Gewerkschaften profitieren von Arbeitsplatzunsicherheit

Eine Studie der Universitäten in Trier und Konstanz hat herausgefunden, dass sich Personen eher einer Gewerkschaft anschließen, wenn sie ihren Job in Gefahr sehen.

Warum wird man Mitglied in einer Gewerkschaft? Diese Frage ist bisher nicht umfänglich beantwortet. Eine kürzlich veröffentlichte Studie kann nun ein weiteres Puzzlestück zur Antwort beitragen. Prof. Dr. Laszlo Goerke (Universität Trier) und Jun.-Prof. Dr. Adrian Chadi (Universität Konstanz) weisen mit ihrer Untersuchung einen Zusammenhang zwischen persönlich empfundener Arbeitsplatzunsicherheit und dem Eintritt in eine organisierte Interessensvertretung nach. Ihr Ergebnis beruht auf der Auswertung von Befragungsdaten aus einem Zeitraum von 22 Jahren.

In den 90er-Jahren war noch durchschnittlich jeder fünfte Beschäftigte Gewerkschaftsmitglied. Heute sind es zwischen 16 und 17 Prozent. „Die Mitgliedszahlen wären vielleicht noch weiter gesunken, hätten wir in den vergangenen Jahren nicht immer wieder Wirtschaftskrisen erlebt“, sagt Laszlo Goerke, Professor für Personalökonomik an der Universität Trier. Unter anderem durch den Vergleich von regionalen Arbeitslosenzahlen mit den Angaben von Beschäftigten in einer Langzeitbefragung gelang es den Wirtschaftswissenschaftlern zu zeigen, dass Arbeitsplatzunsicherheit die Menschen bewegt, in Gewerkschaften einzutreten.

Verunsicherung durch Werksschließung

Zudem zogen die Forscher für ihre Studie die Aussagen der Befragten heran, wie groß ihre Angst ist, ihren Job zu verlieren. „Arbeitsplatzunsicherheit ist auch eine subjektive Empfindung“, erklärt Goerke. Um ihr Ergebnis zusätzlich zu validieren, werteten die Studienautoren den Zusammenhang zwischen Medienberichten über Arbeitsplatzabbau und der medialen Präsenz von Gewerkschaften aus. Da Medien während Arbeitsmarktkrisen verstärkt über Gewerkschaften berichten, könnten sich mehr Menschen von einer Gewerkschaftsmitgliedschaft angesprochen fühlen. „Auch wenn ich selbst nicht betroffen bin, kann mich eine Werksschließung in meiner Nähe durchaus verunsichern und zum Eintritt veranlassen.“

Die Studienergebnisse deuten darauf hin, dass die empfundene Arbeitsplatzunsicherheit über alle sozialdemographischen Merkmale hinweg Auswirkungen auf die Entscheidung für eine Gewerkschaftsmitgliedschaft hat. Oder anders gesagt: Es scheint keinen Unterschied bei Beschäftigten verschiedener Branchen, Männern und Frauen oder Jüngeren und Älteren zu geben.

In anderen Ländern anders aufgestellt

Der Direktor des an der Universität Trier angesiedelten Instituts für Arbeitsrecht und Arbeitsbeziehungen in der Europäischen Union (IAAEU), Laszlo Goerke, ordnet die Ergebnisse der Studie auch aus der europäischen Perspektive als interessant ein. Gewerkschaften sind in verschiedenen Ländern unterschiedlich aufgestellt und nehmen teilweise noch andere Aufgaben als in Deutschland war. Die Gründe für einen Eintritt in eine Gewerkschaft sind daher oftmals andere.

Studie

Chadi, Adrian und Goerke, Laszlo, Seeking shelter in times of crisis? unemployment, perceived job insecurity and trade union membership, in: Economica Nr. 90 (2023), S. 1041–1088.
https://doi.org/10.1111/ecca.12480

Kontakt

Prof. Dr. Laszlo Goerke
IAAEU
Mail: goerkeuni-trierde
Tel. +49 651 201-4740