Projekt EpideMSE: Kann man die Pandemie-Entwicklung vorhersagen?
Das ITWM-Team startete mit dem Projekt namens EpiDeMSE bereits Mitte April 2020 im Rahmen des Anti-Corona-Programms der Fraunhofer-Gesellschaft. Der Projektname steht hierbei für Epidemiologische Modellierung, Simulation und Entscheidungsunterstützung. Inzwischen haben die Forschenden ein eigenes Tool entwickelt, das politisch Entscheidende auf lokaler Ebene unterstützt. So auch ab sofort die Stadt Kaiserslautern. Es liefert gleich auf mehreren Ebenen Informationen und Simulationen zum Verlauf der Epidemie, Schätzungen zur Dunkelziffer sowie Prognosen zum weiteren Epidemie-Verlauf, die auch die Auswirkungen von Maßnahmen bzw. deren Lockerungen jeweils berücksichtigen oder auch die Auslastung der Intensivbetten.
Prof. Dr. Karl-Heinz Küfer, Bereichsleiter am Fraunhofer ITWM betont: „Wir können keine Glaskugel-Erkenntnisse für den späten Herbst oder gar Winter liefern. Das kann keiner. Aber ähnlich wie bei Wettervorhersagen sind durch unser Modell kurzfristige Prognosen möglich, um früh genug Entwicklungen zu erkennen und den Verlauf besser einzuschätzen“, so Küfer. „Die Entscheidungen trifft dann natürlich nicht die Mathematik oder die Software, sondern die Politik selbst. Wir liefern eine wissenschaftliche Grundlage.“
SoSAD simuliert komplexe Pandemie-Verläufe
Parallel arbeitete Prof. Dr.-Ing. Ingo J. Timm seit Frühjahr mit seinem Team von der Außenstelle des DFKI Kaiserslautern an der Universität Trier ebenfalls an Simulationsmodellen mit einer anderen Herangehensweise. Der Professor für Wirtschaftsinformatik und Leiter des Themenfelds Kognitive Sozialsimulation am DFKI hatte sich in der Vergangenheit schon mit Modellen zur Ausbreitung der Grippe beschäftigt. Jetzt rechnen er und sein Team im Projekt SoSAD verschiedene lokal angepasste Szenarien für die Corona-Pandemie durch.
„Wir integrieren in unserem Simulationsmodell Daten, Wissen und Erkenntnisse aus der Medizin, der Sozialforschung und der Psychologie, um für die Verbreitung des Virus relevante individuelle Verhalten der einzelnen Personen, aber auch gruppendynamische Prozesse abzubilden. Damit wollen wir Entscheidungstragende im Krisenmanagement darin unterstützen, die Wirksamkeit von Maßnahmen und deren Folgen bestmöglich einzuschätzen und zu bewerten“, so Timm. „Zu Beginn einer Pandemie liegen wesentliche Daten und Informationen, die zur Simulation der Ausbreitung relevant sind, oft nicht vor. Mit unseren KI-Methoden können wir die Lücken in den Daten modellieren, um trotzdem plausible Verläufe darzustellen. Im Falle von Kaiserslautern wurde ein solches Modell erstmals konkret an eine Kommune angepasst, so dass wir der Stadt die Grundlage für die bestmöglichen Entscheidungen liefern können.“
Besonders der Vergleich von Maßnahmen wird dabei in den Fokus genommen, und durch Nachbildung von Menschen und deren ansteckungsrelevanten Verhaltens ist die DFKI-Forschung auf der Mikroskala einzuordnen. Wohingegen die Forschungen des ITWM global auf die Entwicklungen blicken und dann auf Regionen aufschlüsseln. Im nächsten Schritt ist eine Anpassung auch an andere Kommunen in Rheinland-Pfalz denkbar.
Beide Projekte ergänzen sich optimal und perspektivisch ist eine Zusammenführung von EpideMSE und SoSAD vorgesehen, um eine nachhaltige Entscheidungsunterstützung anbieten zu können. Die langjährige Expertise der wissenschaftlichen Zentren am Standort Kaiserslautern rund um Simulationen, Algorithmen und Künstlicher Intelligenz schaffen dafür ideale Voraussetzungen.
Entscheidungshilfe für die Stadt Kaiserslautern
„Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass viele Entscheidungen im Umgang mit der SARS-CoV-2-Pandemie allein von den Kommunen zu treffen sind“, erläutert Oberbürgermeister Klaus Weichel den Hintergrund der Kooperation. „Bislang waren wir dabei ein Stück weit Spielball einer kaum zu prognostizierenden Entwicklung. Dass die Zahlen nach den eng getakteten Lockerungen im Mai so stabil niedrig blieben, kam ebenso unerwartet wie der rasche Wiederanstieg mitten im Hochsommer. In einem solchen Szenario Entscheidungen zu treffen, kommt einem Glücksspiel gleich. Und genau das wollen wir nun ändern und werden versuchen, dem Virus ab sofort in die Karten zu schauen.“
Ein von Prof. Dieter Rombach, Chief Digital Officer der Stadt, geleiteter Expertenrat wurde bereits im Frühjahr gebildet, auch um zu evaluieren, welche wissenschaftlichen Tools und Modelle es gibt. „Beide Systeme in Kombination erlauben eine übersichtliche und gut verständliche Visualisierung der Infektionslage sowie eine auf regionalen Gegebenheiten beruhende Prognose der zukünftigen Entwicklung“, so der CDO.
Das Modell wurde vor wenigen Tagen bereits im Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie des Landes Rheinland-Pfalz vorgestellt und stieß auch dort auf großes Interesse.