In der Großregion schlummert viel Bildungspotenzial

120 Teilnehmer diskutierten bei einer Tagung die Chancen und Herausforderungen für den Bildungssektor im Vier-Länder-Eck.

Die Teilnehmer der Abschlussdiskussion auf dem Podium.

Was bedeutet das Zusammentreffen von Ländergrenzen, Sprachen, Kulturen und Schulsystemen in der Großregion für die Bildung? Um diese Fragen kreiste die erste Edu.GR-Tagung „Europa leben lernen“ an der Universität Trier. Mit rund 120 Teilnehmern wurde eine Intention der Organisatoren erfüllt - Wissenschaftler, Studierende und Praktiker der schulischen, beruflichen und außerinstitutionellen Bildung zusammenzubringen. Deren Vertreter schreiben der Großregion auf dem Bildungssektor enormes Potenzial zu, das bislang aber nur vereinzelt und unzureichend genutzt wird.

Ein Musterbeispiel für gelebte Großregion-Potenziale ist das deutsch-luxemburgische Schengen-Lyzeum in Perl. Hier lernen 850 deutsche und luxemburgische Schüler ab der fünften Klasse gemeinsam bei Lehrern aus beiden Ländern. „Unsere Schüler sind tatsächlich Bürger der Großregion. Grenzen spielen für sie keine Rolle mehr, sie lernen und spielen mit Freunden dies- und jenseits der Grenze“, schilderte Schulleiterin Marion Zenner den gelebten binationalen Schulalltag. „Die Erfahrungen, die wir im Kleinen machen, sollten junge Menschen in der Großregion inspirieren. Daran sollten wir arbeiten“, rät die Bildungspraktikerin.

Kleine Projekte fördern

Diese Ansicht teilen Vertreter anderer Institutionen. „Europa entsteht in konkreten Kooperationen. Es hat sich viel getan, und diese zahlreichen kleinen Projekte müssen wir fördern und ausbauen“, forderte Romain Schroeder vom „Zentrum fir politesch Bildung“ aus Luxemburg in der abschließenden Podiumsdiskussion. Dr. Matthias Schwalbach verwies als Vertreter der Handwerkskammer Trier beispielhaft darauf, dass luxemburgische Auszubildende in bestimmten Sparten deutsche Berufsschulen besuchen. Mit Blick auf das Große und Ganze stellte er jedoch ernüchternd fest: „Der große Durchbruch der Großregion ist bisher ausgeblieben, Fortschritte gab es nur im Schneckentempo.“

Als größte Hemmnisse gelten Sprachbarrieren, unterschiedliche Schulsysteme, mangelnde finanzielle Ausstattung und Denken in regionalen Grenzen. „Die unterschiedlichen Schulsysteme werden wir nicht harmonisieren können. Auch im Studium ist noch viel Luft nach oben, wenn von 135.000 Studierenden in der Großregion nur 500 in grenzüberschreitenden Studiengängen eingeschrieben sind“, stellte Prof. Rachid Belkacem von der Universität Lothringen fest.

Potenzial wenig ausgeschöpft

Auch in der Lehrerbildung wird das Potenzial der Großregion für fachliches und interkulturelles Lernen noch wenig ausgeschöpft. Dr. Nancy Morys von der Universität Luxemburg zeigte in ihrem Vortrag anhand empirischer Forschungsergebnisse auf, wie eine auf die Spezifika der Großregion angepasste Sprachen- und Kulturdidaktik systematisch in den Lehramtsstudiengängen verankert werden könnte. Das an der Universität Trier initiierte Zusatzzertifikat „Leben und Lernen in der Großregion“ ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Schritt, stellte auch Frédérique Seidel, die Geschäftsführerin der Universität der Großregion, heraus. Hier erwerben Lehramtsstudierende zusätzliche Kompetenzen, um die Lernchancen der Großregion in Unterricht, Schulkooperationen und Exkursionen zu nutzen.

Mehr gemeinsame praxisbezogene Projekte und eine Bildungsforschung, die Bedingungen für das Gelingen, die Chancen und Herausforderungen transkultureller Bildungsarbeit systematisch erhebt, sehen Wissenschaftler und Bildungspraktiker daher als erfolgversprechendsten Weg. In dieser Hinsicht war die Tagung an der Universität Trier ein weiterer Schritt nach vorne.

Format soll entwickelt werden

Tagungsleiter Matthias Busch will es nicht bei einer einmaligen Initialzündung belassen. „Wir überlegen, dieses Format in bestimmten Rhythmen fortzuführen.“ Das wäre ganz im Sinn der Vertreter von Bildungseinrichtungen wie beispielsweise Julia Georgi von der Caritas Luxemburg: „Für uns als Anwender war es wichtig zu erfahren, was die Wissenschaft sagt. Der Austausch müsste noch intensiviert werden.“

Nicht zuletzt wegen der vom französischen Staatspräsidenten Macron angeregten Idee einer europäischen Universität sollte es jetzt darum gehen, entsprechende Konzepte zu entwickeln, so Matthias Busch. „Die müssen bereits in den Schulen ansetzen. So kann weltoffenes Zusammenleben gelingen“, sagt der Professor für die Didaktik der Gesellschaftswissenschaften, der selbst in grenzüberschreitenden Kooperationen arbeitet. Für weitere länderübergreifende Projekte und Maßnahmen lieferte die Tagung in den Vorträgen und Workshops jedenfalls eine Vielzahl an Inspirationen.  

Kontakt
Prof. Dr. Matthias Busch
Fachdidaktik Gesellschaftswissenschaften
Tel. 0651 201-2168
E-Mail: buschmuni-trierde