Die unermüdliche Suche nach der optimalen Therapie

Die Verknüpfung von Psychotherapie, Ausbildung, Lehre und Forschung ist die Erfolgsformel der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie — seit mehr als zehn Jahren.

Eine intensive Betreuung und Unterstützung der Teilnehmer ist ein Markenzeichen des Weiterbildungsstudiengangs „Psychologische Psychotherapie“.

Gewöhnlich geben sich im Gebäude 25─27 im Wissenschaftspark Trier die Menschen die Klinke in die Hand, doch Corona hat den Trakt ziemlich leergefegt. Hier befinden sich die Räume der von Professor Dr. Wolfgang Lutz geleiteten Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Trier. Zu ihr gehört die psychotherapeutische Ambulanz. In wöchentlich rund 290 Sitzungen werden hier pro Jahr mehr als 700 Personen behandelt.

Es könnten noch mehr Patienten sein, denn die Nachfrage nach Behandlungen psychischer Störungen ist ungebrochen hoch und die Warteliste in der psychotherapeutischen Ambulanz entsprechend lang. Vier bis acht Monate vergehen durchschnittlich zwischen der Kontaktaufnahme und der ersten vorbereitenden Sitzung. Die Wartezeit hängt ab von den Aufnahmekapazitäten der Ambulanz, aber auch von der zeitlichen Flexibilität der Patienten. Etwa 60 Therapeuten arbeiten in der Ambulanz. Abgesehen von akuten Psychosen, nehmen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aller psychischen Störungen an, die in einer von der Weltgesundheitsorganisation erstellten Klassifikation erfasst sind (ICD – 10, Kapitel F). Die Ambulanz im Wissenschaftspark ist wegen ihrer hohen Erfolgsquote und ihrer herausgehobenen Attribute stark nachgefragt, wobei das eine mit dem anderen eng zusammenhängt. In der Abteilung sind Psychotherapie, Aus- und Weiterbildung, Lehre sowie Forschung eng verschränkt.

Patienten werden daher auf der Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse behandelt. Und die kommen nicht selten aus dem eigenen Haus, denn die Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie betreibt selbst rege Forschungsarbeit. „Eine ausführliche Diagnostik, eine intensive Beschäftigung mit der Fallkonzeption und Behandlungsplanung, die Verbindung mit den neuesten Erkenntnissen aus der Forschung — diese Punkte hören wir von unseren Patienten häufig als Argumente, warum sie sich für eine Therapie bei uns entscheiden”, fasst Professor Lutz die besondere Qualität der Ambulanz zusammen. Die differentielle Indikationsstellung und Personalisierung der Behandlung sind Wesensmerkmale der therapeutischen Arbeit. Unter Erstem ist zu verstehen, dass während der Behandlung stetig überprüft wird, ob die eingeleiteten Maßnahmen wie erwartet wirken. Personalisierung meint, dass der Patient individuell betrachtet und auf ihn abgestimmte Behandlungsstrategien konzipiert werden. Dazu haben die Trierer Psychologen ein spezielles Analysetool entwickelt, den Trier Therapie Navigator. Außergewöhnlich ist zudem, dass in mehreren Sprachen behandelt werden kann: Neben Deutsch in Englisch, Französisch, Russisch, Polnisch und Türkisch.

Therapiesitzungen in Präsenz sind seit dem zweiten Lockdown im November nur in Einzelfällen möglich.

Psychotherapie im Lockdown-Modus

„Bereits Mitte März haben wir langsam auf Videotherapie umgestellt. Ab April waren außer Notfallsitzungen keine Präsenztermine mehr vor Ort möglich. Manche Patienten haben wir über Telefon betreut, wenn sie keine technische Ausstattung für Videositzungen hatten“, erinnert sich  Wolfgang Lutz an den ersten Lockdown des Jahres und die Folgen für die psychotherapeutische Arbeit. Immerhin ist es gelungen, die Zahl der Therapieplätze aufrechtzuerhalten, und man konnte Erfahrungen sammeln für die zweite Schließungsphase des Jahres und das zweite digitale Semester ab November.

Seitdem sieht sich der überwiegende Teil der Patienten und Therapeuten nur noch per Video. Wenige Sitzungen finden weiterhin in der Ambulanz statt oder per Telefon, beispielsweise wenn Patienten eine digitale Therapie ablehnen.

