Am heutigen Dienstag endete nach rund zwei Wochen die 1. Sitzungsperiode des 13. Nationalen Volkskongresses der Volksrepublik China. Der ungewöhnlich lange Sitzungsmarathon produzierte eine Vielzahl von inhaltlichen und personalpolitischen Entscheidungen, die China auf Jahre hinweg prägen werden – mit allerdings völlig offenem Ausgang. Der Trierer Politikwissenschaftler Dirk Schmidt erläutert die wichtigsten Entscheidungen:
1. Wichtige Verfassungsänderungen des Nationalen Volkskongresses zur Stärkung der Rolle der Partei
Dirk Schmidt: „Die Aufhebung der Amtszeitbegrenzung des chinesischen Präsidenten und Vizepräsidenten hat viel Beachtung im Westen bekommen, aber es gibt noch mehr Entscheidungen des Nationalen Volkskongresses, die bemerkenswert sind: Das Parlament hat Xi Jinpings Ideologie des „Sozialismus mit chinesischen Charakteristika für die neue Ära“ in die Präambel aufgenommen. Diese Passage stand so schon gleichlautend im Parteistatut der Kommunistischen Partei. Damit stellt sich der chinesische Staats- und Parteichef auf einer Stufe mit Mao Tse-tung und Deng Xiaoping.
Außerdem steht nun auch die Führungsrolle der Kommunistischen Partei im 1. Artikel der Verfassung beschrieben. Die stand zuvor ausschließlich in der Präambel der Verfassung. Jeder, der sich fortan gegen die Partei richtet, verstößt somit gegen die chinesische Verfassung. Ein der Praxis liegt es in dem Ermessen der Partei, welches Verhalten dazu zählt.
Alle weiteren Verfassungsänderungen beziehen sich mehrheitlich auf eine neu errichtete „Nationale Aufsichtskommission“. In ihr verschmilzt die bisher getrennte Organisationsstruktur zur Kontrolle der Partei und des Staates. Das erlaubt, das Millionenheer der Kader im öffentlichen Dienst, die in Staatsunternehmen, in Krankenhäusern oder Medienanstalten beschäftigt sind, der Korruptionskontrolle zu unterwerfen, auch wenn die jeweiligen Personen nicht mal der Partei angehören. Zu den Kompetenzen der Aufsichtskommission gehört nicht nur Verdächtige zu befragen, sondern auch abzuhören, festzusetzen oder ihr Vermögen zu beschlagnahmen.“
2. Neustrukturierung der Regierung: drei neue Ministerien zur Stabilisierung der Herrschaft der Partei
„Die Zentralregierung in China zu umzustrukturieren hat Tradition. Die jetzt getroffenen Entscheidungen folgen bereits sieben ähnlichen Runden seit 1982. Sie bringen erhebliche Änderungen mit sich und zielen im Kern darauf ab, bisher auf mehrere Akteure verstreute bürokratische Kompetenzen nun zum Zwecke größerer Durchschlagskraft in wenigen Personen zu bündeln.
Daran erkennt man das Bemühen der Partei- und Staatsführung sich auf diejenigen Politikfelder zu konzentrieren, die sie schon seit Jahren als die größte Bedrohung für die Herrschaft der Partei identifiziert haben: Korruption, Umweltverschmutzung und Finanzmarktrisiken. Vor übertriebenen Hoffnungen auf eine Liberalisierung ist jedoch zu warnen. Alle führenden Parteikader haben für die Reorganisation der Regierung ein übergeordnetes Ziel ausgegeben: die Führungsrolle der Partei zu stärken.
In der Vergangenheit hatten die Vergabe von Landnutzungsrechten und die Stadtplanung durch Missbrauchsfälle in der Bevölkerung immer wieder für Protest gesorgt. Die soll nun ein neues Ministerium, „das Ministerium für natürliche Ressourcen“, besser überwachen. Auch dem Thema Umweltschutz wird ein neues Ministerium gewidmet. Das „Ministerium für Ökologische Umwelt“ übernimmt die Verantwortung für die Bekämpfung von Treibhausgasemissionen und den Schutz von Wasserressourcen. Bedeutsam ist auch der Zusammenschluss der bisher getrennten Regulierungsbehörden für den Banken- und Versicherungsmarkt. Dieses neue Organ im Ministerrang soll endlich effektiver der Risiken im chinesischen Finanzsektor, vor allem der grassierenden Verschuldung Herr werden.“
3. Personalentscheidung: Xi Jinping-Vertrauten rücken auf
„Die Besetzung von Führungspositionen im Staat unterliegt seit jeher in leninistischen Systemen der besonderen Kontrolle durch die Partei. Daher waren auch bei den diesjährigen Wahlen des staatlichen Führungspersonals in China Überraschungen kaum zu erwarten. Bis auf wenige Ausnahmen sind diese auch in der Tat ausgeblieben. Aber unerwartet ist das Ausmaß an Konformität bei den Personalentscheidungen: in früheren Jahren gab es durchaus eine beachtliche Zahl von Neinstimmen bei Wahlen, z.B. bei der Wahl des Vizepräsidenten. So wurde Xi Jinping als Staatspräsident und Oberbefehlshaber der Armee einstimmig gewählt, der Vizepräsident bei nur einer Gegenstimme. In der Vergangenheit gab es gerade bei der Wahl zum Vize-Präsidenten eine beachtliche Zahl von Gegenstimmen und Enthaltungen, bis zu zehn Prozent!
Die gewählten Personen selbst verbindet eines: sie sind im Wesentlichen bewährte Vertraute von Xi Jinping. Dies gilt für den neuen Vizepräsidenten Wang Qishan, der noch im letzten Herbst all seine Parteiämter aus Altersgründen aufgeben musste und nun ein politisches Comeback erlebt. Auch der engste Wirtschaftsberater Xis, Liu He, wird zukünftig als Vizeministerpräsident eine bedeutende Rolle in der Wirtschaftspolitik spielen. Beide Personen sollen sich zudem vor allem auch der Politik zu den USA widmen. Dass Xi Jinping zwei seiner engsten Vertrauten mit exzellenten Kontakten nach Washington mit dieser Aufgabe betraut, zeigt die Bedeutung, die er den Beziehungen zu Donald Trump beimisst.“
Das Fazit: Weichenstellung mit unbekanntem Ausgang
In der Gesamtbetrachtung der Ergebnisse des Nationalen Volkskongresses lässt sich Folgendes feststellen: Die Tendenz zur Zentralisierung der Entscheidungsfindung, der Ideologisierung und der Personalisierung des politischen Systems unter der Herrschaft von Xi Jinping schreitet weiter voran. Das neu gewählte Führungspersonal an wichtigen Schaltstellen des Staates ist für die neuen Aufgaben sehr gut qualifiziert, rekrutiert sich aber vor allem aus dem engsten Kreis um Xi Jinping. Die Reorganisation der Zentralregierung setzt mit der Überwindung bürokratischer Hemmnisse an den richtigen Stellschrauben an, es wird aber vor allem auf die Umsetzung der geplanten Maßnahmen ankommen.
Für den Westen ergibt sich ein Dilemma: Wird Xi Jinping mit seiner Politik der Stärkung der Partei in den nächsten Jahren Erfolg haben, werden wir es mit einem immer mächtigeren China zu tun haben, das auf die Durchsetzung seiner Interessen unnachgiebig pochen wird. Für den Fall von Misserfolgen laufen wir andererseits auf ein Krisenszenario zu, das in allen Konsequenzen für Deutschland und Europa bisher kaum absehbar ist.
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