Unser Freund mit dem Namen KI

Selbstlernende Computer und Programme erleichtern schon heute unseren Alltag und helfen bei wichtigen Entscheidungen. Welche Potenziale Künstliche Intelligenz (KI) hat, zeigen verschiedene Forschungsprojekte an der Universität Trier

Mit der Fabrik im Kleinformat bringen Prof. Dr. Ralph Bergmann (rechts) und sein Team ihrem KI-System bei, bei Fehlern trotzdem die Produktion aufrechtzuerhalten

Computer übernehmen die Weltherrschaft und verdrängen den Menschen. Dieser Plot füllte bereits den einen oder anderen Blockbuster. Für Prof. Dr. Ralph Bergmann ist das Szenario komplett abwegig: „Dass Künstliche Intelligenz die Welt bedroht, ist pures Hollywood.“ Künstliche Intelligenz brauche den Menschen als Entscheider und Kontrolleur. „Um KI zu beschreiben, verwende ich gerne das Bild eines Assistenzsystems, das uns hilft, besser und effizienter zu sein und Fehler zu vermeiden“, sagt der Trierer Wirtschaftsinformatik-Professor.

Sein Kollege Prof. Dr.-Ing. Ingo J. Timm zieht einen ähnlichen Vergleich heran: „Wir Menschen trainieren KI wie Hundeführer. Menschen sind wahre Generalisten, die vieles gut können. KI-Systeme sind eher Spezialisten für bestimmte Probleme. Man muss ihnen sagen und zeigen, was richtig und falsch ist. Es braucht uns Menschen, die die Ergebnisse der KI infrage stellen und bewerten.“

Timm und Bergmann sind Leiter zweier Arbeitsgruppen an der Außenstelle des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) an der Universität Trier. Am Vorabend des ersten Corona-Lockdowns im März 2020 hätte in Anwesenheit der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer die feierliche Vertragsunterzeichnung zur Gründung der Außenstelle stattfinden sollen. Die Veranstaltung wurde kurzfristig abgesagt. Die Pandemie holte, vor allem im Fall von Ingo Timm und seinem Team, die Forscher wortwörtlich ein.

Wenn ein Gebäude beispielsweise aufgrund eines Amoklaufs evakuiert wird, muss dies möglichst koordiniert geschehen. Prof. Dr. Ingo Timm und sein Team haben mögliche Szenarien mithilfe von KI simuliert.

Mithilfe von Simulationen die Corona-Pandemie eindämmen

„Plötzlich wurde das, was wir machen, nochmal relevanter“, sagt Timm. Bereits vor mehreren Jahren hatte er sich mit einem Simulationsmodell zur Ausbreitung der Grippe beschäftigt. Nun haben er und sein Team das Modell für die Corona-Pandemie angepasst, um Voraussagen treffen zu können, wie sich welche Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie auf die Infektionszahlen auswirken. SoSAD haben sie das Projekt passenderweise getauft. Die Abkürzung steht für „Social Simulation for Analysis of Infectious Disease Control“.

Anhand des Projekts lässt sich gut erklären, was sich hinter dem Themenbereich „Kognitive Sozialsimulation“ verbirgt, den Timm leitet. Üblicherweise wird davon ausgegangen, dass sich Menschen an Regeln, wie Kontaktbeschränkungen, hundertprozentig halten. Allerdings werden Regeln in Wirklichkeit individuell umgesetzt oder auch einmal zumindest kurzzeitig überschritten. „Uns geht es darum, in Computersimulationen den Menschen mit einem hohen Entscheidungsgrad zu modellieren, um ein möglichst realitätsnahes Verhalten abbilden zu können“, sagt Timm. Diese kognitiven Entscheidungen haben wiederum Auswirkungen auf ein soziales System, also eine Gruppe von Menschen oder die Gesellschaft. Eine Gruppendynamik kann sich entwickeln, ein Problem kann sich hochschaukeln. Wenn eine Person keine Maske tragen will, „steckt“ sie auch andere mit ihrer Auffassung an.

