„Wir hatten keine Ahnung, dass einer die Mauer öffnet“

Teltschik lässt im Gastprofessur-Vortrag ins politische Nähkästchen blicken

„Es war eine Zeit voller Wunder. Und Sie waren mittendrin.“ Mit diesen Worten eröffnete der Vorsitzende des Freundeskreises Trierer Universität, Helmut Schröer, die Gastprofessur 2015.  Die „wundervolle Zeit“, das war die vier Jahrzehnte lange Phase des Kalten Krieges und seiner Auflösung in der Entspannungspolitik bis hin zur deutschen Wiedervereinigung. „Mittendrin“ war Prof. Dr. h.c. Horst Teltschik, enger Berater und Sonderbeauftragter von Bundeskanzler Helmut Kohl und nun Inhaber der vierten vom Freundeskreis gestifteten Gastprofessur an der Universität Trier.

Gleichwohl er Honorarprofessor an der Technischen Universität München ist, nähert sich Teltschik der ersten Etappe seiner Vortragstrilogie – „Vom Kalten Krieg zur Entspannungspolitik“ – nicht wissenschaftlich-analytisch, sondern anekdotisch. Teltschik entwirft keine politischen Modelle, er schildert Begegnungen, Verhandlungen, Ereignisse. Seine Zuhörer nimmt er mit zum Staatsbesuch beim tattrigen Juri Andropow und imitiert die zittrigen Bewegungen des altersschwachen und kranken Generalsekretärs des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei (KPdSU). Er porträtiert US-Präsident Ronald Reagan als leidenschaftlichen Witze-Erzähler mit einer Vorliebe für Scherze über die DDR und die Sowjetunion. Das latente Risiko eines erneuten Kriegsausbruchs im Sog einer der vielen Krisen des Kalten Krieges schildert Teltschik aus seiner Perspektive als junger Bundeswehrsoldat. Mit seiner Einheit musste er Weihnachten und Silvester in der Kaserne „voll mobilisiert und mit bestückten Panzern“ verbringen, um jederzeit ausrücken zu können.

„Sie sollen ein Gefühl dafür bekommen, wie sich Politik praktisch abspielt und wie wichtig Atmosphäre ist“, beschreibt Teltschik den Zuhörern das Ansinnen seiner Gastprofessur. 90 Minuten lang plaudert er aus dem politischen Nähkästchen. Er definiert Politik als Handwerk, als Handelsplatz für Tauschgeschäfte von Interessen: „Unterstützt du mich in dieser Sache, helfe ich dir bei deinem  Anliegen.“ Immer wieder betont er den Einfluss atmosphärischer Schwingungen, persönlicher Sympathien und Antipathien auf das politische Geschäft. Ein Beispiel: „Sie können sich vorstellen, welchen Eindruck wir beim Anblick des totkranken Andropow von der Weltmacht Sowjetunion hatten und wie dann Gorbatschow als gesunder 50-jähriger Nachfolger von drei alterskranken Generalsekretären auf uns gewirkt hat.“


Teltschik vergisst den Abriss über die weltgeschichtlichen Meilensteine des Kalten Krieges nicht: Von der Bildung der Ost-West-Blöcke durch die Gründung von Nordatlantik-Pakt und Warschauer Pakt über die Phase der beidseitigen Aufrüstung, die Kuba-Krise 1962 und Aufstände in den Ländern des Warschauer Pakts. Er ruft den Mauerbau ins Gedächtnis, bei dem sich sowjetische und amerikanische Panzer in Sichtweite gegenüberstanden. „Hätte nur einer versehentlich geschossen, wäre ein Krieg ausgebrochen.“
Als einen Katalysator der Entspannungspolitik stuft er den Beginn des sowjetisch-chinesischen Konflikts ein. „Die Staaten im Warschauer Pakt nutzten diese Krisen, um für sich neue Spielräume zu gewinnen.“ Wenn es zwischen Moskau und Peking kriselte, habe die Sowjetunion größere Verhandlungsbereitschaft gegenüber den Westmächten gezeigt. So sei auch die KSZE-Initiative Ergebnis eines Konflikts mit China gewesen. „Die KSZE-Schlussakte 1975 war ein Höhepunkt der Entspannungspolitik“, so Teltschik.

Der Rückfall folgte auf dem Fuß: Die Sowjetunion richtet atomare Mittelstreckenraketen auf Westeuropa, die Nato reagierte mit dem Doppelbeschluss und der Ankündigung, im Zuge der Strategischen Verteidigungsinitiative (SDI) einen Abwehrschirm gegen Interkontinentalraketen einzurichten. Laut Teltschik eine epochale Wende: „Gorbatschow hat mir später in einem persönlichen Gespräch gesagt, dass zwei Entscheidungen das Zentralkomitee der KPdSU zum Umdenken bewegt hätten: der Nato-Doppelbeschluss und SDI.“

Die erste Begegnung Helmut Kohls mit Gorbatschow hat Teltschik als ernüchternd in Erinnerung. Reformbestrebungen habe er nicht einmal im Ansatz erkennen lassen. Anders Gorbatschows  Deutschland-Besuch 1989, als er sich für das Land begeisterte. „Nach meiner persönlichen Überzeugung hatte Gorbatschow die Vorstellung, dass ein wiedervereinigtes Deutschland der Traumpartner für Reformen in der Sowjetunion wäre“, sagt Teltschik und benennt damit ein mögliches Motiv für Gorbatschows grünes Licht zur deutschen Wiedervereinigung. Als sich Polen demokratisierte und Ungarn die Grenzen öffnete, habe der Generalsekretär Wort gehalten und nicht eingegriffen. Vom Kulminationspunkt der Entspannungspolitik, der Maueröffnung, wurden Kohl und Teltschik dann selbst überfahren: „Wir hatten keine Ahnung, dass da einer kommt, der die Grenzen öffnet.“  

Wie es „Vom Fall der Mauer zur deutschen Einheit“ kam, wird Teltschik in seinem zweiten Gastprofessur-Vortrag rekapitulieren. Möglicherweise wird er dann detaillierter Position zum aktuellen Ukraine-Konflikt beziehen. Schon im ersten Vortrag outete er sich einmal mehr als „Russland-Versteher“ und tadelte die Haltung der USA und der europäischen Regierungen. Auf der Grundlage seiner eigenen Erfahrungen plädiert er für Entgegenkommen und Vertrauen gegenüber Russland und dessen „berechtigten Sicherheitsinteressen“. „Bei Putin“, glaubt Teltschik, „ist viel enttäuschte Liebe zu den USA und Europa im Spiel.“

Die nächsten Vorträge der Gastprofessur:

  • Montag, 11. Mai 2015, 18.00 Uhr, C-Gebäude, Hörsaal 4
    „Vom Fall der Mauer zur deutschen Einheit: Wege – Risiken – Ergebnisse“
  • Montag, 8. Juni 2015, 18.00 Uhr, C-Gebäude, Hörsaal 4
    „Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts: Perspektiven für eine gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung und für eine neue Weltordnung: Die Ergebnisse nach 25 Jahren“

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