Das erste muslimische Studienwerk
Es hat noch keine Stipendiaten an der Uni Trier. Das jüngste von 14 staatlich unterstützten Begabtenförderungswerken in Deutschland fördert muslimische Studierende und Promovierende aller Fachrichtungen. Shirin Najdi hat eine Info-Veranstaltung an der Uni Trier organisiert.
Mit Kopftuch möchte Shirin Najdi die Schulfächer Physik und Philosophie unterrichten. Als Muslima gehört das Kopftuch zu ihrer Identität. Eine Lehrerin, die ein Kopftuch trägt ist in deutschen Schulklassen und Hörsälen ein ungewohntes Bild. Diskussionen werden immer wieder laut und von Medien aufgegriffen. Erst 2015 hatte auf eine Klage einer Kopftuch tragenden Lehrerin das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Tragen eines Kopftuchs an öffentlichen Schulen nicht pauschal verboten werden darf.
Shirin Najdi hatte in ihren Schulpraktika damit bislang keinen Konflikt. Eher im Gegenteil: sie ist vielen neugierigen Fragen begegnet. Die angehende Lehrerin findet genau diesen Austausch wichtig und fruchtbar für eine Schule, für die Gesellschaft. Sie möchte als Mensch und als Stipendiatin des Avicenna Studienwerks weg von der Parallelgesellschaft von Muslimen in Deutschland und als Teil einer neuen Generation dieser Parallelgesellschaft entgegenwirken: „Ich möchte zeigen, dass es normal ist als Muslima in Deutschland zu leben und zu wirken – ansprechbar sein.“
Das Wirken steht im Mittelpunkt des Avicenna Studienwerks und ist auch der Grund, warum sich Shirin Najdi mit ihm so verbunden fühlt. Stipendiaten sollen in Bildungsveranstaltungen Wissen erwerben, andere Persönlichkeiten treffen und ihre Ideen aktiv einbringen. Gefördert werden muslimische Studierende und Promovierende: „Avicenna Studienwerk – Stipendien für Muslime“, heißt es auf deren Werbematerialien.
Der angehenden Lehrerin liegt Umweltschutz am Herzen. Deswegen hat sie im letzten Sommer mit ihrer Regionalgruppe Saarbrücken des Studienwerks eine Waldwanderung für Flüchtlingskinder organisiert. Es gab verschiedene Stationen und Spiele, die den Kindern den Wert des Waldes und das Ökosystem Wald näher bringen sollten.
Das Avicenna Studienwerk ist 2013 von Bundesbildungsministerin Professorin Dr. Johanna Wanka in die Liste der staatlich geförderten Begabtenförderwerke aufgenommen worden. Der Name Avicenna stammt von dem Universal-Gelehrten Avicenna, der im 1. Jahrhundert in Persien lebte und dort zu den berühmtesten Persönlichkeiten seiner Zeit gehörte.
Davor hat Avicenna Mitglieder ihrer Regionalgruppe zu Flüchtlingslotsen ausgebildet. In dem Projekt „Unsere Zukunft. Mit dir!“, dass vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert und mit allen staatlich finanzierten Begabtenförderwerken koordiniert wird, bietet das Studienwerk und vor allem seine Regionalgruppen auf Eigeninitiative Veranstaltungen für Flüchtlinge an. Dem Begabtenförderwerk geht es darum, geflüchteten Menschen den Start in ein neues Leben fernab ihrer Heimat zu erleichtern. Ihnen sollen Helfer mit kultureller Sensibilität informiert zur Seite stehen und Kultur-, Bildungs- oder Sprachangebote machen.
Für Shirin war die Waldwanderung eine von vielen Veranstaltungen, die sie im Studienwerk begleitet hat. Sie hat einen wöchentlichen Lesekreis organisiert, ein Seminar zum Thema „Freiheit und Determinismus“ vorgeschlagen und daran teilgenommen sowie sie sich mit einem Musikabend für das erste Avicenna Jahrestreffen engagiert.
Avicenna vertritt die Philosophie, dass nach der Gründung des Studienwerks, die Stipendiatinnen und Stipendiaten die Geschichte mit- und weiterschreiben sollen. Unter ihnen kam der Wunsch auf ein Jahrestreffen für alle Geförderten zu organisieren. Also haben sie gemeinsam mit der Geschäftsstelle ein fünftägiges Event geschaffen, in dem 230 Stipendiatinnen und Stipendiaten zusammenkamen, die über 30 Programmpunkte und mehr als 10 Gastreferentinnen und Gastreferenten erleben konnten.
Shirin Najdi hat schon eine Menge anderer Veranstaltung des Avicenna Studienwerks besucht, wie Radikalisierungs-Prävention, Symposium zu Avicenna oder die monatlichen Regionalgruppentreffen, wo man auch mal zusammen Schlittschuhlaufen geht oder gemeinsam mit Neugierigen das Fastenbrechen feiert. Andere Veranstaltungen sind auch Leadership, Feminismus, Wissenschaft und Islam oder Medizinethik.
Die Mischung an Veranstaltungsthemen und die Pluralität der Menschen, denen sie im Studienwerk begegnet, ist aus der Sicht der angehenden Physikerin und Philosophin eine Bereicherung. Shirin Najdi hat das Gefühl, dass sie alle etwas eint, das sie zusammen ein Familie sein lässt: „Es ist die Motivation und das positive Gefühl mit denen ich aus jedem Treffen oder Seminar gehe. Dass ich so viele interessante Menschen treffen kann, hätte ich nicht gedacht.“
Über ihr zukünftige Tätigkeit als Lehrerin denkt sie: „Es spielt keine Rolle, was man auf dem Kopf trägt oder die eigene Denkweise beeinflusst, wenn man einen neutralen Unterricht halten möchte.“ Ihre Religion auszuleben bleibt für Shirin Najdi besonders wichtig. Sie hätte sich auch in einem anderen Begabtenförderwerk bewerben können, aber dass es mit dem Avicenna Studienwerk eins für Muslime gibt, war für sie das Beste. Es werden auch Menschen, die nicht den Islam praktizieren, gefördert, aber man muss einen eindeutigen Bezug wie ein Studium der Islamwissenschaften mitbringen, um gute Chancen im Bewerbungsprozess zu haben.
Die Stunde Zugfahrt von Saarbrücken nach Trier ist nun für Shirin Najdi vorbei. Sie steigt aus und wird im nächsten Moment anderen an der Uni Trier erzählen, was das Avicenna Studienwerk ausmacht. Schließlich gibt es in Trier noch niemanden, der dadurch gefördert wird. Eine neue Regionalgruppe hier, das wäre aus ihrer Sicht eine schöne Sache.
Der Artikel ist am 8. Februar 2018 veröffentlicht worden.