Künstliche Intelligenz für das Notfallmanagement
In Zukunft soll künstliche Intelligenz helfen, die Informationsflut in Leitstellen zu beherrschen und wichtige Daten verschiedenster Quellen in einer neuen Art und Weise bereitstellen. Ein ambitioniertes Konsortium aus Forschungs-, Anwendungs- und Entwicklungspartnern unter Leitung des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) möchte eine Plattform entwickeln, die als Grundlage für neuartige Dienste dient und den Einsatz von neuen KI-Tools erproben.
Die Rettungsleitstelle ist die Informations- und Kommunikationszentrale für den Katastrophenschutz, für Feuerwehr, Rettungsdienste und Polizei. Hier werden Notrufe entgegengenommen, Einsatzkräfte alarmiert, Ressourcen geplant und Einsätze koordiniert. Im Normalbetrieb laufen bis zu 200 Meldungen pro Stunde ein. Bei weitreichenden Krisenfällen wie Natur- und Umweltkatastrophen oder flächendeckenden Stromausfällen sind es schnell Tausende. Auch Pandemien sind Ausnahmesituationen, in denen Versorgungskapazitäten erfasst und Ressourcen geplant werden müssen. In solchen Fällen ist eine Leitstelle schnell überlastet.
Leitstellen arbeiten heute überwiegend isoliert und haben kaum Zugriff auf Daten untereinander. Es gibt derzeit keine systematische Vernetzung der Informationen. Problematisch wird das zum Beispiel in Fällen, die Landesgrenzen überschreiten. Prof. Dr. Ralph Bergmann, Projektleiter und Leiter des Themenfelds Erfahrungsbasierte Lernende Systeme an der Außenstelle des DFKI an der Universität Trier: „Mit KI-basierten Lösungen auf Basis einer umfassenden Daten- und Wissensgrundlage, lässt sich die Effizienz von Leitstellen signifikant steigern und letztlich Zeit gewinnen. So können die Gesundheit der Bevölkerung besser geschützt und Bedrohungen der kritischen Infrastruktur und systemischer Logistik-, Industrie- und Wirtschaftsbereiche früher erkannt und abgemildert werden. Mit SPELL möchten wir die relevanten Informationen aus bisher verteilten Quellen zusammenführen, sodass sie mit entsprechenden Anwendungen analysiert und aufbereitet werden können. Am Ende soll eine nachhaltige hybride Plattform geschaffen werden, auf der auch andere Anbieter neue KI-Dienste entwickeln und anbieten können.“
Daten verstehen, lernen und Erfahrung nutzbar machen
SPELL steht für „Semantische Plattform zur intelligenten Entscheidungs- und Einsatzunterstützung in Leitstellen und beim Lagemanagement“. Die Grundlage bilden demnach semantische Technologien, welche Sinngehalt und Zusammenhänge der Daten verstehen, ihnen eine Bedeutung geben und sie so für intelligente Verknüpfungen verwendbar machen. Wird beispielsweise ein verunglücktes Fahrzeug gemeldet, ist dies zunächst nur eine vage Information. Ergänzt man dies mit dem Kontext, dass es sich dabei um einen Gefahrguttransport handelt und der Unfallort in einem Wasserschutzgebiet liegt, wird die Information deutlich aussagekräftiger und kann gezielter weiterverarbeitet werden.
Einige Informationen können auch genutzt werden, um den weiteren Verlauf von Krisen zu simulieren. Hier setzt das Projektteam auf die Expertise und die bewährten Systeme der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des DFKI-Themenfelds Kognitive Sozialsimulation an der Universität Trier. „Mit unseren prognostischen Werkzeugen, die Simulationsalgorithmen und kognitive Modellierung mit Machine Learning-Verfahren kombinieren, lassen sich die Auslastung bestimmter Ressourcen auch unter Berücksichtigung komplexer Einflussfaktoren voraussagen und präventive Maßnahmen besser abschätzen. Dies alles kann zu einem übersichtlicheren Lagebild beitragen, auf dessen Basis die Einsatzleitung bessere Entscheidungen treffen kann, so Themenfeldleiter Prof. Dr. Ingo Timm. „Die Ergebnisse und Erfahrungen aus dem Projekt AScore, in dem wir ein Pandemie-Cockpit für Kommunen entwickeln, lassen sich in SPELL optimal einbringen“.
Ein weiteres Problem aus der Praxis, das die Forscherinnen und Forscher angehen möchten, ist die Aufarbeitung von Erfahrungen aus vergangenen Einsätzen. Oft werden diese nicht wiederverwertet. Dabei können die Informationen daraus wertvoll für die akute Einsatzplanung in vergleichbaren Situationen sowie für die Entwicklung von Krisenplänen sein. Hier sollen Technologien des Fallbasierten Schließens (Case-Based-Reasoning – CBR), dem Spezialgebiet der Gruppe um Prof. Bergmann, angewandt werden.
Ein Ökosystem für neue Anwendungen
Gestartet ist das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderte Projekt im Juni 2021 und soll drei Jahre dauern. Die Fördersumme liegt bei knapp 12 Millionen Euro. Nach der Projektlaufzeit und der Erprobung soll die SPELL-Plattform dauerhaft produktiv betrieben und nach und nach zu einer verteilten Infrastruktur ausgebaut werden. Sie soll als zentrale KI-basierte Informationsplattform für die ca. 250 BOS-Leitstellen in Deutschland etabliert und ebenso in Industrie-, Campus- und Gebäudemanagementsysteme integriert werden. Durch Standardisierung und Offenheit der Plattform soll ein umfassendes Ökosystem geschaffen werden, für das ein nachhaltiges Geschäfts- und Betriebsmodell umgesetzt wird.
Die Projektpartner erhoffen sich aus SPELL auch Impulse für die Politik, so zum Beispiel bei den Datenschutzregeln: „Datenschutz ist ein hohes Gut und bei der umfassenden Vernetzung von unterschiedlichen öffentlichen und privaten Quellen besonders zu berücksichtigen. Eine zentrale Frage ist, wer welche Informationen wozu sehen darf. Hier müssen wir genau betrachten, wo Nachbesserungsbedarf besteht“, so Ralph Bergmann.
Kontakt
Prof. Dr. Ralph Bergmann
Projektleiter und Leiter des Themenfelds
Erfahrungsbasierte Lernende Systeme, Außenstelle des DFKI an der Universität Trier
Mail: Ralph.Bergmann@dfki.de
Tel.: +49 651 201 3876