Beispiel Maskenpflicht in der Schule: Eine Annahme in der Simulation könnte sein, dass Schüler in der Unterstufe sich fast vollständig an die Maskenpflicht halten, während die Schüler der Oberstufe die Regeln stärker hinterfragen und ablehnen. Die Simulation erlaubt, unterschiedliche Szenarien für unterschiedliche Gruppen und Hypothesen durchzuspielen sowie die Auswirkungen einer Maßnahme zu betrachten ebenso wie die Auswirkungen einzelner Maßnahmen aufeinander. Wenn Kitas geschlossen werden, treffen sich Eltern und Kinder vielleicht mehr auf Spielplätzen. Dort haben sie nicht nur mit einer eng begrenzten Gruppe wie in der Kita Kontakt, sondern mit diversen Personen eines Stadtteils. Das erschwert die Kontaktnachverfolgung im Infektionsfall. „Wir arbeiten viel mit Annahmen, aber auch mit konkreten statistischen Daten und beispielsweise Ergebnissen aus Umfragen zu Verhalten“, erklärt Timm.

Das Interesse der Politik an den Simulationen der Trierer Wissenschaftler zu Corona ist groß. Konkret berät Ingo Timm die Corona-Krisenstäbe von Kaiserslautern und Trier. „Als Wissenschaftler betrachte ich es als meine gesellschaftliche Verantwortung, mich hier mit meiner Expertise einzubringen. Die Prognosen und unterschiedlichen Szenarien zur Entwicklung der Corona-Pandemie können Entscheidungsgrundlage für die Politik zur Einführung von Maßnahmen sein.“

Die Situation um die Corona-Pandemie ist sehr dynamisch, deshalb haben sich Timm und sein Team bereits mit unterschiedlichen Themen – von Schulschließung bis zur Durchführung von Weihnachtsmärkten – beschäftigt. Auch die eine oder andere Nacht vor den Bildschirmen und Simulationsmodellen war dabei. Ein nächstes Thema werden Simulationen zu Corona-Impfungen sein. Unter anderem wird die Frage untersucht, wie sich diese am effizientesten organisieren lassen. „Wir begleiten die Pandemie weiter“, verspricht Timm.

Welche Auswirkungen haben Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie auf das lokale Infektionsgeschehen? Das berechnen die Forscher im Projekt SoSAD.
Mit dem Anzug können junge Probanden nachempfinden, wie ältere Menschen durch gesundheitliche Probleme körperlich eingeschränkt sind.

Wie KI junge Menschen zur Verbesserung der Pflege altern lässt

Aber auch ein ganz anderes Projekt zeigt, wie KI einen praktischen Nutzen für die Gesellschaft haben kann. Ältere Menschen in Pflegeheimen bewegen sich häufig recht wenig. Prof. Dr. Heike Spaderna und ihr Team von der Pflegewissenschaft der Universität Trier erforschen, wie man beispielsweise mit Schrittzählern oder anderen technischen Lösungen Heimbewohner motivieren kann, im Alltag körperlich aktiver zu sein. Gerade älteren und gesundheitlich eingeschränkten Personen ist es allerdings nicht zuzumuten, dass sie unterschiedliche Geräte und Ideen, die noch im Entwicklungsstadium sind, ausprobieren. Ein Problem für die Forschung. Hier kommt die KI zum Einsatz.

„Wir können mithilfe eines speziellen Anzugs jüngere Probanden quasi altern lassen“, sagt Timm. Mit den Anzügen lässt sich die eingeschränkte Bewegungsfreiheit von älteren Menschen nachempfinden. So kann man beispielsweise testen, wie viel mehr Zeit es kostet, wenn ältere Menschen aufgefordert werden, die Treppe statt des Aufzugs zu benutzen. Mit den gesammelten Daten wird eine Computersimulation erstellt. „Unsere Ergebnisse werden zeigen, ob tatsächlich künftig auf für die älteren Probanden oftmals anstrengenden Versuche verzichtet werden kann und stattdessen die Ideen und Ansätze mit jungen Menschen getestet werden können. Unsere Zwischenergebnisse sehen bisher gut aus“, summiert Timm.

Wenn Menschen und KI-Systeme Teams bilden

Darüber hinaus beschäftigt sich das von Spaderna und Timm geleitete interdisziplinäre Projekt „SiNuS-Pflege“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, auch mit psychologischen Fragen: Wie können Anreize geschaffen werden, dass sich ältere Menschen bewegen? Welche kleinen Belohnungen erhalten sie dafür? Auch in einem weiteren Projekt geht es nicht nur um technische, KI-basierte Lösungen, sondern um psychologische Aspekte. In „AdaptPRO“ (Adaptive Prozess- und Rollengestaltung in Organisationen) forscht Timm gemeinsam mit den Psychologie-Professoren Thomas Ellwart und Conny Antoni zu Teams aus Menschen und KI im Arbeitsalltag.

