Wissenschaftler zeigen Wege, Corona-Schutz mit mehr Aktivität zu vereinbaren
Prof. Veronika Grimm (FAU Erlangen-Nürnberg), eine der fünf Wirtschaftsweisen, Prof. Friederike Mengel (Universität Essex) und Prof. Martin Schmidt (Universität Trier) ist es gelungen, viele der im Zusammenhang mit Corona relevanten Maßnahmen und Parameter in ein epidemiologisches Modell zu integrieren. Auf Basis der Modellierung lässt sich berechnen, wie sich die Kombination unterschiedlicher Maßnahmen auf die Zahl der Todesfälle, die Dauer der Überlastung des Gesundheitssystems oder die Immunitätsrate in der Bevölkerung auswirken.
Würden keinerlei Vorkehrungen gegen die Ausbreitung des Virus ergriffen, wären die Intensivpflege-Kapazitäten nach ihren Berechnungen in Fallstudien deutschlandweit an 140 Tagen überschritten und es wären bis zu 500.000 Tote zu beklagen. Strenge Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen würden die Sterberate deutlich senken. Allerdings wären in diesem Fall selbst nach 500 Tagen wirtschaftlichem Stillstand 92 Prozent der Bevölkerung noch nicht immunisiert und somit das Ansteckungsrisiko unvermindert hoch.
„Diese beiden Szenarien sind natürlich nicht akzeptabel. Unser wissenschaftlicher Antrieb war daher die Suche nach Handlungsoptionen, die einen zuverlässigen Gesundheitsschutz gewährleisten und gleichzeitig mehr gesellschaftliche und wirtschaftliche Aktivität zulassen“, so die beiden Wirtschaftswissenschaftlerinnen und der Mathematiker.
Isolation alleine ist nicht zielführend
Dazu haben sie ein klassisches mathematisches Modell zur Beschreibung der Ausbreitung ansteckender Krankheiten um Corona-spezifische Aspekte erweitert. Somit können sie spezifische Maßnahmen für Gruppen einbeziehen, die sich nach Alter, Region oder Gesundheitsgefährdung unterscheiden. „Es zeigt sich recht deutlich, dass allein eine Isolation von Risikogruppen, wie sie zum Teil diskutiert wird, überhaupt nicht zum Ziel führt. Die notwendige strikte Abschottung eines großen Teils der Bevölkerung wäre vermutlich gar nicht umzusetzen und wäre auch ethisch nicht vertretbar“ berichten die Wissenschaftler.
Es gibt aber Alternativen. Ermitteln lässt sich beispielsweise, wie ein spezieller Schutz für Risikogruppen bei gleichzeitig geringeren Kontaktbeschränkungen für weniger gefährdete Gruppen in Verbindung mit der Nutzung von Tracing-Apps die Zahl der Todesfälle, die Systembelastung und die Immunitätsrate der Bevölkerung beeinflussen.
Die Modellierung kann zudem unterschiedlich lange und schwere, symptomatische und asymptomatische (ohne Krankheitsbild) Infektionsverläufe einbeziehen. „Ein zentrales Ergebnis unserer Simulationen ist, dass sich mit einer Maßnahmen-Kombination aus dem Schutz gefährdeter Gruppen und dem Einsatz von Tracing-Apps eine hohe Zahl von Todesopfern wirksam verhindern lässt“, sagen die Wissenschaftler. Es zeigt sich auch: Allein eine Isolation von Risikogruppen kann nicht die Lösung sein.
Akzeptanz der Tracing-Apps ist wichtig
Ein entscheidender Erfolgsfaktor ist die Akzeptanz und Nutzung der Tracing-Apps, die Kontaktdaten erfassen als Grundlage für Quarantäneaktionen. „Je intensiver die Apps insbesondere in der Gruppe der weniger Gefährdeten genutzt werden, desto geringer ist die Zahl von Infizierten und Todesfällen. Voraussetzung dafür ist aber auch eine schnelle Reaktion des Gesundheitssystems durch die Einleitung von Quarantäne-Maßnahmen“, ergänzen die Wissenschaftler.
Eine Patentlösung für das Corona-Dilemma hält auch die neue Modellierung nicht bereit. Sie kann aber eine verlässliche Entscheidungsgrundlage sein für die Bekämpfung des Virus und insbesondere für die Suche nach Wegen, das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben wieder anzukurbeln. Die Präzision der Ergebnisse wird dabei mit der Qualität epidemiologischer Daten zum Corona-Virus steigen. Eine weitere Stärke des Modells liegt darin, dass sich künftige Neuberechnungen auf der Basis veränderter Situationen und Datenlagen ohne großen Aufwand durchführen lassen.
Kontakt
Prof. Dr. Martin Schmidt
Mathematik
Mail: martin.schmidtuni-trierde
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