Der Umzug in die digitale Welt und die Einhaltung der Corona-Bestimmungen stellt die gesamte Abteilung vor Herausforderungen, die weit darüber hinausgehen, den Nachschub an Masken und Desinfektionsmitteln sicherzustellen. Therapeuten müssen neue Maßnahmen und Materialien entwickeln, die den Patienten zur Vorbereitung auf die nächste Sitzung per Mail geschickt werden. „In einer Videotherapie kann der Therapeut den körpersprachlichen Ausdruck des Patienten weniger gut beurteilen, als wenn er ihm gegenübersitzt. Es muss mehr über Worte kommuniziert werden“, nennt Professor Lutz eine Problematik der digitalen Sitzungen.

Nicht immer lässt sich ein geschützter Raum für das Gespräch herstellen, wenn es beispielsweise Patienten in ihrer Wohnung nicht einrichten können. Selbst an sich positive Effekte können sich negativ auswirken. „Den Patienten bleibt der Anfahrtsweg erspart. Das bedeutet auf der anderen Seite, dass sie direkt aus dem Alltag in die Sitzung kommen und keinen Abstand gewinnen konnten.“ Einschränkungen gibt es aber auch bei den wenigen Präsenz-Sitzungen. „Die durch die Maske verdeckte Mimik des Patienten nicht zu sehen, bereitet Therapeuten große  Schwierigkeiten“, so Professor Lutz.

An der Videotherapie ist aber längst nicht alles schlecht. Im Gegenteil: „Manchen Patienten fällt es zuhause leichter, sich zu öffnen und intensiver zu erzählen. Außerdem sieht man sich durch den großen Bildausschnitt sehr nah, Mimik ist dadurch recht intensiv einsetzbar und ablesbar. Außerdem bekommt der Therapeut einen Eindruck vom Zuhause des Patienten“, listet Wolfgang Lutz Vorteile auf.

Volkskrankheit Depression? In der psychotherapeutischen Ambulanz wird diese Diagnose in 44 Prozent der Fälle gestellt.

PALF - Engste Vernetzung auf hohem Niveau

PALF - hinter dieser Kurzformel verbirgt sich das zentrale Charakteristikum der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie: Die enge Verknüpfung von Psychotherapie, Aus- und Weiterbildung, Lehre sowie Forschung schafft Mehrwert für alle Beteiligten. Patienten profitieren in ihrer Therapie von Forschungserkenntnissen, Studierende können früh mit Forschung und psychotherapeutischer Praxis in Kontakt kommen und angehende Psychotherapeuten werden wissenschaftsbasiert ausgebildet und in Forschung sowie Entwicklung einbezogen.

Psychotheraphie

Was wird behandelt?
Behandelt werden psychische Störungen wie Depressionen, Angststörungen, posttraumatische Belastungen, Zwangs und Essstörungen oder psychosomatische Erkrankungen, psychische Probleme in Zusammenhang mit körperlichen Krankheiten, auch Paar- und Familienprobleme und andere persönliche Schwierigkeiten oder Störungen. Nicht behandelt werden zum Beispiel Patienten mit primären Substanzabhängigkeiten
oder im Fall akuter Suizidalität. Depressionen waren in den vergangenen zehn Jahren mit 44 Prozent die am häufigsten gestellte Diagnose.

Wer wird behandelt?
Behandelt werden Patienten ab 16 Jahren, ein Direktzugang oder eine ärztliche Zuweisung sind möglich. Die Therapiekosten werden von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Die Patienten kommen überwiegend aus der Stadt und der Region Trier sowie aus der Großregion, auch aus Luxemburg. Der Altersdurchschnitt der Patienten liegt bei 35 Jahren.

Wie viele werden behandelt?
Einhergehend mit der Erweiterung der Kapazitäten ist die Zahl der Patienten enorm gestiegen. Waren es im Eröffnungsjahr 2003 noch 95 Personen, besuchten in den vergangenen Jahren zwischen 700 und 800 Patienten jährlich die Ambulanz. Pro Jahr werden etwa 300 Patienten neu aufgenommen, Anfragen gehen mehr als doppelt so viele ein.

