Zum 1. Januar wird Deutschland für zwei Jahre als gewähltes, nichtständiges Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen besondere Verantwortung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit wahrnehmen. Die Mitgliedschaft fällt in eine außergewöhnlich krisenbelastete Zeit: Konflikte vom Jemen über Syrien und die Ukraine bis hin zu Afghanistan bestimmen die Tagesordnung des Rates. Zugleich stehen Grundprinzipien der internationalen Politik und Diplomatie in Frage. Auch die Vereinten Nationen und der Sicherheitsrat im Besonderen sehen sich Kritik, Reformvorschlägen und Anfeindungen gegenüber. Der Wechsel in der amerikanischen Außenpolitik hat jahrzehntelange Gewissheiten über Bündnisse und das Wertefundament der Weltordnung in Frage gestellt.
Politikwissenschaftler Prof. Dr. Manuel Fröhlich ist ausgewiesener Experte für die Vereinten Nationen und wurde jüngst als eines von acht Mitgliedern in den VN-politischen Beirat des Auswärtigen Amtes berufen. Zusammen mit dem ehemaligen Planungschef des früheren UN-Generalsekretärs Kofi Annan hat er in diesem Jahr einen Band zur Interaktion von Sicherheitsrat und Generalsekretär veröffentlicht, in dem eine vergleichende Bilanz von sieben Jahrzehnten Arbeit der Weltorganisation für Frieden und Sicherheit vorgelegt wird.
Die Rolle eines nichtständigen Mitglieds im Rat und die Herausforderungen der Mitgliedschaft Deutschlands ordnet Manuel Fröhlich in einem Interview ein.
Herr Fröhlich, welche Rolle spielen die nichtständigen Mitglieder des Sicherheitsrates in diesem Gremium, in dem die ständigen Mitglieder (die USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und China) alle Beschlüsse durch ein Veto aufhalten können?
Die nichtständigen Mitglieder können als einzelne Staaten Beschlüsse des Rates nicht verhindern, sind aber wichtig für die Ermöglichung von Beschlüssen: Für eine Resolution werden neun Stimmen gebraucht und da kommt es bei strittigen Fragen auf jeden einzelnen Staat an. Das Stimmrecht ist aber nur der sichtbarste Ausdruck des Einflusses eines Ratsmitglieds. Viele Weichen werden in New York schon bei der Vorbereitung von Entwürfen und Initiativen vor der Beschlussfassung im Rat gestellt. Zudem wird Deutschland auch die Ratspräsidentschaft übernehmen, die monatlich wechselt. Hier kann auch die Agenda des Rates beeinflusst werden.
Die Bundesrepublik hat sich unter dem Slogan „Frieden, Gerechtigkeit, Innovation, Partnerschaft“ für den Sitz beworben. Sind das nicht sehr wolkige Worte?
Eine solche „Wahlkampagne“ für einen ständigen Sitz ist ein über Jahre hinweg laufender diplomatischer Kraftakt. Um die notwendige Mehrheit der 193 Staaten zu bekommen, versuchen die meisten Staaten keine allzu konkreten und möglicherweise strittigen Themen nach vorne zu stellen. Hinter dieser Zurückhaltung steht aber auch die Einsicht, dass die Arbeit des Rates von den konkreten Krisen der Weltpolitik bestimmt sein wird, die nur schwer im Voraus abzusehen ist. Gewählt werden dabei Staaten auch nach dem Maße des Ansehens, das sie sich in der konkreten Krisenbewältigung und bei der Umsetzung der Werte der Charta der Vereinten Nationen erworben haben. In beiden Bereichen werden die nächsten zwei Jahre besondere Herausforderungen stellen.
Welche Themen werden wahrscheinlich die Agenda des Rates in den nächsten zwei Jahren bestimmen?
Das kann sich über Nacht ändern, aber auf Sicht sind schon einige Krisen klar präsent: Dazu gehört die Unterstützung der laufenden Friedensbemühungen im Jemen, wo der auch von außen unterstützte Bürgerkrieg zu einer katastrophalen humanitären Situation geführt hat. Hinzu kommt die immer noch verzweifelte Lage in Syrien in der es um die Gestaltung eines politischen Ausgangs aus dem Konflikt und mögliche Wiederaufbauhilfe geht. Als einer der Staaten, der das Atomabkommen mit dem Iran ausgehandelt hat, wird die Bundesrepublik sich nach der amerikanischen Aufkündigung der Vereinbarung auch mit der Verhinderung der Wiederaufnahme von Rüstungsbestrebungen seitens Teherans beschäftigen müssen. Mit Blick auf die Situation in der Ukraine steht die Frage der Entsendung einer Friedenstruppe im Raum. Hier wird Deutschland diplomatisch, aber gegebenenfalls militärisch gefragt sein. Und damit wären noch viele afrikanische Konflikte oder aber die Situation in Kolumbien noch nicht benannt, wo der Frieden nach dem langwierigsten Bürgerkrieg der letzten Jahrzehnte immer noch zerbrechlich ist.
