Nach dem Schlussantrag des Generalanwalts im EuGH-Prozess sahen sich sowohl Gegner wie Befürworter der Vertiefungen von Weser und Elbe bestärkt. Das Wasserrecht der EU hat nach Expertenmeinung einen Webfehler.
Einer der führenden deutschen Experten für Wasserrecht hält eine strikte Anwendung der EU-Regeln zum Gewässerschutz für problematisch. «Bei einer engen Auslegung des EU-Wasserrechts wäre grundsätzlich jede Gewässernutzung unzulässig», sagte Prof. Michael Reinhardt, Direktor des Instituts für Deutsches und Europäisches Wasserwirtschaftsrecht, der Nachrichtenagentur dpa in Hamburg. Dann seien nicht nur Flussvertiefungen künftig unmöglich, sondern ebenso Energieerzeugung, Industrie, Gewerbe und Verkehr an Gewässern - bis hin zur Entnahme von Oberflächenwasser für die öffentliche Wasserversorgung.
«Das ist ein Strukturproblem im EU-Wasserrecht, das wohl nicht beabsichtigt war», sagte der Wissenschaftler, der an der Universität Trier lehrt. «Denn natürlich müssen Gewässer in Europa auch weiterhin genutzt werden; der Mensch darf nicht als immanent rechtfertigungsbedürftiger Störfaktor begriffen werden.»
Generalanwalt Niilo Jääskinen hatte im Zusammenhang mit der geplanten Vertiefung der Außenweser in der vergangenen Woche vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) ausgeführt, dass die EU-Regeln zum Gewässerschutz streng ausgelegt werden müssen, dabei aber gleichzeitig auf die bestehenden Ausnahmeregelungen hingewiesen. Das bedeutet konkret, dass die Wasserrahmenrichtlinie der EU in jedem Verfahren angewendet werden muss und dass geringfügige Verschlechterungen der Gewässerqualität zu vermeiden sind. «Das ist zunächst einmal eine Äußerung zugunsten des Umweltschutzes, die aber im Interesse der Nutzungsbedürfnisse des Menschen zwingend der Relativierung bedarf», erklärte Reinhardt. Jääskinen habe damit bestehende Unklarheiten präzisiert.
Schon Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hatte darauf hingewiesen, dass sich entlang der Flüsse in Europa Handel und Kultur entwickelt hätten. Das werde durch die EU-Wasserrichtlinie infrage gestellt. Die Richtlinie hat zum Ziel, dass alle EU-Gewässer bis Ende 2015 in die Kategorie «gut» eingestuft werden können. Andere Länder wie Frankreich hätten bei der Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht europarechtliche Spielräume genutzt und die Anforderungen etwas abgemildert, sagte Reinhardt. «Damit haben sie sich cleverer verhalten als Deutschland.»
Damit der Staat handlungsfähig bleibe, habe der Generalanwalt den Weg über die Ausnahmegenehmigung gewiesen, die für wichtige öffentliche Belange offensteht. «Den Weg würde er mitgehen», meinte Reinhardt. Ausnahmen müssten jedoch gut begründet werden. Nun wird der EuGH in einigen Monaten seine Entscheidung zur EU-Wasserrahmenrichtlinie verkünden. Dann ist wieder das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am Zug, das im Lichte dieser EuGH-Entscheidung über die Klagen gegen die Vertiefungen von Außenweser und Unterelbe entscheiden muss.
Quelle: dpa