Teltschik: „Wir hatten das ungeheure Glück eines offenen Zeitfensters“

Gastprofessor Horst Teltschik

Universitätspräsident Michael Jäckel

Helmut Schröer, Vorsitzender des Freundeskreises Trierer Universität, im Gespräch mit Horst Teltschik und Michael Jäckel (v.l.)

Horst Teltschik spricht an der Universität Trier über den Weg vom Fall der Mauer zur Deutschen Einheit 

 „Welches Glück die Deutschen mit der Wiedervereinigung hatten, zeigt das Beispiel Korea, das noch immer in Nord und Süd geteilt ist.“ Zur Begrüßung der etwa 200 Gäste im gut gefüllten Hörsaal hat Universitätspräsident Michael Jäckel die Frankfurter Allgemeine Zeitung mitgebracht. Sie hatte just an dem Tag, an dem der langjährige Kanzlerberater Horst Teltschik seinen zweiten Vortrag im Rahmen der Freundeskreis-Professur halten sollte, einen Artikel zur koreanischen Frage veröffentlicht.

Nicht zufällig berät der ehemalige Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz seit vielen Jahren die südkoreanische Regierung bei den Verhandlungen mit dem Norden. In wenigen Tagen wird er wieder nach Seoul aufbrechen. „Und jedes Mal wollen die Koreaner von mir wissen: `Wann ist unsere Wiedervereinigung möglich?`“ Hätte ihn das jemand beim Fall der Mauer in Bezug auf Deutschland gefragt, wären fünf bis zehn Jahre die Antwort gewesen.

Bekanntlich lag zwischen den beiden Ereignissen weniger als ein Jahr, genauer gesagt waren es 329 Tage, so auch der Titel des Buches, in dem Horst Teltschik seine „Innenansichten der Einigung“ niedergeschrieben hat. Sicherlich kann man vieles von dem, was er heute Abend erzählt, darin nachlesen. Ihm dabei zuzuhören und zu -sehen, wie er seine Innenansichten live vorträgt, ist allerdings ein besonderes Erlebnis: Immer wieder schmückt er Details wortreich aus und unterstreicht sie mit entsprechender Mimik und Gestik.

Wie etwa den 9. November 1989, als er mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl aus Gründen der Annährung an und Aussöhnung mit Polen in Warschau weilte. In dramatischen Worten und mit ausholenden Gesten schildert er, wie es der Delegation trotz Telefonverbot in den Westen doch noch gelang, mithilfe eines hölzernen Kurbel-Telefons aus Weltkriegsbeständen Informationen aus Berlin und schließlich auch noch ein Flugzeug des amerikanischen Botschafters zu bekommen – denn neben Telefonieren waren auch Flüge mit deutschen Maschinen aus dem Ostblock nach Westberlin damals nicht möglich.

Und als er dann erzählt, dass der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Walter Momper, SPD, bereits eine Kundgebung vor dem Roten Rathaus anberaumt hatte, „in der Hoffnung, Kohl würde es nicht nach Berlin schaffen und stattdessen die SPD für die Maueröffnung bejubelt werden“ – da schäumt Teltschik heute noch über vor Wut auf den politischen Gegner.

Kohl und Teltschik schafften es am 9. November doch noch nach Berlin. Aber nicht, um die Jubelrufe entgegenzunehmen, wie der Gastprofessor beteuert, sondern um die Menge zu beschwichtigen und Chaos zu verhindern. Eine Wiedervereinigung stand nicht zur Debatte, sondern es galt, so Teltschik, Kohls Auffassung: „Freiheit bleibt der Kern der deutschen Frage.“ – mit dem Ziel: Wenn die Bürger der DDR Freiheit erlangt hätten, würden sie sich auch für die Einheit entscheiden.