Wie wird behandelt?
Bei der Entwicklung der Therapie werden persönliche Hintergründe und das soziale Umfeld, individuelle Stärken und Schwächen und die aktuelle Lebenssituation der Patienten berücksichtigt. Die auf der Basis einer fundierten Diagnose  entwickelten Therapien werden durch ein Qualitätssicherungssystem begleitet. Evaluierungen belegen eine hohe Erfolgsquote. Die Ambulanz gibt eine Verbesserungsrate von 73,5 Prozent vom Beginn bis zum Abschluss der Behandlungen an. Jede Therapie erfordert etwa 30 Sitzungen.

Aus- und Weiterbildung

Den staatlich anerkannten Weiterbildungsstudiengang „Psychologische Psychotherapie“ haben die Professoren Günter Krampen und Peter Schwenkmezger aufgebaut und 2001 an der Universität Trier implementiert. Seit 2009 wird er von Professor Wolfgang Lutz fortgeführt und weiterentwickelt.

Der Studiengang hat eine jährliche Aufnahmekapazität von bis zu 25 Studierenden, die in Teilzeit (fünf Jahre) oder Vollzeit (drei Jahre) ausgebildet werden. Bewerbungen sind nach dem ersten Master-Semester möglich. Aktuell belegen insgesamt etwa 110 Studierende den  Weiterbildungsstudiengang.

Davon arbeiten etwa 20 Prozent an einer Promotion oder sind bereits promoviert. Die fixen Ausbildungskosten von 12.000 Euro, die im  Bundesvergleich zu den günstigsten gehören, können durch Honorare für Therapietätigkeit refinanziert werden. Die Anbieter des Studiengangs legen großen Wert auf eine intensive Betreuung und Unterstützung der Teilnehmer, die beispielsweise in institutionalisierten Meilenstein-Gesprächen verankert ist. Diese Strategie macht das Institut zu einer der modernsten Ausbildungseinrichtungen Deutschlands. Den Studierenden kommt ein kontinuierliches Feedback über jede Behandlung zugute. Da alle Sitzungen auf Video aufgezeichnet werden, erhalten die Therapeuten eine mit ganz konkretem Feedback angereicherte Supervision und können die Videos außerdem zur Vor- und Nachbereitung nutzen.

Lehre

Lehrveranstaltungen aus dem Bereich der Klinischen Psychologie und Psychotherapie sind fester Bestandteil sowohl im Bachelor- wie im Masterstudium des Fachs Psychologie. Das Lehrprogramm führt Forschung, Lehre und Praxis zusammen. Über den Lehrbetrieb hinaus haben Studierende die Möglichkeit, als Hilfskräfte oder Praktikanten — aktuell sind es etwa 26 — in der Ambulanz, der Abteilung und dem Weiterbildungsstudiengang praktische Erfahrungen zu sammeln.

Master-Studierende können nach einer erfolgreichen Bewerbung für den Weiterbildungsstudiengang als Therapie-Assistenzen an Behandlungen mitwirken und Therapiemaßnahmen unterstützen. Jährlich betreut die Abteilung etwa 45 Studien-Abschlussarbeiten, davon ein Drittel im Bachelor-
und zwei Drittel im Masterstudium. Insgesamt sind in der Abteilung 162 Diplom-Arbeiten, 157 Master-Arbeiten und 131 Bachelor-Arbeiten entstanden, überwiegend auf der Grundlage von Daten aus der Ambulanz.

Forschung

Die Forschungstätigkeit der Abteilung wird in dem 2010 eingerichteten Europäischen Zentrum für Psychotherapie und Psychotherapieforschung (EZPP) gebündelt. Im gleichen Jahr wurde das Graduiertenprogramm Psychotherapie und Psychotherapieforschung inklusive eines  Doktorandenkolloquiums aufgelegt, in dem derzeit zwölf interne und eine externe Dissertation sowie zwei Habilitationen betreut werden. 28 Promotionen sind abgeschlossen, zwei Absolventen erhielten Berufungen auf Professuren. Die Nachwuchswissenschaftler profitieren dabei von einem internationalen Kooperationsnetzwerk, das Türen zu Universitäten in vielen Ländern öffnet.

