Turbulenzen bei der größten Arktis-Expedition aller Zeiten

Das Fach Umweltmeteorologie der Universität Trier war vom 20. September 2019 bis 12. Oktober 2020 Teil der internationalen MOSAiC Expedition, die wertvolle Daten und Erkenntnisse zu der für das Weltklima wichtigen Region eingebracht hat.

Foto: Christian Rohleder

Bei der MOSAiC Expedition (Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate) haben mehr als 350 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 20 Nationen über ein ganzes Jahr die zentrale Arktis erforscht. Von Herbst 2019 bis Herbst 2020 fungierte der deutsche Forschungseisbrecher Polarstern als Basis für die Reise über das Nordpolarmeer, einen Großteil der Zeit driftend und fest verankert an einer Eisscholle im transpolaren Driftsystem. Eine der Hauptmotivationen für MOSAiC ist der Umstand, dass die Arktis sozusagen das Epizentrum des globalen Klimawandels darstellt. Nirgendwo sonst auf unserem Planeten erwärmen sich die Atmosphäre, der Ozean und der Boden so schnell wie in den nördlichen Polargebieten – und damit gleich vor unserer Haustür. In vielerlei Hinsicht spricht man von der „neuen Arktis“, in der sich zum Beispiel räumliche und zeitliche Muster von physikalischen Prozessen, aber auch Biologie und Stoffkreisläufe merkbar verändert haben.

Moderne Klimamodelle, welche unter anderem auch an der Universität Trier betrieben werden, haben derzeit noch Schwierigkeiten, die Klimaprozesse in der Arktis korrekt abzubilden. Dies liegt maßgeblich an der sehr geringen Anzahl an Messdaten im Bereich der zentralen Arktis. Bislang war es kaum möglich, die dort ablaufenden Prozesse und deren Wechselwirkungen kontinuierlich in den verschiedenen Jahreszeiten zu beobachten. Vor allem für die Winterzeit von etwa November bis März gab es bisher kaum Messdaten in der zentralen Arktis. Genau dieser Aspekte hat sich die MOSAiC Expedition angenommen, welche am 12. Oktober 2020 mit der Rückkehr von Polarstern in Bremerhaven ihr erfolgreiches Ende fand. Für die Universität Trier und das Fach der Umweltmeteorologie unter Leitung von Prof. Dr. Günther Heinemann war Dr. Andreas Preußer beim ersten und dritten Abschnitt der Expedition mit an Bord. Er war Teil des Atmosphären-Teams, das neben den Bereichen Ozean, Eis, Ökosystem, Bio-Geo-Chemie, Logistik und Schiffscrew eines der insgesamt sieben Teams an Bord darstellte. Das Projekt der Trierer Umweltmeteorologie, eine Kooperation mit einem von Prof. Dr. Ian Brooks geleiteten Forschungsteam der Universität Leeds (UK), beschäftigte sich dabei mit den Windbedingungen und der Turbulenz in den untersten Schichten der Atmosphäre, die sogenannte atmosphärische Grenzschicht, sowie deren Einfluss auf das den Ozean bedeckende Meereis und verknüpfte atmosphärische Prozesse wie beispielsweise Wolkenbildung oder die Energiebilanz der Oberfläche.

Bei der Untersuchung kamen hauptsächlich boden- bzw. eisbasierte Fernerkundungsgeräte zum Einsatz. Mit dabei waren insgesamt drei Doppler Lidars sowie ein Sodar. Diese Instrumente emittieren Licht bzw. Schall in die Atmosphäre, in der die sich die dort befindenden Partikel/Aerosole und andere Inhomogenitäten zu Rückstreuung bzw. Echos führen. Mit Hilfe des Dopplereffekts können daraus wichtige atmosphärische Parameter wie Windrichtung und Windgeschwindigkeit oder auch die Intensität der Rückstreuung bis in eine Höhe von bestenfalls über 1.000 Meter bestimmt werden. Sehr spannend war die seltene Möglichkeit, zwei Doppler Lidars exakt synchronisiert zu betreiben, um sogenannte „virtuelle Messtürme“ zu erstellen, was so noch nie zuvor in der zentralen Arktis realisiert werden konnte. Durch diese „virtuellen Messtürme“ konnten Windprofile und Turbulenzbedingungen an unterschiedlichsten Stellen der Eisscholle gemessen werden, ohne die einzelnen Geräte aufwendig zu versetzen. Die auf diese Weise vergrößerte räumliche Abdeckung über der Eisscholle und damit die erweiterte Berücksichtigung unterschiedlicher Oberflächen-Charakteristika wie Flachstellen, hohe Presseis-Rücken oder Schneewehen stellen einen deutlichen Mehrwert gegenüber den individuellen Messungen dar. Der Haken: Die synchronisierten Messungen sind deutlich aufwendiger und anfälliger für Störungen. Aus diesem Grund waren sie lediglich auf dem ersten und dritten Abschnitt der Expedition mit dezidierter Betreuung zeitweise zu realisieren. Die Daten aus Trier und Leeds stellen nur einen kleinen Bruchteil des bei der MOSAiC Expedition gewonnenen Datenschatzes dar, der insgesamt mehrere hundert Terabyte umfasst. Trotz der vielen involvierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wird sich die Auswertung dieser riesigen Datenmenge über viele Jahre hinziehen. Erste spannende Ergebnisse vom Expeditionsbeginn liegen zum Teil schon vor.

