Jahr der Geisteswissenschaften 2007: Aus der Forschung des SFB 600<br>Sozialer Abstieg durch Krankheit?<br>Ein historischer Beitrag zu einer aktuellen Debatte

Das Verhältnis von Armut und Krankheit in der Geschichte ist eines

der Forschungsthemen im Sonderforschungsbereich 600 "Fremdheit und

Armut" an der Universität Trier. Krankheit war eine der wichtigsten

Gründe für Armut. Mit der Etablierung der Sozialversicherung Ende des

19. Jahrhunderts sollten die Risiken von Krankheiten, Unfällen und

Alter abgemildert werden.

 

Die Krankenversicherung als eine zentrale Errungenschaft des

Sozialstaates ermöglicht es heute allen Bevölkerungsschichten, bei

Krankheiten einen Arzt aufzusuchen oder im Krankenhaus medizinisch

behandelt zu werden. Das war nicht immer so: Bei der Diskussion um

Finanzierung, Inhalte und Instrumente des Gesundheitswesens sollte

nicht vergessen werden, dass die Absicherung im Krankheitsfall bis

weit ins 20. Jahrhundert hinein für den weit überwiegenden Teil der

Menschen keine Selbstverständlichkeit war.

 

Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war Krankheit neben dem Alter die

Hauptursache für Bedürftigkeit. War man krank, verletzt oder

behindert, konnte man oft den Lebensunterhalt nicht mehr verdienen

oder hatte für Arzt und Krankenhaus hohe Rechnungen zu begleichen.

Armut konnte gestern wie heute die Folge sein. Diesen kausalen

Zusammenhang aufzubrechen, war Ziel der 1883 im Deutschen Reich

eingeführten Krankenversicherung. Sie war Bestandteil eines Systems

sozialer Sicherheit, das zunächst die Arbeiter, später immer weitere

Bevölkerungsteile vor den negativen Folgen von Alter, Unfällen oder

eben Erkrankungen schützen sollte. Damit hatten Versicherte einen

verbindlichen Leistungsanspruch und waren im Fall von

krankheitsbedingter Bedürftigkeit nicht mehr auf das Wohlwollen der

kommunalen Armenverwaltung oder anderer wohltätiger Institutionen

angewiesen.

 

Die Errichtung von Ortskrankenkassen ermöglichte es auch ärmeren

Bevölkerungsteilen, Versicherungsansprüche zu erwerben und über die

medizinische Behandlung in einem gewissen Rahmen, beispielsweise

durch die freie Wahl des Arztes, mitzuentscheiden. Zeitgleich

verbesserte der Neubau von Krankenhäusern und die

Professionalisierung der Krankenpflege die medizinische Versorgung.

Zu diesen Forschungsergebnissen kommt Martin Krieger, Historiker im

Sonderforschungsbereich 600 "Fremdheit und Armut" an der Universität

Trier. Er untersucht in seiner Dissertation, die im Projekt B5 "Armut

im ländlichen Raum" unter Leitung von Prof. Dr. Lutz Raphael

entsteht, die Versorgung armer Kranker in den Regierungsbezirken

Trier und Koblenz am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Die "Erfolgsgeschichte" der Krankenversicherung muss jedoch

differenziert werden, so Martin Krieger: Gerade in den ländlichen

Gemeinden der Eifel und des Hunsrück waren viele Menschen bis weit

ins 20. Jahrhundert hinein nicht versichert. Viele der hier

ansässigen Kleinbauern oder Tagelöhner konnten sich die Beiträge

schlicht nicht leisten. Die Leistungen der Krankenkassen waren zudem

oft so gering, dass auch Versicherte im Krankheitsfall auf die

Armenfürsorge angewiesen waren.

 

Die Absicherung im Krankheitsfall wird aktuell im Zuge der

Gesundheitsreform kontrovers diskutiert. Jüngst trafen Vorschläge,

zugunsten der gesetzlichen Krankenversicherung die Einkommensteuer zu

erhöhen oder eine Sozialsteuer einzuführen, auf Kritik. Die

Versicherten selbst mussten zum Jahreswechsel gestiegene Beiträge bei

gleichzeitiger Einschränkung der Leistungen hinnehmen. Wie die

aktuelle Debatte um soziale Ungleichheit in unserer Gesellschaft

zeigt, geht die zunehmende "neue Armut" mit einer besorgniserregenden

Verschlechterung des Gesundheitszustands der Betroffenen einher.

Können sich Geringverdiener eine ausreichende Gesundheitsversorgung

bald nicht mehr leisten?

 

Informationen und Kontakt:

Universität Trier

SFB 600 "Fremdheit und Armut"

Katrin Marx

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

http://www.sfb600.uni-trier.de

E-Mail: sfb600uni-trierde