Jewtuschenko spricht alle Generationen an

Foto: Jewgeni Jewtuschenko

Russischer Dichter las auf Einladung auch der Slavistik der Uni Trier  

Der russische Dichter Jewgeni Jewtuschenko wirkt wie ein Magnet – noch im hohen Alter von 83 Jahren sorgen seine Lesungen für überfüllte Säle. Die 180 Stühle des Museums am Dom in Trier waren schnell belegt, Dutzende von Hörern fanden nur noch Stehplätze. In den 60er-Jahren füllte der Starlyriker mit seinen Auftritten in der Sowjetunion ganze Stadien. Denn die „Estradenpoesie“ des non-konformen Dichters rührte an den Nerv der Zeit – wie etwa mit seinem weltweit bekannten Gedicht „Babi Jar“, das dem in der Sowjetunion verdrängten Pogrom der Nazis an den Kiever Juden ein Denkmal setzte.

Jewtuschenko verkörpert ein ganzes Jahrhundert russischer Dichtung – sein erstes Gedicht veröffentlichte er 1949, und durch die Beziehung zu seinen dichterischen Ahnen wie Majakovskij, Esenin und Pasternak lebt auch die Dichtung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in seinem Werk auf. Den ersten Teil des Abends widmete Jewtuschenko daher nicht zufällig seinen literarischen Vorläufern und Mitstreitern und erklärte dieses eigens dem Publikum, das ungeduldig auf Jewtuschenkos eigene Gedichte wartete. Auch nahm er sich Zeit, sein Engagement für Frieden und bedingungslose Menschlichkeit vorzutragen und mit seinen Erinnerungen für die Pflege des Geschichtsbewusstseins einzutreten, bevor dann eine Auswahl von Gedichten aus verschiedenen Werkphasen und zu verschiedenen Themengebieten erklang.

Jewtuschenko steht aber nicht nur für sein Lebenswerk, das ein Symbol politisch engagierter Dichtung und Mahnmal für den Frieden zwischen den Völkern ist, sondern hat auch die Jahrtausendschwelle mit unserer Zeit überschritten. „Ich bin im 21. Jahrhundert angekommen“, heißt sein 2014 erschienenes Buch, das auch brandaktuelle Gedichte enthält. Auch wies er auf seine neueste Gedichttetralogie anlässlich des Kriegs in der Ukraine hin. Er versteht diese Gedichte als Appell, der auch direkt an die Politiker gerichtet ist: Sowohl Putin als auch Obama hätten sie gelesen, und er wünsche sich, dass auch Frau Merkel möglichst bald eine deutsche Übersetzung zugestellt bekäme. Denn „wenn wir nicht diesen Krieg in unseren Herzen erschlagen, dann erschlägt er uns alle“, betonte der Dichter im Gespräch. In einem dieser Gedichte heißt es: „Uns allen wird es gelingen Europa zu werden. / Das ist im Himmel entschieden.“ Europa steht hier als Symbol für Demokratie und Humanität.

Nach seinem letzten Auftritt in Moskau vor zehn Tagen beklagte sich Jewtuschenko, dass so wenig junge Menschen im Publikum waren. Trier widerlegte dieses: Präsent waren nicht nur die älteren Generationen der jüdischen Gemeinden und russischsprachigen Immigranten, sondern auch Kinder, Schüler und Studierende. Die Jugend spricht an, wofür Jewgeni Jewtuschenko steht: Dichtung als eine soziale, ja sogar basispolitische Aufgabe und Teil des alltäglichen Lebens zu sehen. Zu bedauern ist, dass diese Veranstaltung einem ausschließlich russischsprachigen Publikum vorbehalten blieb.

Die Lesung wurde gemeinsam vom Centre culturel et scientifique de Russie au Luxembourg, der Slavistik der Universität Trier, dem Bistum Trier und dem Museum am Dom Trier veranstaltet.