So konnte zum Beispiel der Ursprung der MOSAiC Eisscholle mittlerweile mittels Satellitendaten detailliert zurückverfolgt werden, was Rückschlüsse auf die Zusammensetzung und den Aufbau zulässt und somit eine wichtige Information für zahlreiche Forschungsgruppen darstellt. Erste Einblicke in die Trierer Lidar-Daten sind ebenfalls vielversprechend. Vor allem die häufigen Sturmperioden im April und Mai sind sehr gut eingefangen worden und stellen im Zusammenhang mit dem Wechsel von Gefrier- zu Schmelzsaison einen wichtigen Beitrag zu potentiell sehr interessanten Prozessstudien dar, die ganz im Sinne von MOSAiC interdisziplinär untersucht werden können.

Die atmosphärische Messstation („Met City“) auf dem Eis Ende März 2020. Im Vordergrund der 11 Meter hohe und voll instrumentierte Messturm (re.) und der Schallschutz des Sodars (li.), dahinter zahlreiche Strom- und Datenkabel sowie die Met-Hütte. Im Hintergrund FS Polarstern. Foto: Christian Rohleder
Rendezvous der Schiffe Kapitan Dranitsyn (links) und Polarstern im März 2020 auf über 88°N. Foto: Christian Rohleder

MOSAiC – eine abenteuerliche Forschungsreise

Andreas Preußer erwarteten in der Arktis gleich in mehrerer Hinsicht turbulente Zeiten, denn neben erwartbaren extremen Wetterbedingungen mit Temperaturen bis zu -42°C und kräftigen Stürmen wirbelten auch andere ungeplante Dinge die Expedition kräftig durcheinander. So musste er den ersten Abschnitt der Expedition nach einer Verletzung Ende Oktober 2019 vorzeitig abbrechen, zwei Monate früher als geplant. Glücklicherweise war zu diesem Zeitpunkt das Trierer Messgerät bereits installiert sowie weitere erste Arbeiten zur Errichtung des Forschungscamps auf dem Eis bereits durchgeführt. Der englische Projektpartner von der Universität Leeds, der ebenfalls an Bord war, um den Aufbau an der Scholle zu unterstützen, konnte kurzerhand übernehmen – im Austausch mit der Teilnahme von Andreas Preußer beim dritten Abschnitt, die Ende Januar 2020 begann. Schon auf der Anreise zur Polarstern durch die Dunkelheit der Polarnacht stellte sich schnell heraus, dass auch dieser dritte Abschnitt nicht frei von Komplikationen sein würde, dauerte die Fahrt durch das Eis doch fast zwei Wochen länger als veranschlagt. An der Scholle angekommen zeigte sich nach einer anfänglich ruhigen Phase, in der auch die Sonne zum ersten Mal seit mehreren Monaten wieder über den Horizont stieg, dass auch dort nicht alles nach Schema F laufen würde. Neben dem sehr dynamischen Meereis, das durch Verschiebungen und Risse die im Winter präparierte Landebahn beschädigte, wirbelten vor allem die durch COVID-19 hervorgerufenen weltweiten Veränderungen und Einschränkungen die gesamte Expeditionsplanung gehörig durcheinander. Dadurch war es erst Anfang Juni möglich, den nächsten Austausch bei Spitzbergen (Norwegen) zu realisieren – fast zwei Monate nach dem eigentlich geplanten Austausch per Flugzeug. So bleibt festzuhalten - auch im Jahr 2020 lässt sich nicht jedes Detail einer Expedition planen, trotz akribischer logistischer Vorarbeit.

Andreas Preußer (links) führt mit einem Kollegen Wartungsarbeiten am Sodar durch. Foto: Michael Gutsche

Die Expedition: Logistische Herausforderungen und ein Schifffahrtsrekord

Bei der MOSAiC-Expedition (Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate) erforschten Wissenschaftler aus 20 Nationen die Arktis im Jahresverlauf. Von Herbst 2019 bis Herbst 2020 driftete der deutsche Eisbrecher Polarstern dazu eingefroren im Eis durch das Nordpolarmeer. MOSAiC wurde unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), realisiert. Damit dieses einzigartige Projekt gelingen und möglichst wertvolle Daten gewonnen werden konnten, arbeiteten über 80 Institute rund um den Globus - darunter das Fach Umweltmeteorologie der Universität Trier unter Leitung von Prof. Dr. Günther Heinemann - in einem Forschungskonsortium zusammen. Das Budget der Expedition betrug rund 140 Millionen Euro. Um den Austausch von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, der Crew sowie Treibstoff und Proviant zwischen den insgesamt fünf Fahrtabschnitten zu realisieren, waren neben der Polarstern sieben weitere Schiffe im Laufe dieses einen Jahres im Einsatz. Der russische Eisbrecher Kapitan Dranitsyn stellte dabei im Februar 2020 beim Austausch zwischen dem zweiten und dritten Abschnitt einen beachtlichen Rekord auf – nie zuvor war ein nicht-nuklear betriebener Eisbrecher so früh im Jahr aus eigener Kraft so weit nach Norden (über 88°N) vorgestoßen. Lediglich die Polarstern driftete kurzzeitig noch etwas nördlicher.

► Informationen: www.mosaic-expedition.org

Das ursprüngliche Konzept der MOSAiC Expedition. Durch die Corona-Pandemie gab es in 2020 einige Abweichung bzgl. Versorgung und Flugkampagnen. Grafik: AWI (2019)
Foto: Michael Gutsche

Kontakt

Dr. Andreas Preußer
Umweltsystemanalyse und Modellbildung
Mail: preusser@uni-trier.de
Tel. +49 651 201-4622