Beispiel Personalabteilung: Oft sind Abteilungen so organisiert, dass jeder alles macht – vom Urlaubsantrag über Stellenausschreibungen bis zur Entgeltabrechnung. Effizienter als dieses System von Generalisten sind meist Spezialisten. Das heißt, jeder macht nur eine Tätigkeit und kann sein Wissen über alle anderen Tätigkeiten vergessen. Während menschliche Mitarbeitende im Team beispielsweise im Krankheitsfall recht schnell ihr Wissen reaktivieren können, ist das für eine Künstliche Intelligenz, die eigentlich für eine andere Aufgabe eingesetzt wurde, nicht ganz so einfach. Durch Simulationen wollen die Forschenden herausfinden, wie solche Teams am besten aufgestellt sein müssen, um effizient und zur Zufriedenheit der Beschäftigten zu arbeiten.

Eine nachgebaute Fabrik als Spielwiese für die KI und die Forscher

Mit einer etwas anderen Fragestellung forscht auch Ralph Bergmann zu KI in der Arbeitswelt. Sein Arbeitsschwerpunkt heißt „Erfahrungsbasierte Lernende Systeme“ und hat in gewisser Weise etwas mit Fischertechnik zu tun. In vielen Jugendzimmern stehen wohl Krane oder Miniroboter, die aus den Baukästen entstanden sind. Viele Arbeitsstunden lang hat das Team der Wirtschaftsinformatik gelötet, Sensoren installiert, Schaltungen gebaut und programmiert, bevor auf Campus II eine aus Fischertechnik nachgebaute Fabrik stand. Fertig werden sie damit wohl nie. Fortlaufend wird die Anlage umgebaut.

Aber warum das Ganze? „Wir forschen dazu, wie Prozesse in der Industrie 4.0 mithilfe von KI verbessert werden können“, erklärt Bergmann. „Natürlich können wir die KI nicht in realen Fabriken lernen lassen. Das würde die Produktionsabläufe stören.“ Lernen ist das zentrale Schlüsselwort. Wir Menschen eignen uns fortlaufend Wissen an und können bei Problemen, die das erste Mal auftreten, auf vorherige ähnlich gelagerte Fälle und Erfahrungen zurückgreifen und daran Lösungsmöglichkeiten ableiten. Erfahrungsbasierte Lernende Systeme bilden dieses menschliche Verhalten nach.

„Wir bauen in der Fischertechnik-Anlage absichtlich Fehler ein. Beispielsweise können wir den Brennofen ausfallen lassen. Die KI muss darauf reagieren und möglichst die Produktion umgestalten und weiter aufrechterhalten.“ Bergmann hat selbst zu Beginn seiner Laufbahn als Entwickler in einem Industrie-Unternehmen gearbeitet und weiß, wie Industrieabläufe gestrickt sind. Dennoch sind für seine Forschung Kontakte in die Industrie und Wirtschaft essenziell. „Die Überführung unserer Forschungsergebnisse in praktische Anwendungen, die einen Nutzen für die Gesellschaft haben, ist auch eines der Ziele der Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz und der Universität Trier.“ Das DFKI hat viele Partner in der Wirtschaft. Unter anderem ist es eng vernetzt mit SmartFactoryKL. Wenn man so will, ist die Demonstrations- und Forschungsplattform das große Pendent der Trierer Fischertechnik-Anlage.

Kochen mit KI

Nicht nur in der Industrie, sondern auch beim Kochen geht es um Wissen und Prozesse. Rezepte beschreiben diese Prozesse: Zutaten müssen ausgewählt und Nahrungsmittel auf bestimmte Weise zubereitet werden. „Man findet im Internet tausende verschiedene Kochrezepte für Nudeln mit Bolognese-Soße. Komplizierter wird es für Personen, die eine Nahrungsmittelunverträglichkeit haben oder aus anderen Gründen eine spezielle Diät einhalten müssen“, sagt Bergmann. Die Forscher der Wirtschaftsinformatik haben in diesem Kontext im Rahmen eines Wettbewerbs vor einigen Jahren eine intelligente Online-Anwendung programmiert. Sie hilft Menschen, die bei der Ernährung auf spezielle Dinge achten müssen, das für sie passende Sandwich-Rezept zu finden.