Deutschland war bereits fünfmal nichtständiges Mitglied des Sicherheitsrates. Hatte die Mitgliedschaft in diesen Perioden konkrete Auswirkungen?
Natürlich bestimmt nicht ein Land alleine die Geschicke des Rates, aber man kann doch Akzente setzen. So hat die Bundesrepublik in der ersten Mitgliedschaft 1977/78 eine wichtige Rolle bei der Unabhängigkeit Namibias gespielt. 2003 war Deutschland eine vernehmbare Stimme in der Allianz der Staaten, die sich gegen eine Autorisierung eines Kriegseinsatzes im Irak ausgesprochen haben. 2011 wiederum hat die deutsche Enthaltung beim Einsatz in Libyen zu erheblichen Kontroversen geführt. Nicht vergessen werden sollten jedoch auch thematische Initiativen zur Ächtung des Einsatzes von Kindersoldaten, zur Einschaltung des Internationalen Strafgerichtshofes bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder aber zur Wahrnehmung des Klimawandels als einer Bedrohung des Weltfriedens, mit der sich der Rat auseinandersetzen muss. Festzuhalten ist aber auch, dass das Verhältnis und die Positionierung der ständigen Mitglieder wesentlich für die Arbeit des Rates ist - und hier hat sich die Atmosphäre zuletzt massiv verschlechtert.
Deuten die Aufkündigung von Rüstungsverträgen und die gegenseitigen Vorhaltungen und Blockaden zwischen den ständigen Mitgliedern auf einen neuen Kalten Krieg in New York?
Auch historisch gesehen ist der Grad der Auseinandersetzungen in zentralen Fragen der UNO-Politik sehr hoch. Das geht sogar so weit, dass von verschiedenen Seiten immer unverhohlener die Existenzberechtigung und die Grundlagen der gemeinsamen Weltorganisation in Frage gestellt werden. Die kurzfristig gedachte Voranstellung nationaler Interessen und „Deals“ bei denen es um zählbaren „Gewinn“ geht, untergräbt die Gründungsidee der Vereinten Nationen nach dem Zweiten Weltkrieg: Multilateral, also gemeinsam für die Verwirklichung gemeinsamer, globaler Güter zu arbeiten: Frieden, wirtschaftliche Entwicklung und Menschenrechte. Auch in dieser Hinsicht werden die Augen auf Deutschland gerichtet sein, das nunmehr nicht nur gegenüber Russland und China, sondern auch gegenüber der gegenwärtigen amerikanischen Regierung für diese multilaterale Werteordnung der Charta eintreten muss.
Wie bewerten Sie die Diskussion um die Erweiterung des Sicherheitsrates? Sollte Deutschland einen festen Sitz erhalten?
Die Reformdebatte ist so alt wie die Vereinten Nationen. Der Bedarf hat sich spätestens mit dem Ende des Kalten Krieges intensiviert, da der Rat in seiner Zusammensetzung eher noch an der Gründungssituation von 1945 orientiert ist. Das Verfahren zur Reform ist denkbar kompliziert: Man muss zwei Drittel der Mitglieder der UNO hinter einen Vorschlag bringen und bei der Umsetzung der Änderung müssen auch alle ständigen Mitglieder zustimmen – sie haben also de facto auch ein Veto-Recht über Veränderungen der Struktur des Rates. Mit dem wiederkehrenden Verweis darauf, dass eine Reform deshalb fast unmöglich ist, ist aber die Kritik an den Defiziten des Rates nicht beantwortet. Die Reformdebatte wird also weitergehen. Deutschland kann sich hier bei einer Anpassung des Arbeitsweisen mit einbringen und wird mit seinem Verhalten in den nächsten zwei Jahren von den anderen Mitgliedern auch daraufhin beurteilt werden, ob es überhaupt zu der ersten Riege möglicher Kandidaten einer etwaigen Reform der Zusammensetzung gehört.
Zur Person
Manuel Fröhlich hat 2015 die Professur für Internationale Beziehungen und Außenpolitik an der Universität Trier übernommen. Er ist ein ausgewiesener Experte für die Vereinten Nationen und wurde als eines von acht Mitgliedern in den VN-politischen Beirat des Auswärtigen Amtes berufen. Zusammen mit dem ehemaligen Planungschef des früheren UN-Generalsekretärs Kofi Annan hat Manuel Fröhlich in diesem Jahr ein Buch zur Interaktion von Sicherheitsrat und Generalsekretär veröffentlicht, das eine vergleichende Bilanz von sieben Jahrzehnten Arbeit der Weltorganisation für Frieden und Sicherheit vorgelegt.
Zum Buch
The UN Secretary-General and the Security Council.A Dynamic Relationship.Edited by Manuel Fröhlich and Abiodun Williams.
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Kontakt
Prof. Dr. Manuel Fröhlich
Politikwissenschaft/Internationale Beziehungen und Außenpolitik
E-Mail: froehlich@uni-trier.de
Tel. +49 651 201-2130