisches Kalkül in Frankreich, Bayern und Polen-Litauen.“
„Man muss sich in der Geschichtsforschung seines eigenen Bias und seiner Standortgebundenheit bewusst sein und aktiv dagegen ankämpfen. Das heißt, sich selbst fragen, welche Gegenargumente müsste man eigentlich aufgreifen.“ Die beste Forschung ist seiner Meinung nach diejenige, bei der man nicht weiß, wo genau sich die Wissenschaftlerin oder der Wissenschaftler im Privaten verortet. Die Fähigkeit, über den eigenen Tellerrand zu schauen und zu denken, hilft in vielen Bereichen. Erst dadurch kann man Zusammenhänge erkennen. „Während der Französischen Revolution haben sich enorme Gräben aufgetan, was die Weltanschauung verschiedener Gruppen angeht. Eine Aufgabe der Geschichtswissenschaft ist es zu verstehen, wie es passieren kann, dass Gesellschaften kippen und wie schnell es gehen kann, dass sie sich in eine ideologische Richtung entwickeln. Angesichts des aktuellen politischen Rechtsrucks ist hier Geschichte aktueller denn je.“