Aus diesen und weiteren Forschungsprojekten ist ProCAKE (Process-Oriented Case-Based Knowledge Engine) entstanden. Den Code stellen die Wissenschaftler unter einer Open-Source-Lizenz zur Verfügung. Er kann Basis für weitere Anwendungsentwicklungen sein, bei denen Prozesse optimiert werden. „Es ist nicht so, dass wir eins zu eins bei unseren verschiedenen Forschungsprojekten immer wieder dieselben Codes benutzen können. Aber die Grundstrukturen in der Programmierung sind oft ähnlich. So können wir auch bei unseren anderen Projekten auf eine gewisse Basis zurückgreifen.“ Beispielsweise geht es bei weiteren Projekten, in denen mithilfe von KI Prozesse optimiert werden sollen, um die flexible Koordination von Arbeitsschritten im Handwerk oder die Unterstützung von Antragsverfahren in der Landwirtschaft.

Sandwich-Rezept-Generator für alle, die Nahrungsunverträglichkeiten haben oder eine Diät einhalten müssen.

Die Argumentationsmaschine

Neben intelligenten Prozessen arbeiten Bergmann und sein Team auch an Wissens- und Erfahrungsmanagement. „Gerade in Hinblick auf die immer größer werdende Flut an Informationen, der wir täglich ausgesetzt sind, hat KI das Potenzial, Menschen beim Suchen und Einordnen von Informationen zu helfen“, meint Bergmann. Um das Zusammenstellen und Bewerten von Informationen geht es auch im Projekt „ReCAP“. Gemeinsam mit Prof. Dr. Ralf Schenkel von der Informatik der Universität Trier entwickelt Bergmann in dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt die Grundlagen einer Argumentationsmaschine. Die KI durchsucht verschiedene digitale Textquellen. Das können Parteiprogramme oder Zeitungsinterviews mit Politikern sein. Aus diesen Texten werden beispielsweise Argumente Pro und Contra der weiteren Förderung von Windenergieanlagen herausgefiltert, miteinander verknüpft, bewertet und zu einem neuen Textexposé zusammengefügt. Dieses Exposé kann – so die Vision – beispielsweise Journalisten beim Schreiben ihres Artikels helfen oder Politikern bei Debatten.

„Es geht aber nicht darum, Politiker oder Entscheider zu ersetzen“, bekräftigt Bergmann, „die Entscheidungen trifft nach wie vor der Mensch.“ Dem Wirtschaftsinformatik-Professor ist es ebenso wie seinem Kollegen Timm ein großes Anliegen, Berührungsängste mit Künstlicher Intelligenz abzubauen. Als Sprecher des Fachbereichs Künstliche Intelligenz der Gesellschaft für Informatik fordert Ingo Timm, dass KI auch schon in der Schule ein Thema ist. „Es muss mehr erklärt werden, was KI ist, wie sie funktioniert und wo Schwächen und Vorteile von KI liegen, um so ein grundlegendes Verständnis zu schaffen. KI ist wie ein Freund, ein Begleiter.“

Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI)

Seit März 2020 ist an der Universität Trier eine Außenstelle des DFKI angesiedelt. Das DFKI zählt zu den renommiertesten außeruniversitären Forschungsinstituten im Bereich der Künstlichen Intelligenz und hat Standorte in Kaiserslautern, Saarbrücken, Bremen, Berlin und Niedersachsen. An der Außenstelle in Trier wird in den Themenfeldern „Erfahrungsbasierte Lernende Systeme“ (Prof. Dr. Ralph Bergmann) und „Kognitive Sozialsimulation“ (Prof. Dr. Ingo Timm) geforscht. Ein Ziel der neuen DFKI Außenstelle ist der Transfer von Wissen aus der Forschung in die Praxis.

Künstliche Intelligenz (KI)

Der Begriff Künstliche Intelligenz wurde bereits in den 50er Jahren in den USA das erste Mal verwendet. Damals ging es bei einer Konferenz um Programme, die Schach und Dame spielen und Texte interpretieren können. Laut einer Definition von DFKI und Bitkom ist Künstliche Intelligenz die „Eigenschaft eines IT-Systems, „menschenähnliche“ intelligente Verhaltensweisen zu zeigen.“ KI-Systeme können lernen, schlussfolgern, planen und in gewissen Grenzen verstehen. Mittlerweile steckt KI in vielen technischen Geräten des Alltags. KI-Systeme verstehen Bilder und Sprache und spielen auch für die Robotik eine wichtige Rolle.

Kontakt

Prof. Dr.-Ing. Ingo J. Timm
Wirtschaftsinformatik
Mail: itimmuni-trierde
Tel. +49 651 201-2859

Prof. Dr. Ralph Bergmann
Wirtschaftsinformatik
Mail: bergmannuni-trierde
Tel. +49 651 201-3876