Im Mittelpunkt der Forschung steht die Untersuchung psychotherapeutischer Behandlungen und der Prozesse, die Veränderungen in der Psychotherapie herbeiführen. Geforscht wird auf drei Ebenen. Den Schwerpunkt bildet die Makroebene. Hier sind Evaluation und Qualitätssicherung die wichtigsten Stichpunkte. Es geht darum, Vorhersagen treffen zu können, welche Faktoren den Erfolg von Therapien beeinflussen können und wie das Vorgehen bei negativen Entwicklungen angepasst werden muss. Auf der Mesoebene nehmen die Wissenschaftler die Mechanismen und Prozesse des psychotherapeutischen Geschehens in den Blick, beispielsweise Effekte nonverbalen Verhaltens, der Sprache und von Emotionen. Auf der Mikroebene untersucht die Arbeitsgruppe Wirksamkeit und Wirkungsweise einzelner  spezifischer psychotherapeutischer Behandlungstechniken. Für die Forschung werden beachtliche Drittmittel eingeworben – mehr als sieben  Millionen Euro zwischen 2015 und 2019.

Forschung zu Corona

Die Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie forscht auch zur Corona-Pandemie. In dem Projekt „Auswirkungen der Covid-19 Infektionswelle auf Patient*innen, Therapeut*innen und Studierende“ wird zum einen untersucht, wie sich der Übergang von Face-to-Face-Therapiesitzungen zu Videotherapiesitzungen auf die Beziehung zwischen Patient und Therapeut sowie auf die Symptome der Patienten auswirkt. Dazu werden die Verläufe von Patienten, die zur Videotherapie gewechselt sind, mit früheren Patienten verglichen, die durchgehend in Präsenz behandelt wurden. Zum anderen soll die Videotherapie durch die Einschätzungen von Patienten und Therapeuten in Bezug auf Wirksamkeit, Umsetzbarkeit und eventuell auftretende Probleme evaluiert werden. Weiterhin beschäftigt sich das Forschungsprojekt mit dem Einfluss von Social Distancing auf das Wohlbefinden von Patienten, Therapeuten, der Allgemeinbevölkerung und Studierenden. Eine erste Erhebung dazu fand zwischen April und Anfang Juni 2020 statt, eine zweite Erhebung wurde in der zweiten Novemberwoche 2020 gestartet.

Trier Therapie Navigator

„Ihre Route wird berechnet.“ Diesen Satz bekommen Psychotherapeuten vom Trier Therapie Navigator (TTN) nicht zu hören oder zu lesen.  Dennoch zeigt der TTN, ähnlich einem Auto-Navi, Therapeuten mögliche Wege und Vorschläge für die Behandlung eines Patienten an. Rund 20 Jahre Forschungs- und Entwicklungsarbeit stecken in diesem Instrument, das in der Fachwelt große Aufmerksamkeit gefunden hat. Der TTN soll vor allem eines leisten: Therapeuten darin unterstützen, für den jeweiligen Patienten eine zutreffende Diagnose zu stellen und die dafür optimale individualisierte Behandlungsoption zu entwickeln. Denn Patienten mit gleicher Störung können auf eine identische Therapie unterschiedlich ansprechen. Das haben Professor Lutz und seine Mitarbeiter mittels der Analyse eines Datensatzes aus Großbritannien selbst bestätigt. Danach hatten 40 Prozent der Patienten mit einer Traumafolge-Störung nicht das optimale Therapieverfahren erhalten. Der TTN gleicht die eingegeben Daten mit Stichproben bereits behandelter Menschen ab und beobachtet, wie sich die Symptome des Patienten verändern. Er gibt auch  Warnhinweise, falls sich die Therapie in einer auffälligen Weise entwickelt oder ein negativer Verlauf droht. Dem Therapeuten werden dann geeignete Materialien wie Videos oder Arbeitsblätter zum Gegensteuern zur Verfügung gestellt. Gerade wurde der TTN in einer Studie evaluiert, die zeigt, dass sich die Ergebnisse verbessern, wenn Therapeuten den Vorhersage-Vorschlägen des TTN folgen. Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg ist, dass die Therapeuten den Umgang mit dem TTN sicher beherrschen.

► Weitere Informationen

Der Therapie-Navigator zeigt an, wie sich die Symptome des Patienten im Behandlungsverlauf verändern und warnt vor negativen Entwicklungen.
Das Team der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Trier.

Kontakt

Prof. Dr. Wolfgang Lutz
Klinische Psychologie und Psychotherapie
Mail: lutzw@uni-trier.de
Tel. +49 651 201-2883