Der Anstoß, öffentlich von Wiedervereinigung zu sprechen, kam nach Aussagen von Teltschik aus Moskau. Ein Journalist und Geheimdienstmitarbeiter habe Kohl einen Fragenkatalog geschickt, in dem es vor allem um die deutsche Einheit ging. „Da haben wir gesagt: `Wenn die in Moskau schon anfangen, über die deutsche Einheit zu reden, wird es höchste Zeit, dass wir das auch tun und uns an die Spitze der Bewegung setzen!`“

Dazu kamen schlechte Umfragewerte für den damaligen Bundeskanzler, was ihn schließlich zu der so genannten 10-Punkte-Rede zur Wiedervereinigung im Bundestag bewogen habe.  Weder die Siegermächte noch Politiker in den eigenen Reihen waren über die Regierungserklärung informiert. „Die hätten alle erst mit uns reden wollen.“ Nicht einmal Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher war eingeweiht. „Er hätte sonst vorab ein Interview gegeben und die Deutsche Einheit als seine Idee verkauft.“

Nach der Rede wurde aber sofort Kontakt mit den Partnern aufgenommen. Mit viel Entgegenkommen habe die Bundesregierung dem Westen die Angst vor einem wiedervereinten Deutschland nehmen können. Entscheidend aber seien die Gespräche mit der sowjetischen Führung gewesen. Ihm sei ein Schauer über den Rücken gelaufen, so Teltschik, als Michael Gorbatschow im Frühjahr 1990 bei einem Treffen in Moskau sagte: `Die Einheit ist Sache der deutschen Regierungen`. „Ich habe Kohl gebeten, er möge Gorbatschow bitten, diesen Satz noch einmal zu wiederholen. Ich musste ja alles mitschreiben und wollte sichergehen, dass ich das richtig verstanden habe.“

Parallel zu den Gesprächen habe die Bundesrepublik mit vielfältiger Unterstützung versucht, Moskau auf die Seite zu ziehen. Horst Teltschik verweist auf insgesamt 22 Verträge, die alleine im Jahr 1990 mit der Sowjetunion geschlossen wurden, Lebensmittellieferungen, Kredite und später Gelder für den Truppenabzug. Mindestens genauso wichtig seien menschliche Gesten gewesen, mit denen man der sowjetischen Führung Respekt zollte, wie etwa ein Geburtstagsgeschenk für Gorbatschows Mutter. Teltschik selbst habe den amerikanischen Präsidenten darum gebeten, Gorbatschow nicht als Verlierer zu behandeln, sondern mit der Sowjetunion als Weltmacht auf Augenhöhe zu verhandeln.

Auch umgekehrt gab es während der Verhandlungen immer wieder positive Signale. So schildert Teltschik, wie Gorbatschows Frau Raissa bei dem berühmten Treffen im Kaukasus im August auf einer Wiese Blumen sammelte und sie Kohl überreichte. „Da dachte ich mir: Alles wird gut!“ Tatsächlich wurde im September der Zwei-plus-Vier-Vertrag unterzeichnet und keinen Monat später war Deutschland wiedervereinigt.

Dass alles so schnell ging, lag nach Ansicht Teltschiks auch daran, dass alle Partner Zeit hatten, sich nahezu ausschließlich um die Wiedervereinigung zu kümmern. „In der Zeit der Verhandlungen gab es weltweit keinen einzigen anderen Konflikt. Wir hatten das ungeheure Glück eines offenen Zeitfensters – und wir haben diese Chance genutzt.“ Am 3. Oktober 1990 feierte Deutschland die Einheit – nach nur wenigen Monaten der Verhandlungen, mit der Zustimmung aller Partner und völlig friedlich – „ein Wunder, eigentlich ein Wunder.“

Welche Bedeutung die Wiedervereinigung für die heutige Situation Europas und der Welt hat, beleuchtet Horst Teltschik in seinem dritten und letzten Vortrag unter dem Titel: „Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts: Perspektiven für eine gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung und für eine neue Weltordnung: Die Ergebnisse nach 25 Jahren“. Der Vortrag findet statt am Montag, den 8. Juni 2015 um 18.00 Uhr in Hörsaal 4 (Gebäude C).  

Die Vorlesungen der Gastprofessur sind auch im Offenen Kanal ok54 zu sehen:

20.04.2015: Vom Kalten Krieg zur Entspannungspolitik
<link https: www.youtube.com>www.youtube.com/watch

Weitere Informationen zur Gastprofessur und Kontakt:
<link http: www.freundeskreis.uni-trier.de _blank>www.freundeskreis.uni-trier.de